Einmal Himmel und zurück. Rudi Bacher

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Einmal Himmel und zurück - Rudi Bacher


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wenn Du nicht jemanden hast, der dich führt. Da ist es schon sehr viel einfacher, einem Plan zu folgen und dieser Plan heißt – im Falle der Christen – Jesus. Nicht umsonst sagt Er von Sich: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“

      „Kann man sich denn dann nicht auch dafür entscheiden, keinen Weg zu gehen, um nicht den falschen zu wählen?“, frage ich.

      „Das käme dem Gleichnis vom anvertrauten Geld nahe und ist nicht im Sinne Gottes (Matthäus 25). Du erinnerst dich: der dritte der Auserwählten des Reichen vergrub seinen Anteil, um ja keinen Fehler zu machen. Wer keine Sache wagt, kann auch kaum Verfehlungen begehen. Fehler zu machen, ist nicht das Problem. Ich sagte bereits, man kann jederzeit umkehren. Es kommt vielmehr darauf an, wie du mit diesen Verfehlungen umgehst, sobald du sie als Verfehlung erkennst. Diese Entscheidung prägt viel mehr als die Verfehlung selbst. So kehrst du dich innerlich immer mehr der Wahrhaftigkeit, dem Himmel zu; oder aber du gleitest ab in die Unwirklichkeit, bis nichts mehr so ist, wie du es haben möchtest, weil die Grenzen, die du setzt, dich einengen.

      Freude ist des Himmels wichtigstes Anliegen, während das, was ihr Hölle nennt, nur noch ewige Einsamkeit bietet, weil du keine Freunde mehr hast, denn selbst die letzten Freunde, die dir geblieben sind, verurteilst du. Himmel und Hölle sind derselbe Platz. Es mag dir paradox erscheinen. Bist du in dem, was Himmel ist, dann bist du unangreifbar, unverletzbar, frei. Bist du in dem, was Hölle ist, dann bist du Gefangener deiner selbst, deiner von dir gestalteten Umwelt, kannst jedoch hier – abgeschieden von deiner früheren Welt – niemandem mehr Schaden zufügen. Das ist umso bedauerlicher, weil für diese Machtmenschen gerade die Unterdrückung des Anderen, die Besserwisserei, das ,über allen Anderen stehen‘, die Triebfeder ihres Tuns und Denkens auf Erden war.

      Ich muss aber jetzt weiter, und lasse dich für eine Weile hier. Bald wirst du jemanden treffen, der dich sehr gerne mag. Er wird dir weiterhelfen. Er weiß schon, wo du in deiner Entwicklung stehst und welche Informationen er dir zumuten kann.

      Eines muss ich dir noch sagen: diese Vorstufe – wenn wir es so nennen wollen – erlaubt dir, dich auf der Erde zu bewegen, so, wie du sie kennst. Es sind dir aber auch Seitenblicke erlaubt, in zeitlicher und geographischer Hinsicht. Die Menschen, die du kennst, werden dir so begegnen, wie du sie in Erinnerung hast. Es können dir aber auch Menschen begegnen, die du nicht kanntest und du wirst dich manchmal fragen, ob diese Person nun im Zustand vor dessen Tod oder sich wie du bereits in dieser “Vorstufe“ befindet. Diese “Vorstufe“ ist demnach immer noch voller Beschränkungen – zumindest für dich als Besucher.

      Wir sehen uns wieder, wenn ich dich zurückbringe. Bis dann.“

      Fort war er. Einfach weg. Dabei hätte ich noch so viele Fragen. Ich spürte, dass Egon noch immer da war, aber der Kontakt war weg. Das funktioniert wohl nur, wenn beide Teile wollen. So machte ich mich auf den Weg. Ich genoss. Alles. Es ist unbeschreiblich, fast hätte ich gesagt, zu Lebzeiten hatte ich keine so schöne Minute. Aber was heißt zu Lebzeiten? Das hier ist das Leben. Zumindest war alles, was ich bisher als Leben bezeichnet hatte, ein schwacher Abglanz dessen, was mir hier gegönnt ist. Wenn das noch nicht das vollendete Leben ist, was mehr kann es noch geben?

