Die Salbenmacherin. Silvia Stolzenburg

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Die Salbenmacherin - Silvia Stolzenburg


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Großmutter. Sie schob eine der Lehrmägde zur Seite und betastete den Bauch der Frau.

      »Seit etwas mehr als zwölf Stunden«, erwiderte die Hebamme. »Ich habe ihr bereits ein Bad bereiten lassen, aber es hat nicht geholfen. Wenn das Kind sich nicht bald bewegt, wird es eine Totgeburt.«

      Ein weiterer Schrei hallte von den Wänden wider und ließ Olivera schaudern. Es war nicht das erste Mal, dass sie bei einer Geburt zugegen war. Doch jedes Mal entsetzten sie die furchtbaren Schmerzen, welche die Frauen offenbar litten, aufs Neue. Ein Gedanke drängte sich in den Vordergrund ihres Bewusstseins. Würde sie auch bald so auf dem Rücken liegen und sich die Seele aus dem Leib brüllen? Sie schluckte mühsam und beschloss, nicht weiter daran zu denken. Allerdings war dieser Entschluss nicht so leicht in die Tat umzusetzen, da die Schwangere erneut aufschrie.

      »Ich habe außer Nieswurz auch etwas Wermut zur Wehenförderung mitgebracht«, informierte Oliveras Yiayia die Hebamme. Sie zog das Beutelchen aus dem Korb hervor und schüttete etwas davon auf ihre Hand. An Olivera gewandt sagte sie: »Lass einen Aufguss aus Baldrian zubereiten. Sobald das Kind da ist, muss sie schlafen. Sonst überlebt sie die nächsten Tage nicht.«

      Olivera tat, wie geheißen. Als sie etwas später mit einer Kanne zurückkehrte, hatte die Schwangere aufgehört zu schreien. Stattdessen nieste sie in kurzen Abständen so heftig, dass ihr ganzer Körper geschüttelt wurde. Über zwei Dutzend Nieser zählte Olivera, bis schließlich eine milchige Flüssigkeit an den Schenkeln der Frau entlanglief.

      »Es hat gewirkt!«, rief die Hebamme. »Das Niesen hat das Kind in Bewegung gebracht!« Sie beugte sich über die immer noch niesende Schwangere und fühlte ihren Puls. »Es wird nicht mehr lange dauern«, sagte sie zu ihren Mägden. Sie trat an einen Tisch, auf dem mehrere Haken, Scheren, ein kleiner Spiegel und eine Zange lagen. Dann zog sie einen Stuhl in die Mitte des Raumes, den Olivera erst jetzt bemerkte. Seine Lehne war stark geneigt, und seine Sitzfläche hatte ein großes Loch. »Helft ihr in den Gebärstuhl«, trug die Hebamme ihren beiden Helferinnen auf.

      Während die Mädchen der Schwangeren auf die Beine halfen, trat die Frau auf Oliveras Großmutter zu und ergriff ihre Hände. »Danke Loukia«, sagte sie. »Ich hätte nicht gedacht, dass das Kind sich so lange nicht vom Fleck rühren könnte.«

      Die alte Salbenmacherin nickte. »Wenn du mich noch brauchst, bleibe ich gerne«, erwiderte sie.

      Die Hebamme lächelte. »Das wird nicht nötig sein. Für alles, was jetzt geschehen kann, bin ich gerüstet.« Sie warf einen Blick über die Schulter und verfolgte, wie ihre Lehrmägde die Schwangere in dem Stuhl zurechtrückten. »Ich werde dir die Bezahlung schicken lassen.«

      »Es eilt nicht«, gab Oliveras Yiayia zurück. »Gott sei mit ihr.«

      Mit diesen Worten gab sie Olivera ein Zeichen, den Korb aufzuheben, und verließ kurz darauf mit ihrer Enkelin das Haus. »Ich hoffe, sie ist stark genug«, seufzte sie. »Es wird nicht leicht für sie werden.«

      Olivera zog unwillkürlich den Kopf ein. Das, was sie in der Kammer gesehen hatte, machte ihr Angst. Es hatte ihr schon immer Angst gemacht – seit sie das erste Mal Zeugin einer Geburt geworden war. Doch jetzt, da ihre Vermählung mit Laurenz in greifbare Nähe rückte, verwandelte sich ihre Furcht in etwas weitaus Stärkeres. Starb nicht jede dritte Frau am Kindbettfieber? Sie fasste sich unwillkürlich an den Bauch. Bevor ihre Einbildung ihr die schrecklichsten Szenen vorgaukeln konnte, erreichten sie jedoch das Haus ihres Vaters. Mit der Rückkehr dorthin verschwanden die dunklen Wolken der Sorge genauso schnell, wie sie gekommen waren. Und ihre Aufregung vertrieb alle anderen Gedanken. Ob Laurenz und ihr Vater sich einig geworden waren?

      Kapitel 12

      Konstantinopel, Juli 1408

      Die Antwort auf diese Frage ließ nicht lange auf sich warten. Sobald Olivera und ihre Großmutter den Hof wieder betreten hatten, eilte die osmanische Sklavin Lale auf sie zu.

