Der Tod auf dem Nil. Agatha Christie

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Der Tod auf dem Nil - Agatha Christie


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wäre das alles nichts mehr wert, wenn sie Windlesham heiraten würde. Was sollten sie auch mit zwei Landsitzen? Aufgegeben würde natürlich Wode Hall. Und sie selbst, Linnet Ridgeway, gäbe es auch nicht mehr. Sie würde Countess of Windlesham und brächte eine hübsche Mitgift mit nach Charltonbury und zu dessen Herrn. Sie wäre die Gemahlin des Königs und nicht mehr selbst die Königin.

      »Ich bin albern«, sagte Linnet laut zu sich.

      Aber es war schon eigenartig, wie wenig ihr die Vorstellung gefiel, Wode Hall aufzugeben …

      Und war da nicht noch etwas Nagendes? Jackies Stimme, mit diesem sonderbaren düsteren Ton: »Ich sterbe, wenn ich ihn nicht heiraten darf! Ich sterbe. Ich sterbe …«

      So gewiss, so ernst. Fühlte sie selbst, Linnet, so etwas eigentlich für Windlesham? Mit Sicherheit nicht. Womöglich würde sie nie so etwas für jemanden fühlen. Es musste wunderbar sein …

      Das Geräusch eines Autos drang durch das offene Fenster herauf. Linnet schüttelte sich widerwillig. Es war bestimmt Jackie mit ihrem jungen Mann. Sie musste nach unten gehen, sie begrüßen.

      Sie stand in der offenen Tür, als Jacqueline und Simon Doyle aus dem Auto stiegen.

      »Linnet!« Jackie kam ihr entgegengelaufen. »Das ist Simon. Simon, das ist Linnet. Ganz einfach der wunderbarste Mensch auf der Welt.«

      Linnet betrachtete den großen, breitschultrigen jungen Mann mit den ganz dunkelblauen Augen, den braunen Kräusellocken, dem energischen Kinn und dem anziehenden, arglosen Jungenlächeln …

      Sie streckte die Hand aus. Die andere Hand, die ihre ergriff, war fest und warm … Sie mochte, wie er sie ansah, mit naiver, echter Bewunderung.

      Jackie hatte ihm erklärt, Linnet sei wunderbar, und es war deutlich, dass er das auch fand …

      Ein süßes warmes Rauschgefühl lief ihr durch die Adern. »Ist das nicht alles wundervoll!«, sagte sie. »Kommen Sie herein, Simon, herzlich willkommen, mein neuer Gutsverwalter.«

      Dann drehte sie sich um, ging vor und dachte: »Ich bin schrecklich – schrecklich glücklich. Jackies junger Mann gefällt mir … Gefällt mir enorm …«

      Und plötzlich ein Stich: »Hast du ein Glück, Jackie …«

      VIII

      Tim Allerton ließ sich in den Korbsessel zurücksinken und sah gähnend hinaus aufs Meer. Dann warf er einen raschen Seitenblick auf seine Mutter.

      Mrs Allerton war um die fünfzig, sah gut aus und hatte weiße Haare. Sie kniff immer, wenn sie ihren Sohn ansah, die Lippen betont streng zusammen, nur um ihre sehr innigen Gefühle für ihn zu verbergen. Aber selbst Fremde ließen sich von dieser Maßnahme selten täuschen, und Tim hatte sie komplett durchschaut.

      »Magst du Mallorca eigentlich, Mutter?«, fragte er.

      »Na ja«, gab Mrs Allerton zu bedenken, »es ist billig.«

      »Und kalt.« Tim fröstelte.

      Er war groß und dünn, ein eher schmalbrüstiger junger Mann mit dunklen Haaren. Er hatte einen sehr weichen, hübschen Mund, ein Kinn, das nicht die größte Entschlussfreude verriet, und zarte, lange Hände. Er war körperlich nie der Robusteste gewesen und vor ein paar Jahren sogar fast schwindsüchtig. Allgemein hieß es, »er schreibt«, aber seine Freunde wussten, dass er Fragen nach seinem literarischen Ausstoß nicht eben förderte.

      »Woran denkst du, Tim?« Mrs Allerton war immer auf der Hut. Sie sah ihn an aus ihren strahlenden, aber argwöhnischen dunkelbraunen Augen.

      Tim grinste zurück. »Gerade dachte ich an Ägypten.«

      »Ägypten?« Es klang ungläubig.

      »Da ist es wirklich warm. Nur träger goldener Sand. Der Nil. Ich würde gern mal den Nil hinauffahren, du nicht?«

      »O doch, sehr gern sogar«, kam es trocken zurück. »Aber Ägypten ist teuer, mein Lieber. Nichts für Leute, die mit dem Pfennig rechnen müssen.«

      Tim lachte, stand auf und reckte sich. Er sah plötzlich hellwach und lebhaft aus. Auch seine Stimme hatte etwas Erregtes. »Die Kosten übernehme ich. Ja, Liebling. Ein kleines Abenteuer an der Börse. Mit durch und durch befriedigendem Ausgang. Ich hab’s heute Morgen erfahren.«

      »Heute Morgen?«, fragte Mrs Allerton scharf. »Du hast doch nur den einen Brief bekommen, und der –« Sie schwieg und biss sich auf die Lippe.

