Grantlkatz. Kaspar Panizza
Читать онлайн книгу.Das Gesicht des Älteren verzog sich zu einer Grimasse. »Was ist es diesmal?«
»Er hält sich nicht an deine Anweisung. Er macht Geschäfte auf eigene Faust. Er gefährdet unseren Plan.«
»Erzähl es mir«, flüsterte der Ältere.
Der Mann mit dem Schnauzbart beugte sich nach vorne und verbarg seinen Mund hinter der hohlen Hand, während er Bericht erstattete.
Das Gesicht seines Gegenübers wurde immer ernster. Schließlich sagte er: »Ich möchte, dass er zu mir kommt.«
Der Mann mit dem Schnauzer erhob sich und wieder küsste er dem Alten zum Abschied die Hand. »Ich werde es ihm ausrichten«, murmelte er und verließ, ohne sich noch einmal umzudrehen, den Raum.
*
Als Steinböck am späten Nachmittag zu Hause ankam und seinen Einkaufskorb aus dem Wagen holte, begegnete ihm eine junge Frau mit langen blonden Haaren, die ihm freundlich zulächelte.
»Guten Tag«, sagte sie. »Ich bin Morana, die Nichte von Aurelia, und wohne gerade bei ihr. Sie sind bestimmt der berühmte Kommissar.«
Steinböck fühlte sich zwar ein bisschen gebauchpinselt, aber Komplimente von so jungen hübschen Mädchen waren ihm meistens suspekt. »Da hat die Aurelia wohl stark übertrieben, trotzdem herzlich willkommen bei uns im Haus.«
Sie lächelte kokett und verschwand mit ihren prall gefüllten Einkaufstüten durch die Haustür. Steinböck nahm den Weg über die Wiese zum Wintergarten, dessen Tür wie immer offen stand. Frau Merkel hatte bereits am Supermarktparkplatz den Käfer verlassen, um auf ihren eigenen Wegen nach Hause zu kommen. So überraschte es ihn nicht, dass sie bereits vor dem neuen Fernseher hockte und einen Film ansah.
»Ist des jetzt Internet oder Fernsehen?«, wollte er wissen, während er den Korb mit den Einkäufen auspackte.
»Genial, die Fernbedienung hat eine YouTube-Taste. Unbeschreiblich, was für einen Mist sie dort zeigen.«
»Warum schaust du dir den Schmarren dann an?«
»Man muss schließlich auf dem Laufenden bleiben, was sich die Kiddies so reinziehen. Auch dir würde es ganz guttun, wenn du wenigstens etwas Ahnung davon hättest, was in der digitalen Welt vor sich geht.«
»Dafür hab ich ja dich«, stellte er lapidar fest und füllte die Katzenschüssel mit Trockenfutter.
»Denk daran, alter Mann, ich kann nicht immer auf dich aufpassen«, antwortete sie, sprang auf den Boden und schnupperte am Futter. »Heute keinen Thunfisch?«, fragte sie verschnupft.
»Du schimpfst doch dauernd, dass die Meere überfischt sind. Also beklag dich nicht.«
»Und was isst du heut Abend, nachdem du bereits einen veganfreien Schweinebraten verdrückt hast?«
»Ich denk, ich werd mir ein paar Steinpilztortellini aufwärmen, dazu ein feines Bärlauchpesto. Wie du siehst, absolut vegetarisch«, schmunzelte der Kommissar und verschwand in den Wintergarten. Dort hockte er sich in seinen Korbsessel, legte die Füße auf der Topfkante der Marihuanapflanze ab und drehte sich eine Zigarette.
Er ließ den neuen Fall noch einmal an sich vorüberziehen. Handelte es sich wirklich um dieselben Täter wie bei diesen Raubdelikten? Silke Maucher hatte nur von einem Täter gesprochen, der laufen konnte und den Rollstuhl vermutlich benutzte, um die Opfer in Sicherheit zu wiegen. Anders bei Bachstenzels Überfällen. Dort waren es eindeutig zwei Täter, von denen einer immer im Rollstuhl saß. Vielleicht ergab der Vergleich der beiden Rollstuhlprofile etwas Neues. Viel mehr Sorgen machte ihm Mayer junior. Ihr Team war zu klein, um ohne ihn zu arbeiten. Andererseits: Sollte sich herausstellen, dass Frau Maucher mehr als nur Opfer war, müsste er ihn wohl oder übel von dem Fall abziehen.
