Tödliche Tournee. Horst Friedrichs
Читать онлайн книгу.In den Gassen vor den Veranstalter-Büros und den Garderoben herrschte reger Betrieb. Techniker und Platzordner lieferten ausgefüllte Formulare ab und gaben sich die Türknäufe in die Hand. Reporter und Fotografen traten sich auf die Füße. Uniformierte Sicherheitskräfte drängten einen Pulk von Fans zurück, die noch immer ausharrten, um Autogramme der Ramblers zu erhaschen. Doch zwei Figuren passten nach Jims Meinung nicht in das Bild, an das er nun schon gewohnt war.
Er konnte die enge Gasse zwischen Jessicas und Belles Garderoben zur Hälfte einsehen.
Dort lungerten die beiden Burschen, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, dass sie sich diesen Platz ausgesucht hatten, um an ihren Bierdosen zu nuckeln und sich einen Glimmstängel nach dem anderen zwischen die Zähne zu klemmen. Und keiner von den hin und her Eilenden schien sie zu bemerken. Nicht einmal die, die eigentlich für die Sicherheit verantwortlich waren.
Jim wandte sich von der Rampe ab und ging zu den beiden Männern hinüber. Noch bevor die Kerle ihn bemerken konnten, drehte er sich halb um und gab seinem Partner ein Handzeichen.
Bob brauchte nicht lange zu überlegen. Er setzte sich in Marsch.
Jim ging auf die Mobile Homes zu. Sowohl Jessica als auch Belle hielten sich in den kastenförmigen Dingern auf, die man auf Räder stellen und durch die Gegend kutschieren konnte. Schräg gegenüber nahmen Dennis Huffman und Calvin Kyles vor dem Eingang ihrer Garderobe verpackte Pizza-Viertel entgegen, die ein flachsblonder Halbwüchsiger ihnen besorgt hatte.
Dennis nickte Jim zu. Weder Calvin noch er hatten den richtigen Blickwinkel, um die beiden herumlungernden Burschen sehen zu können.
Der hochgewachsene Texaner erreichte den Eingang der engeren Gasse zwischen den beiden Kästen.
Die Burschen rührten sich nicht, standen lässig mit den Schultern angelehnt. Sie sahen Jim zwar, taten aber so, als wäre er gar nicht vorhanden. Der Schwarzhaarige mit dem Schnauzbart zupfte mit aufreizend langsamen Bewegungen eine Zigarette aus seinem Päckchen, schob sie zwischen die Zähne, biss Kerben in das Filtermundstück und steckte den Tabak bedächtig mit einem Streichholz an. Der andere, mit einer schwarzen Baskenmütze über dem Stoppelhaar, ließ seine geleerte Bierdose fallen und zertrat sie. Unter der Sohle des Springerstiefels entstand ein blechernes, knirschendes Geräusch.
Jim drang grinsend in die Gasse vor. Mit einer schnellen Handbewegung nahm er dem Schnauzbärtigen die Zigarette aus dem Mund und trat sie aus.
Der Kerl starrte ihn mit einer Mischung aus Wut und Verwunderung an.
„Verschwindet“, sagte Jim. „Ihr habt euch in der Hausnummer geirrt, Freunde!“
Der Bierdosentreter reagierte schneller als sein Buddy mit dem klaffenden Gebiss. Er duckte sich wie eine angreifende Bulldogge und stieß sich ab. Der andere wich zurück.
Jim ließ den Heranschnellenden in seine hochruckenden Fäuste laufen.
Der heimtückische Tiefschlag, den der Borstenhaarige anbringen wollte, erreichte Jim nicht. Stattdessen wurde der Mann zurückgeschleudert und prallte gegen seinen unschlüssigen Kumpan.
Der Schnauzbärtige erschrak angesichts der sich anbahnenden Niederlage des anderen. Er warf sich herum, um sich aus dem Staub zu machen.
Bob Washburn empfing ihn, indem er seine perlweißen Zähne zeigte wie ein hungriger Grizzlybär. Der Bursche verharrte erschrocken.
Jim wartete nicht ab, wie diese Begrüßung ausging. Er setzte nach und erwischte den Kerl mit der Baskenmütze noch im Taumeln mit einer knallharten Geraden, die den Burschen außer Gefecht setzte.