      Tim war einen Augenblick lang unschlüssig, ob er sich amüsieren oder ärgern sollte. »Und der war von Joanna«, beendete er dann kühl ihren Satz. »Ganz recht, Mutter. Du könntest die Königin der Detektive werden. Hercule Poirot müsste um seine Lorbeeren bangen, wenn du in der Nähe wärst.«

      Mrs Allerton sah ihn verdrießlich an. »Ich habe doch nur zufällig die Schrift gesehen –«

      »Und erkannt, dass die nicht von einem Börsenmakler stammt? Ganz recht. Ich habe es in Wirklichkeit auch gestern schon erfahren. Arme Joanna, ihre Schrift sticht wirklich ins Auge – sie krakelt über den ganzen Briefumschlag, wie eine betrunkene Spinne.«

      »Was schreibt sie denn? Irgendetwas Neues?«

      Mrs Allerton gab sich alle Mühe, beiläufig und normal zu klingen. Die Freundschaft zwischen ihrem Sohn und seiner Cousine zweiten Grades, Joanna Southwood, war ihr ein Dorn im Auge. Nicht dass da »mehr dran« war, wie sie für sich beschlossen hatte. Da war sie ziemlich sicher. Tim hatte nie romantische Interessen an Joanna geäußert und sie an ihm auch nicht. Was sie zusammenhielt, waren wohl ihre Klatschlust und unzählige gemeinsame Freunde und Bekannte. Beide hatten gern Leute um sich und tratschten auch gern über sie. Joanna hatte Witz, allerdings durchaus beißenden.

      Nicht also, dass Mrs Allerton befürchtete, Tim könnte sich in Joanna verlieben, und deshalb immer etwas Steifleinenes bekam, sobald Joanna anwesend war oder ein Brief von ihr kam. Es war etwas anderes, schwer Definierbares – uneingestandene Eifersucht vielleicht darauf, dass Tim offensichtlich echten Spaß an Joannas Gesellschaft fand. Mrs Allerton und ihr Sohn waren ein so perfektes Gespann, dass sie immer nur leicht alarmiert mit ansehen konnte, wenn er sich für eine andere Frau interessierte oder sich von ihr in Anspruch nehmen ließ. Außerdem bekam sie dann auch immer das ungute Gefühl, ihre eigene Anwesenheit könnte wie eine Barriere zwischen zwei Menschen der jüngeren Generation wirken. Sie war oft dazugestoßen, wenn Tim und Joanna in ein lebhaftes Gespräch vertieft waren, und allein ihr Erscheinen hatte die Unterhaltung zuerst ins Stocken gebracht, und danach hatte es geklungen, als ob sie betont mit einbezogen werden sollte, pflichtschuldig. Fest stand, Mrs Allerton mochte Joanna Southwood nicht. Sie fand sie unaufrichtig, affektiert und zutiefst oberflächlich. Und es fiel ihr sehr schwer, das nicht in unziemlicher Deutlichkeit kundzutun.

      Als Antwort auf ihre Frage zog Tim den Brief aus der Tasche und überflog ihn. Er war ziemlich lang, stellte seine Mutter fest.

      »Nichts Besonderes«, sagte er schließlich. »Die Devenishs lassen sich scheiden. Den alten Monty haben sie betrunken am Steuer erwischt. Windlesham ist in Kanada. War wohl ein schwerer Schlag für ihn, dass Linnet Ridgeway ihm den Laufpass gegeben hat. Sie heiratet jetzt tatsächlich diesen Verwalter.«

      »Wie unkonventionell! Ist er sehr schlimm?«

      »Nein, nein, gar nicht. Gehört zu den Doyles aus Devonshire. Kein Geld, natürlich – und eigentlich war er mit einer von Linnets besten Freundinnen verlobt. Ziemlich übel, das Ding.«

      »Ich finde so etwas überhaupt nicht nett.« Mrs Allerton war zornrot geworden.

      Tim warf ihr einen liebevollen Blick zu. »Ich weiß, meine Liebe. Du kannst es nicht ausstehen, wenn man anderen den Mann wegschnappt und solche Sachen.«

      »Zu meiner Zeit hatte man noch Anstand«, sagte Mrs Allerton. »Und das war auch gut so! Die jungen Leute von heute scheinen zu glauben, sie dürften einfach alles machen, was ihnen in den Kopf kommt.«

      Tim lächelte. »Das glauben sie nicht nur. Sie


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