      Manchmal auf der Erde hatte ich den Wunsch, die Zeit anzuhalten. Wenn ich auf einem hohen Berg stand, nach all der Mühe des Aufstiegs, zufrieden mit mir selbst, und in die weite Landschaft blickte, die frische Luft atmete, mich der Stille der Natur erfreute, wenn das Glücksgefühl mich überwältigte, dann dachte ich oft bei mir „Heute abends wirst du wieder im Tal sein, mit all den Sorgen des Alltags. Man sollte diesen Moment archivieren und bei Bedarf abrufen können“. Leider konnte man das nicht. Hier scheint es problemlos zu funktionieren. Nicht nur das, die Eindrücke sind noch viel intensiver, viel tiefer, viel echter.

      Das erinnert mich an die Geschichte von Henoch aus der Bibel. Henoch war ein direkter Nachfahre von Seth, Abel, Adam. Aber von Letzterem stammen wir ja alle ab, und etwas von Kain und Abel schlummert in jedem von uns.

      Henoch war kein Gottesfanatiker. Henoch war ein Pragmatiker. Seine oberste Devise war: „Wenn sich nach meinem Tod herausstellt, dass es keinen Gott gibt, hat es mir nicht geschadet, trotzdem daran geglaubt zu haben. Wenn es aber einen Gott gibt, dann habe ich den richtigen Weg gewählt, wenn ich an ihn glaube. Also ist es besser, an Gott zu glauben als nicht an ihn zu glauben.“

      Henoch war ein friedfertiger Mann, er konnte mit Jedem und Jeder konnte mit ihm. Eines Tages entschloss sich Gott, Henoch die Schöpfung zu erklären, damit er den Menschen, die sich mehr und mehr von Gott abwandten, davon erzähle. Und Henoch reiste hin und her in der Schöpfungsgeschichte, von Anbeginn der Welt bis in die Gegenwart, und er war davon fasziniert.

      Vor genau dieser Offenbarung stehe ich jetzt und komme mir vor wie Henoch. So etwas wie Zeit scheint es hier nicht zu geben. Ich kann nicht nur den Moment einfrieren und die Zeit anhalten, ja ich kann sie auch beschleunigen, im Zeitraffer vor- oder zurücklaufen lassen oder mich gänzlich in eine andere Epoche hineinversetzen. Ich reite auf einem Pferd neben Alexander dem Großen; lebe in den Steinhäusern der Inkas auf Machu Picchu; schaue zurück in die Welt der Dinosaurier; lausche den Beatles im Plattenstudio, gerade als sie den Erfolgssong ´Yesterday´ aufnehmen oder finde mich auf der Aussichtsterrasse des World Trade Centers, gerade als sich das Flugzeug der Terroristen im Anflug befindet. Ich stehe auf dem Appellplatz von Auschwitz; neben Adolf Hitler am Balkon des Heldenplatzes in Wien; ich wohne der Kreuzigung Christi am Golgatha bei oder bin Zeuge bei der Planung der Pyramiden des Pharaos. Ich kann mich auf der Zeitachse hinauf und hinunter bewegen. Ein Traum für jeden Historiker. Mit einem Mal sind alle Rätsel der Geschichte gelöst. Dabei aber beschleicht mich kein Gefühl der Trauer, auch keine Spur von Furcht, denn keiner der Umstehenden kann mich sehen, wenn mir nicht danach ist, und ich kann mich jederzeit wieder ausblenden.

      Noch etwas fällt mir auf. Es gibt keinen Wettbewerb. Was uns auf Erden antreibt, ist der Wettbewerb. Sei es im Sport, in der Politik, in der Wirtschaft. Überall ist Wettbewerb. Jeder gegen Jeden. Wettbewerb ist der Antrieb, etwas Neues zu schaffen. Das ist an sich nichts Schlechtes, aber hier oben scheint es nichts Neues mehr zu benötigen, alle Entdeckungen und Erfindungen der Gegenwart und der Zukunft sind bereits da. Jeder scheint mit denselben Kenntnissen und Möglichkeiten ausgestattet zu sein. Ich werfe keinen Ball von A nach B, sondern ich „denke“ den Ball nach B. Stellen Sie sich vor, ein Stürmer steht mit dem Ball vor dem Tormann: Der Stürmer „denkt“ sich den Ball ins Tor, der Tormann „denkt“ sich den Ball in seine Hand. Das funktioniert nicht.

      Du errätst jeden Schachzug des Gegners, weil Du selbst diesen Zug wählen würdest. Der Slalomfahrer ist gleichzeitig mit seinem Konkurrenten im Ziel und im Kegeln fallen jedes Mal alle Neune, bei allen Mitspielern.

      Ich bin überfordert. Andererseits, es gibt so viel zu erkunden, dass mir die Sache mit dem Wettbewerb im Augenblick ziemlich egal ist. Darüber aber später mehr.

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