Steinböck entschied nach einem kurzen Blick zur Uhr, sich etwas zu essen zu machen. Es war weniger der Hunger als die ungewohnte Ruhe, die ihn dazu brachte, den Wintergarten zu verlassen. Frau Merkel schaute um diese Zeit ihre Quizsendung, und ihr ständiges Gemecker über Elton war normalerweise unüberhörbar. Umso erstaunter war der Kommissar, als er sie im Wohnzimmer schweigend auf der Couch entdeckte, wo sie einem jungen Mädchen im Fernsehen zusah, die sich gerade Silberpapier in die Haare eindrehte. Kopfschüttelnd ging Steinböck weiter in die Küche. Jetzt spinnt sie komplett, dachte er und machte sich, während er das Essen zubereitete, ernsthafte Sorgen. Irgendetwas war da, was ihn beunruhigte und durch seinen Kopf schwirrte. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er stolperte fast über die Türschwelle, als er ins Wohnzimmer zurückeilte.
»Des Madel, die mit der Alufolie aufm Kopf, war des auf YouTube?«, fragte er aufgeregt. »Kann ich die noch mal sehen?«
»Jetzt erstaunst du mich doch ein bisschen, obwohl ich gestehen muss, dass dir ein Paar Beauty-Tipps nicht schaden würden. Aber Strähnchen dürften bei deiner Haarpracht ziemlich wirkungslos verpuffen.«
»Kann man des noch mal anschauen oder nicht?«
»Wenn du unbedingt willst.«
Es dauerte einen Moment, dann lief die Szene erneut ab.
»Da schau her, die Morana. A bisserl viel Make-up im Gesicht, aber sonst unverkennbar.«
»Du kennst sie?«
»Du etwa nicht?«
»Jetzt red scho, alter Mann.«
»Sag mal, seit wann sprichst du Dialekt?«
»Ich spreche keinen Dialekt, ich wollte dich nur zurück in die Gegenwart holen. Also, wer ist das Mädchen?«
»Das ist die Nichte von der Aurelia, die wohnt oben im zweiten Stock. Ich hab sie vorhin kennengelernt. Sie sah bloß a bisserl anders aus.«
»Hier bei uns im Haus? Wie konnte mir das entgehen? Ich muss das sofort überprüfen«, antwortete Frau Merkel, sprang vom Sofa und verschwand durch den Wintergarten.
»Bleib doch da! Was ist mit deiner noblen Zurückhaltung?« Genervt drückte Steinböck auf der Fernbedienung herum. »Wie komm ich jetzt aus dem YouTube zu meinem Fernsehprogramm? Typisch Merkel, erst Mist bauen und dann verschwinden.«
*
Der Mann mit der Wollmütze parkte den VW-Bus so vor der Einfahrt, dass noch genügend Platz war, um mit einem Auto daran vorbeizukommen. Der Beifahrer, der einen dunklen Kapuzenpulli trug, zog eine junge Frau aus dem Wagen und schob sie vor sich her durch den Torbogen.
»Sie, ist des Ihr Bus?«, keifte eine alte Frau und versuchte, sich dem Kapuzenmann mit ihrem Gehwagen in den Weg zu stellen. »Der muss da weg, des is a Feuerwehrzufahrt.«
Der Mann schüttelte verneinend den Kopf und drängte sich an der Alten vorbei, die junge Frau hinter sich herziehend.
»Ich kenn dich doch. Glaubst, ich bin bled, ich hab euch doch da aussteigen sehn«, zeterte sie, bis sie bemerkte, dass sie alleine in dem hohen Durchgang stand und ihre Stimme ungehört verhallte.
Unerbittlich schob die Kapuze die junge Frau vor sich her, die Treppe hinauf. In den Händen des Mannes schien sie wie eine Marionette, keine Gegenwehr, kein Widerwort. Ihr schönes Gesicht war blass und ihre großen dunklen Augen wie in Trance. Immer wieder strauchelte sie. Jetzt zog er sie mehr hinter sich her, als dass sie auf ihren eigenen Füßen lief. Schließlich erreichten sie ihr Ziel. Der Mann streifte die Kapuze zurück und stülpte sich eine Gummimaske über den Kopf. Auf der großen hölzernen Eingangstür befand sich ein goldenes Messingschild, auf dem lediglich das Wort »Praxis« stand. Sie war halb geöffnet, und in dem weiten Flur dahinter standen einige Stühle. Mehrere Türen führten in andere Räume. An einer der Wände hing ein leerer Bilderrahmen.
Ein untersetzter Mann mit Vollglatze trat aus einer der Türen. Er blickte die beiden verdutzt an und eilte dann auf das Mädchen zu, das inzwischen nur noch mit Hilfe des Maskierten einigermaßen aufrecht stehen konnte.
»Mein Gott, Melanie! Was ist mit ihr?«, fragte er und griff nach ihrem Arm. Erst jetzt bemerkte er das Messer in der Hand des Mannes. Mehr