Tumor Talk. Marion Hartmann

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Tumor Talk - Marion Hartmann


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gegebenenfalls nochmal medikamentös nachzusteuern. Die Ärztin erstellt gleich einen Behandlungsplan und trägt die Termine für die notwendigen Voruntersuchungen auch in den Abteilungen der Klinik ein. Etwas überfordert von der Fülle und Dichte der Informationen mache ich mich auf den Heimweg. Ich versuche mir vorzustellen, wie es sein wird, für alle Behandlungen hierher zu fahren.

      Verrückt sein

      Verrückt sein hilft. Ich sitze in meinem Garten und bin etwas verrückt. Ich habe ein Bewässerungssystem aus Tropfschläuchen verlegt, das der Optimierung bedarf. Es gibt Beete, die noch nicht ausreichend mit Wasser versorgt sind. Also habe ich im Bauhaus nach Eichhörnchen-Prinzip, nicht Alles auf einmal, kleinschrittig, grundschultauglich, fünfzig Meter Schlauch mit dem vielversprechenden Namen „Micro-Drip-System" nachgekauft. Fein, super, prima, I love Bauhaus! Aber im Garten angekommen musste ich feststellen, dass in dem Schlauch keine Löcher sind. Praktisch veranlagt, wie immer, schneide ich mit einer Schere kurzerhand Löcher in den Schlauch, warum auch nicht, trotz aller möglichen Bedenken einer Mitarbeiterin im Baumarkt. Und? Spontanspringbrunnen tun sich auf. Ich klebe einfach die Löcher, die nicht gebraucht werden, mit Gewebeband zu, so sprudelt es eben an einer anderen Stelle heraus. Spontanspringbrunnen bleiben es! Das macht nichts, im Gegenteil, ich kann über mich selbst lachen. Besser vorher das Zubehör gründlich betrachten, um nicht das Verkehrte zu kaufen, so wie mir gerade geschehen☺! Außerdem trinke ich jetzt einfach mal ein Bier hier draußen, scheiß auf den Tumor! So habe ich dann eben eine neue Aufgabe, nämlich im Bauhaus den richtigen Tropfschlauch zu kaufen.

      Aufklärungsgespräch Chemotherapie

      Hört sich fast wie ein Trainingsplan von meinem Personal Physical Trainee auf neudeutsch an, meine nächste Woche und vor Allem das nächste halbe Jahr Chemotherapie. Ich habe mich für die Behandlung in der Charité entschieden. Die Ärzte haben eine ähnliche Behandlung wie im Waldkrankenhaus vorgeschlagen. Beide Kliniken belassen den Tumor in meiner Brust. Der einzige Unterschied ist, dass man mir in der Charité zwei andere Zytostatika, als ich damals bekommen habe, für die Chemotherapie empfiehlt. Diese beiden Medikamente wirken besser auf den vermutlich bei mir vorliegenden, genmutierten Tumor. Darüber hinaus kann ein Medikament von damals bei nochmaligem Einsatz Herzschädigungen hervorrufen. Diese beiden Feinheiten in der Behandlung haben mich überzeugt, mich in der Charité behandeln zu lassen. Die Voruntersuchungen müssen als erstes gemacht werden, um sicher zu sein, dass der Krebs nicht gestreut, also keine Metastasen gebildet hat. Auch im Waldkrankenhaus hätten sie wie jetzt in der Charité zu Beginn untersucht, ob der Tumor bei mir erblich bedingt ist, um darauf die anschließende Behandlung mit Chemotherapie genauer abstimmen zu können. Zunächst habe ich ein Echokardiogramm, bei dem das Herz unter Belastung geschallt wird, Ultraschall, um festzustellen, wie belastbar mein Herz ist und ob ich die Chemotherapie möglichst unbeschadet überstehe. Dann folgt die gentechnische Untersuchung, um mit allen Werten eine optimale Medikation für die Chemo festzulegen. Vom Skelett wird eine Aufnahme gemacht, ein sogenanntes Knochenszintigramm, von Lunge und Leber wird ein CT gemacht, um auch hier Metastasen auszuschließen.

      Um es mir nochmal zu vergegenwärtigen: mein Körper wird das nächste halbe Jahr vergiftet. Differenzierter hingeschaut bedeutet das, alle besonders schnell wachsenden und sich teilenden Zellen werden abgetötet. Das sind neben den Tumorzellen die Ringzellen auf dem Kopf, deswegen der Haarausfall, die Schleimhäute im Magen- und Darmbereich, deswegen oftmals Übelkeit oder auch Verdauungsbeschwerden, die Mund- und Nasenschleimhaut, wodurch man als Folge leichter eine Erkältung bekommen kann. Das Immunsystem wird insgesamt geschwächt, weil die Stellen im Knochenmark, an denen die Blutkörperchen gebildet werden, auch angegriffen werden. Ich erinnere mich an meine Krebserkrankung vor neunzehn Jahren, was mir geholfen hat und was ich essen konnte und werde mich dementsprechend eindecken. Die sechs Chemos werden im Abstand von drei Wochen jeweils intravenös verabreicht, laufen also über fast ein halbes Jahr. Die Chemotherapie ist eine Tortur, aber ich werde sie über mich ergehen lassen, um sicherzugehen, dass wirklich alle Tumorzellen im gesamten Körper abgetötet werden.