Am anderen Ende der Gasse war Bob mit seinem Gegner – oder besser: Opfer – beschäftigt. Der Sehnige schwankte unter den punktgenau gezielten Hieben des ehemaligen Boxprofis, hielt sich aber mit erstaunlicher Energie immer noch senkrecht. Bob hielt inne, als sein Mann an die Wand sackte und in sich zusammenzusinken drohte. Mit einem Griff unter das Kinn bewahrte Bob den Burschen davor, den Erdboden aufzusuchen.
Jim hatte unterdessen den anderen gepackt und in die Vertikale gezogen. Graue Augen starrten ihn bösartig an.
„Ihr haltet euch für schlau“, zischte der Borstenhaarige in einem nasal klingenden Englisch. „Aber dafür kriegt ihr’s um so dicker, verlasst euch drauf!“
„Wir werden versuchen, uns daran zu erinnern“, entgegnete Jim eisig. „Fragt sich nur, ob wir euch laufen lassen oder dem County Sheriff übergeben.“
Der andere lachte verächtlich. „Spiel dich nicht auf, Monsieur. Ihr wollt euch wichtigmachen, was? Haben wir irgendwas getan, was den Sheriff vom Hocker reißt? Haben wir die süße Jessica vergewaltigt oder gekidnappt? Oder haben wir uns das kreolische Luder vorgenommen? Oder was?“
„Wir könnten höchstens euch rankriegen!“, schrie der andere. „Wegen vorsätzlicher … vorsätzlicher …“
„Körperverletzung“, half Bob ihm freundlich auf die Sprünge. „Warte noch einen Moment, Cajun, dann wird vorsätzliche schwere Körperverletzung draus.“
Der Sehnige schwieg. Sein Adamsapfel zeigte an, wie er krampfhaft schluckte.
Jim stieß den Kerl mit der Baskenmütze gegen Belle Fortunes Garderobe und starrte ihn aus schmalen Augen an. Der Mann fing an zu grinsen. Es war ein gemeines, hinterhältiges Grinsen. Und etwas Rätselhaftes ging von ihm aus, irgendeine Eigenschaft, die sich in keiner Weise einschätzen ließ.
Fand dieser verschlagene Typ einen besonderen Reiz daran, etwas anzudeuten, was er tatsächlich vorgehabt hatte? Oder noch vorhatte?
Burschen dieser Sorte gab es bei jeder solchen Großveranstaltung wie diesem Konzert der „Yellow Rose Ramblers“. Jim beruhigte sich damit. Leider gab es tatsächlich keine rechtliche Handhabe, das Duo aus dem Verkehr ziehen zu lassen. Sie hatten ja nichts verbrochen.
„Haut ab“, sagte Jim daher kurzentschlossen.
Bob schnappte sich die beiden Burschen und trieb sie auf der anderen Seite aus der Gasse hinaus in Richtung Parkplatz.
Sie stolperten durch das kniehohe Gras. Der mit der Baskenmütze drehte sich noch einmal um.
„Au revoir!“, schrie er. „Auf Wiedersehen!“
„Na, das wollen wir doch nicht hoffen“, knurrte Bob.
Die beiden Trucker wechselten einen Blick.
„Ich bin aber sicher, das können wir wörtlich nehmen“, sagte Jim.
„Dann sollten wir ihnen schnell diese Flausen austreiben“, entgegnete Bob und grinste wieder. „Noch können wir sie erwischen.“
Aber dass er die ganze Sache nicht ernst nahm, war schon in seinen Mundwinkeln zu erkennen.
3
Jessica James hatte die Tür des Mobile Homes geöffnet. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich Bestürzung. „Jim!“, rief sie. „Das hörte sich ja so an, als ob jemand durch die Wand wollte!“
Humor hatte sie trotz allem, das musste man ihr lassen.
Auch Belle Fortune erschien vor ihrer Garderobe.
Jim und Bob erklärten den beiden Stars der Country-Swing-Szene, was sich abgespielt hatte.
„Cajuns“, sagte Belle und zog die Mundwinkel nach unten. „Das können mächtig verbohrte Burschen sein! Kein Wunder. Die leben im Bayou-Land, wo sie manchmal monatelang keinen Menschen zu sehen kriegen – nur Alligatoren und Sumpfhühner.“
Die beiden Trucker nickten.
Sie befanden sich in Ost-Texas, im Big Thicket, dem großen Dickicht. Das Land grenzte an Louisiana, an die Niederungen des Red River und an das Mississippi-Delta. Weite Seen, Sumpfgebiete und eben jene typische Bayou-Landschaft wie im Nachbarstaat gab es auch hier, in diesem außergewöhnlichen Teil von Texas.
Bayou werden alle Arten von Wasserläufen genannt,