Die Salbenmacherin. Silvia Stolzenburg

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Die Salbenmacherin - Silvia Stolzenburg


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kennt …« Er ließ den Satz unbeendet, da Oliveras Großmutter ihm einen strafenden Blick zuwarf. Ganz gewiss fand ihre Yiayia es ungehörig von dem Fremden, die Tochter des Hauses bei Tisch anzusprechen. Wenn Gäste im Haus waren und die Männer sich unterhielten, schwiegen die Frauen – so verlangte es die Tradition. Dass Laurenz Olivera um ihre Meinung fragte, war vollkommen unziemlich.

      »Ja, kleine Schwester, was denkst du?«, mischte sich ihr Bruder ein.

      Olivera funkelte ihn wütend an, da sie ganz genau wusste, was er vorhatte. Zu oft hatten er und seine Brüder sich als Kinder einen Spaß daraus gemacht, sie vor Fremden zu ärgern; hatten sie hinter dem Rücken der Erwachsenen ausgelacht, wenn sie scheu von einem Bein auf das andere getreten war und nicht gewusst hatte, was sie sagen sollte. Sie räusperte sich und überlegte fieberhaft, was wohl die richtige Antwort auf die Frage sein mochte. Doch zum Glück kam ihre Großmutter ihr zur Hilfe.

      »Das sind Angelegenheiten der Männer«, sagte diese und bedeutete Olivera aufzustehen. »Es ist an der Zeit, dass wir Euch alleine lassen. Dann könnt Ihr über solcherlei Dinge reden.« Sie erhob sich und griff nach dem Arm ihrer Enkelin, damit Olivera sie aus dem Raum führen konnte.

      Hin- und hergerissen zwischen Erleichterung und Verstimmung nickte die junge Frau Laurenz und ihrem Vater zu und murmelte: »Gute Nacht.« Leises Bedauern schwang in seiner Stimme mit, als er ihr ebenfalls eine gesegnete Nachtruhe wünschte.

      Viel zu schnell fand sie sich mit ihrer Yiayia draußen auf dem überdachten Säulengang wieder, der inzwischen von Fackeln erleuchtet wurde. Auch im Hof hatten die Bediensteten Fackeln entzündet. Der von Westen her aufkommende Wind ließ die Flammen wild hin und her zucken. Nur wenige Sterne standen am Himmel und der sichelförmige Mond lugte scheu hinter einer Wolke hervor. Der Geruch von Regen lag in der Luft. In weiter Ferne zuckten Blitze über den Horizont, allerdings war das Unwetter zu weit entfernt, weshalb Olivera keinen Donner hörte.

      »Ein gänzlich ungesitteter junger Mann«, schimpfte ihre Großmutter. »Ich frage mich, aus was für einem Land er kommt. Offenbar herrschen dort barbarische Sitten!«

      Olivera verkniff sich ein Grinsen. Wenn ihre Yiayia doch nur nicht so entsetzlich altmodisch wäre! Sicher kam Laurenz aus einem wundervollen Land, dachte sie. Aus einem Land, das genauso golden war wie sein Haar. Sie verdrehte die Augen über ihre eigene Schwärmerei. Nun, vielleicht nicht unbedingt golden. Aber bestimmt anders als Konstantinopel, das nicht nur die Alten eine sterbende Stadt nannten.

      »Bring mich zu meiner Kammer«, forderte ihre Großmutter. Als sie dort angekommen waren, bot sie ihrer Enkelin die Wange, damit diese einen Kuss darauf drücken konnte. »Vergiss dein Nachtgebet nicht«, ermahnte sie Olivera. Noch bevor die junge Frau etwas darauf erwidern konnte, fiel die Tür ins Schloss. Oliveras Hand zuckte zu dem silbernen Kruzifix an ihrem Hals und sie seufzte. Wie viel einfacher alles wäre, wenn sie den blinden Glauben ihrer Großmutter teilen könnte! Diese hatte bestimmt nicht ständig mit Zweifeln und sündigen Gedanken zu kämpfen. Sie blies die Wangen auf und ließ das Kreuz wieder los, bevor sie sich auf den Weg zu ihrer eigenen Kammer machte. Unterwegs hielt sie an einem der von wildem Wein umrankten Stützbalken an. Sie starrte hinüber auf die andere Seite des Gebäudes, wo die Männer immer noch tafelten. Ob sie wohl über sie sprachen? Die Vorstellung trieb ihr erneut das Blut in die Wangen, und sie verfluchte ihren Körper für dieses verräterische Zeichen. Wenn sie nicht achtgab, würde Laurenz sie für eine alberne Gans halten! Sie legte den Kopf in den Nacken und sog die laue Nachtluft ein. Hoffentlich tat er das nicht schon, weil sie sich beinahe durch diesen dummen Hustenanfall verraten hätte!