      Echo-Kardiogramm

      Hilfe, was für eine Rumpelbude! Das einzig scheinbar Moderne in dieser Praxis ist das EKG-Gerät. Die Hygiene, gleich Hyäne, schreit zum Himmel! Der Eingangsbereich ist mit graumeliertem, abgetretenem Teppichboden ausgelegt. Darüber liegen riesige Schmutzfangmatten, die genauso schmuddelig wie der Teppichboden sind. Gut, dass hier keine Operationen am offenen Herzen durchgeführt werden. Die Wände sind beschmiert, wie Wände halt so sind, wenn Stuhllehnen an ihnen entlang geschoben werden. Auf der Untersuchungsliege sitze ich auf den Schuppen meiner Vorgänger. Nicht, dass ich ständig superreinlich bin, aber winzige Ansprüche an die Reinlichkeit einer Arztpraxis habe ich schon. Die Türen sind rotbraun furniert, Ende siebziger Jahre Design. Das Wartezimmer befindet sich aus Platzgründen im Flur mit beschriebener Auslegeware. Irgendwie hätte ich sowas zu Zeiten der industriellen Revolution vor hundert Jahren erwartet, aber nicht jetzt. Die Untersuchungsräume sind nur durch Vorhänge voneinander abgetrennt, von wegen vertraulichem Arztgespräch. Der Besprechungsraum der Ärztin scheint zumindest abgeschlossen zu sein. Aber es war bei einer Patientin vor mir die Stimme eines Mannes, also einer dritten Person, zu hören. Ich will auf jeden Fall niemand Fremdes bei meinem Arztgespräch dabei haben. Abgesehen von dieser ausführlichen Beschreibung der Praxis und einer kleinen Ärztin, Miss Marple, also der Schauspielerin Margret Rutherford ähnelnden Dame, stellte sich heraus, dass mein Herz die Chemotherapie überstehen und aushalten wird. Eine Bemerkung am Rande: meine rechte Herzkammer ist kleiner als die linke. Ich solle in Zukunft Erkältungen richtig auskurieren, vermutlich, um meinem Herz nicht zu schaden.

      Heute strahl' ich mal - Knochenszintigramm

      Manchmal ist es besser, nicht Alles zu wissen, was auf einen zukommt! Aber ich weiß es halt schon. Ich bin es leid, obwohl ich noch nicht einmal die erste Chemo hinter mir habe. Scheißtumor! Es gibt so unendlich viele Dumpfbacken auf der Erde, die einfach so in den Tag hinein leben, fressen und saufen, was und wie viel sie wollen. Die erfreuen sich bester Gesundheit und wünschen einem zum Geburtstag paradoxerweise Gesundheit. Ja, das ist ungerecht von mir. Aber ich darf gefälligst auch mal ungerecht sein! Alles richtig gemacht, gesund gelebt, Sport gemacht, nicht geraucht, Alkohol in Maßen, und trotzdem hat's mich zum zweiten Mal erwischt! Verdammt! Die Nacht habe ich eine gefühlte Ewigkeit gebraucht, um einzuschlafen. Mein Gedankenkarussell ist mal wieder ungefragt angelaufen. Einmal in Schwung gekommen, hilft fast nur noch der beherzte Absprung oder die Notbremse und da hätte ich Angst, aus dem Bett zu fallen. Alles nur gefühlt! Wie fühlt es sich an, die radioaktive Flüssigkeit in meinem Körper zu haben? Nebenwirkungen gibt es nicht. Aber am Straßenverkehr soll ich trotzdem nicht aktiv teilnehmen, Schwangeren, Stillenden und Kleinkindern nicht zu nah kommen, seltsam! Aber ich muss es ja wollen und annehmen. Das ist die effektivste Methode, um festzustellen, ob Metastasen am Skelett sind, das habe ich ja schon zweimal durchlaufen. Wäre ich unbedarft gewesen wie damals, hätte ich zumindest gut geschlafen. Hätte, hätte Fahrradkette! Jetzt ist jetzt und heute ist Knochenszintigramm. Chill‘ mal, Frau Hartmann, fällt mir aber gerade eher schwer! Ihr lieben Knochen, macht Euch nackig! Und Ihr, fiese Krebszellen, zeigt Euer hässliches Antlitz! Ich will Euch nicht! Ihr oder ich, und das ist keine Frage! I C H! Ihr verschwindet gefälligst! Das ist ein Befehl, keine Bitte!

      Auf Arbeit - Zuständigkeit: meine Heilung

      Ich wache auf und habe dieses wunderbar behagliche Gefühl, die Temperatur stimmt, die Decke ist kuschelig, die üblichen Wohlfühlparameter für einen guten Start in den Tag. Doch eine kurze Frage nagt an mir: ist jetzt Wochenende, Tagesfreizeit? Nein. Mein Job ist, gesund zu werden und darin kenne ich mich aus. Die Sonne scheint und auch wenn gefühlt sibirische Kälte durch das leicht geöffnete Fenster in mein Schlafzimmer hereindringt: ich packe es! Ich will leben! Die Lebensgeister sind da, die Überlebensgeister! Endlich, heute, gibt es Gewissheit, ob noch Metastasen irgendwo sind und ich bekomme den Terminplan. Ich hasse Nichts mehr, als in der Luft zu hängen, zu Handlungsunfähigkeit verurteilt zu sein. Arbeiten in der Schule will ich jetzt nicht mehr, ich brauche die Kraft für mich. Und ich will hinterher wieder mit Kindern arbeiten, als Lehrerin, wie bisher. Die Kinder sind wie sie sind, sie können nichts dafür.

      Ich radele Richtung Charité Mitte, vorbei am Schloss Bellevue und winke, in der Vorstellung natürlich, aber Herr Steinmeier winkt nicht zurück. Ich schmunzele ob meiner Vorstellung


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