      »Euer Vater wünscht, Euch zu sehen«, ließ das Mädchen Olivera wissen. »Er hat bereits nach Euch suchen lassen.«

      Olivera spürte, wie das Blut aus ihren Wangen wich. Plötzlich und völlig unsinnigerweise überkam sie die Befürchtung, dass der Besuch bei der Schwangeren all ihre Träume zunichtemachen könnte. Was, wenn Laurenz ärgerlich war, weil er hatte warten müssen? Sie betastete ihr Haar und steckte sich fahrig einige verirrte Strähnen hinter das Ohr. Und was, wenn er oder ihr Vater es sich anders überlegt hatten? Oder die beiden über der Mitgift in Streit entbrannt waren? Ein Teil von ihr wusste, dass diese Sorgen unbegründet waren. Doch ein anderer Teil fühlte sich an wie ein Kessel, in dem es mächtig brodelte.

      »Gib mir das«, sagte ihre Yiayia und griff nach dem Korb. »Geh!«, setzte sie mit einem Lächeln hinzu, als Olivera eine Winzigkeit lang zögerte.

      Es war, als wüssten ihre Beine nicht, was zu tun war. Erst, als Lale zur Seite wich, um ihr den Vortritt zu lassen, fiel die Erstarrung von ihr ab und sie setzte sich in Bewegung. Hätte sie daran geglaubt, dass Gott sich auch nur im Entferntesten für ihre Belange interessierte, hätte sie ein Stoßgebet zum Himmel geschickt. Allerdings war sie sich aufgrund des eben erst mit angesehenen Leides der Gebärenden aufs Neue sicher, dass dem Allmächtigen das Los der Frauen vollkommen gleichgültig war. Daher nahm sie all ihren Mut zusammen und rang ihre Unsicherheit nieder. Wenig später klopfte sie das zweite Mal an diesem Tag an die Tür des Kontors.

      Als sie über die Schwelle trat, wusste sie vor Aufregung zuerst nicht, wohin sie blicken sollte. Mitten im Raum stand Laurenz – die breiten Schultern gestrafft, das Kinn energisch vorgereckt. Die Kappe, die sonst auf seinem rotblonden Schopf saß, lag neben ihm auf einem Stuhl, von dem er offensichtlich soeben aufgesprungen war. Seine grauen Augen glänzten beinahe fiebrig, und sein Brustkorb hob und senkte sich heftig. Ihr Vater streifte den jungen Mann mit einem erheiterten Blick, ehe er sich seiner Tochter zuwandte.

      »Olivera«, begrüßte er sie. Anders als sein junger Gast wirkte Philippos in keinster Weise aufgewühlt – eine Tatsache, die Olivera nicht zu deuten vermochte.

      »Baba«, erwiderte sie den Gruß.

      Laurenz schenkte sie ein schüchternes Lächeln. Ihr Vater erhob sich und trat hinter seinem Schreibtisch hervor. Als er vor den beiden jungen Leuten angekommen war, ergriff er ihre Hände und legte Oliveras Rechte in Laurenz’ Linke.

      »Laurenz hat um deine Hand angehalten«, erklärte er und machte eine bedeutungsvolle Pause. »Die ich ihm hiermit gewähre.«

      Laurenz’ Finger schlossen sich fester um Oliveras Hand. Es war, als presse er damit gleichzeitig allen Atem aus ihren Lungen. Schwindelig vor Glück sah sie zu ihm auf. Während sich ein unbeschreibliches Gefühl in ihr ausbreitete, wünschte sie sich, er würde sich zu ihr hinabbeugen und sie küssen. So überwältigend war der Taumel der Gefühle, dass sie die nächsten Worte ihres Vaters kaum hörte.

      »Ihr werdet noch in dieser Woche Hochzeit feiern«, wiederholte Philippos und löste die Hände der beiden voneinander. »Pater Antonio wird alles Nötige in die Wege leiten.«

      Olivera glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. »Noch diese Woche?«, hauchte sie.

      »Ja«, entgegnete ihr Vater mit einem Lächeln. »Dann könnt ihr vor Anbruch des nächsten Monats die Reise antreten.«

      Einen Augenblick vermeinte Olivera Bedauern in seiner Stimme mitschwingen zu hören. Doch dann lachte Philippos und wandte sich an Laurenz.

      »Was haltet Ihr davon, den Glasmacher noch einmal aufzusuchen?« Er warf seiner Tochter einen kurzen Blick zu. »Jetzt, wo diese Angelegenheit geklärt ist …«

      Laurenz nickte. Aber all die Zeit über ließ er Olivera nicht aus den Augen. Es war, als könne er sich nicht an ihr sattsehen. Oliveras Herz hüpfte vor Glück. Auch sie hätte ihn stundenlang einfach nur anstarren und seinen Anblick in sich aufsaugen können, um sich jede Einzelheit seines Gesichtes unauslöschlich einzuprägen. Ihre Fingerkuppen kribbelten, da sie kaum der Versuchung widerstehen konnte, ihn zu berühren. Die Erinnerung daran, wie sich sein Körper beim Besuch des Marktes an den ihren gepresst hatte, raubte ihr beinahe


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