      Die tiefen Atemzüge machten sie schwindelig. Die Wirkung des Weins war immer noch nicht ganz abgeklungen. Sie sollte sich besser auch schlafen legen, wenn sie morgen früh frisch und erholt sein wollte! Nach einem letzten Blick auf die erleuchteten Fenster der Stube löste sie sich vom Geländer des Ganges und betrat kurz darauf ihre eigene Kammer. Dort war es inzwischen wesentlich kühler als am Nachmittag. Um keine Stechmücken anzulocken, schälte Olivera sich im Dunkeln aus ihren Gewändern, legte diese auf dem Tisch neben ihrem Bett ab und löste ihr Haar. Unbekleidet und aufgewühlt ließ sie sich auf ihre Matratze sinken und lauschte auf die Geräusche der Nacht. In irgendeinem Garten zirpten Grillen und eine Eule stieß in regelmäßigen Abständen lang gezogene Rufe aus. Das Unwetter schien inzwischen näher gekommen zu sein, da sie das ferne Grollen von Donner vernahm. Der Wind frischte immer mehr auf, und sie spürte, wie er durch das Fenster über ihren Körper strich.

      »Wenn ich eine Gemahlin hätte, würde ich Euren Rat vermutlich befolgen«, hörte sie Laurenz erneut sagen – so deutlich, als wäre er bei ihr im Raum. Ein Zittern durchlief sie, das nichts mit dem kühlen Wind zu tun hatte. Auch wenn sie die Kühnheit ihres Planes zuerst erschreckt und sie gefürchtet hatte, der Mut könne sie verlassen, war sie sich inzwischen sicher. Sie durfte diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen! Wenn sie es richtig anstellte, dann würde der Mann, von dem sie so oft geträumt hatte, sie bald als seine Gemahlin mit in seine Heimat nehmen. Dafür würde sie alles tun, ganz egal, was für Folgen es haben mochte!

      Kapitel 4

      Konstantinopel, Juli 1408

      Als am nächsten Morgen der Hahn krähte, erwachte Laurenz aus einem Traum, der gewiss etwas mit dem schmerzhaften Pochen zwischen seinen Beinen zu tun hatte. Widerwillig öffnete er nach einigen Momenten die Augen und vermeinte, immer noch die verlockenden Bilder zu sehen, welche ihm den Schlaf versüßt hatten. Mit einem Stöhnen rollte er sich auf die Seite und versuchte, seine erregte Männlichkeit zu ignorieren. Durch das offene Fenster seiner Kammer fiel bereits die Sonne auf den bunt gefliesten Boden. Das Klappern von Eimern verriet, dass das Gesinde schon längst auf den Beinen war. Eine Zeit lang lag er regungslos da, bis sich sein Blut etwas beruhigte und er klar denken konnte. Es war ein Traum gewesen, nichts weiter! Vielleicht sollte er bei nächster Gelegenheit ein Freudenhaus aufsuchen, um seine Körpersäfte wieder ins Gleichgewicht zu bringen! Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann setzte er sich auf. Es war schon wieder unglaublich heiß, hatte in der Nacht kaum abgekühlt. Sein Mund war wie ausgetrocknet. Gierig griff er nach dem Krug auf dem Tisch neben seinem Bett und nahm einen tiefen Schluck mit Wasser verdünnten Weins. Nicht ein Lüftchen regte sich, und der Geruch von heißem Staub schien überall zu sein. Er leerte den Krug, leckte sich die Lippen und starrte auf seine nackten Füße. Die Hitze erschöpfte ihn. Obwohl er eigentlich ausgeruht und frisch sein sollte, fühlte er sich wie gerädert. Lange Zeit saß er einfach nur da, während der Schweiß auf seiner bloßen Haut allmählich trocknete. Als schließlich ein Klopfen an der Tür ertönte, war er gerade dabei, nach Bruch und Beinlingen zu angeln, um sich anzuziehen.

      »Ich komme«, rief er. Aber erst, als sein Latz fest angenestelt war, öffnete er der Magd. Diese, ein junges Ding mit rosigen Wangen, huschte zu dem Waschgestell in der Ecke des Raumes und füllte die Schüssel mit frischem Wasser aus dem Brunnen im Hof.

      »Der Herr wartet in der Stube auf Euch«, informierte sie Laurenz. »Er hat mir aufgetragen, Euch daran zu erinnern, dass Ihr ihn zu dem Glaser begleiten wolltet.« Sie mied seinen Blick.

      »Ach, ja, der Glaser«, brummte Laurenz. Die Wonnen des Traumes hatten alle Gedanken an den bevorstehenden Besuch vertrieben. Nachdem die Magd die Kammer wieder verlassen hatte, wusch er sich Gesicht und Hände, brachte sein Haar in Ordnung und kleidete sich fertig an. Dann trat er in den Hof hinaus, der trotz der frühen Stunde bereits in der Sonne buk. Nicht mehr lange, dann würde der Sand unter seinen Sohlen wieder so heiß sein, dass er ihn durch das dünne Leder spüren konnte. Er sah sich um – in der Hoffnung, einen Blick auf Olivera zu erhaschen. Allerdings war von dieser weit und breit keine Spur zu entdecken. Wie sie wohl den Tag verbringen würde?

      Das gleißende Weiß der Gebäude blendete ihn, sodass er schließlich blinzelnd den Blick senkte und den Schatten des Arkadenganges suchte. Im Wipfel eines Olivenbaumes trällerte ein bunt gefiederter Vogel – als ob ihm die Hitze nicht das Geringste ausmachen würde. Vermutlich tat sie das auch nicht, dachte Laurenz. Bereits wieder schwitzend erklomm er die Treppe ins Obergeschoss und betrat wenig später die Stube.

      »Ihr seht erschöpft aus«, begrüßte Oliveras Vater Philippos


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