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HERMANN GRABHER
von wegen
früher war alles besser
© 2020 HERMANN GRABHER
Verlag und Druck:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN | |
Paperback: | 978-3-347-02433-5 |
Hardcover: | 978-3-347-02434-2 |
e-Book: | 978-3-347-02435-9 |
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1 Als ich noch jung war
Als ich geboren wurde, schrieb man das Jahr 1940. Man befand sich im zweiten Jahr des Zweiten Weltkriegs. Und diese Welt war in Aufruhr. Auf unserer Erde brannte es lichterloh. Frauen, die Knaben zur Welt brachten, fragten sich voller Sorge: Muss auch dieses Kind dereinst mal in den Krieg ziehen? Deshalb hätten alle Mütter lieber Mädchen geboren.
In der ersten Klasse waren wir zu meinem Erstaunen doppelt so viele Buben wie Mädchen im Schulzimmer. Als ich nach dem ersten Schultag meiner Mutter von dieser meiner Feststellung erzählte, antwortete sie: «Das richtet die Natur so ein. Im Krieg fallen Männer als Soldaten, also muss der fehlende männliche Anteil entsprechend wieder kompensiert werden!» Mich, den Erstklässler, traf diese Bemerkung der Mutter tief ins Herz. Denn das hiess wohl nichts anderes, als dass auch ich mal dereinst vielleicht ausersehen sein würde als Kanonenfutter missbraucht zu werden. So nahm ich mir fest vor, nie Soldat zu werden und dies gelang mir. Entsprechend meiner damaligen eigenen Vorgabe schaffte ich es, dass ich nie in meinem Leben ein Gewehr in meinen Händen halten musste. Folglich feuerte ich auch nie je einen Schuss ab. Man kann diesen meinen Entschluss, entschieden von einem Menschen in frühen Jahren seines Lebens, als Feigheit abtun. Und so falsch ist diese Vermutung gar nicht, denn gewiss war auch eine Portion fehlender Mut mitbestimmend für diese meine Einstellung. Allerdings versuchte ich damit vor allem und in erster Linie meine Gesinnung auszudrücken, die Gesinnung eines durch die Kriegsereignisse gereiften Kindes, das sich vornahm, niemals mit Gewalt ein Problem zu lösen. Ich war somit ein kleiner Pazifist, ohne diesen Begriff überhaupt zu kennen.
Als ich noch jung war, liebte ich es jenes zu hören, was Alte aus früheren Zeiten erzählten. Diese Alten waren oft noch gar nicht besonders alt. Aber wenn man zehn, fünfzehn oder zwanzig Lenze zählt, können selbst lumpige fünfzig Lebensjahre schon eine beeindruckende Marke darstellen. Es waren meine Eltern, meine Onkel und Tanten, die Grosseltern, Nachbarn, Mitarbeiter meines Vaters und manche andere, die aus vergangenen Zeiten berichteten. Damals war ich sehr glücklich, dass ich in der «Neuzeit» leben durfte, denn wie es schien, war es alles andere als einfach, sich in früheren Epochen durchs Leben kämpfen zu müssen. So vieles stellte sich den Menschen unserer Vorgängergenerationen als schwierige Hürden in den Weg: Grassierende Arbeitslosigkeit. Kleine bis allerkleinste Entlohnung für ehrliche Arbeit. Krankheiten und Seuchen, bei denen die Medizin machtlos war und die Menschen zu Hunderten weggerafft wurden. Kriege, die Angst, Zerstörung und Tod brachten. Wenig Brot auf dem Teller, von Fleisch oder Käse gar nicht zu reden. Weder elektrischer Strom noch fliessendes Wasser im Haus. Schlafkammern ohne Heizung, Betten ohne jeglichen Komfort. Bettdecken, die kratzten, weil sie mit Laub gefüllt waren und die sehr wenig wärmten. Kleider und Schuhe, die für die kalte Jahreszeit nur bedingt geeignet waren, weil sie nicht in der Lage waren Kälte und Nässe wirksam abzuhalten. Dies hörte sich alles andere als lebenswert an, eigentlich im Gegenteil ziemlich lebensfeindlich – kurz gesagt schrecklich!
Was ich andererseits gar nicht nachvollziehen konnte, waren wehleidige Bemerkungen gewisser reifer Menschen, die man hin und wieder zu hören bekam. Nämlich, dass früher dennoch alles besser gewesen sei und dementsprechend und konsequenterweise heutzutage alles schlechter sei. Diese betonten, dass Dinge, die früher als wichtig und wertvoll galten, heute schnöde bachab gehen würden. Die Moral zum Beispiel, die Leistungsbereitschaft, der Lern- und Arbeitswille, der Respekt, die Leidensfähigkeit, die Gottesfurcht. Ja, es mangle an vielem, wurde von diesen betont, insbesondere und nicht zuletzt auch an der notwendigen Intelligenz. Früher seien die Menschen gescheiter gewesen, irgendwie vernünftiger. Man habe es gemacht, wie man es in der Vergangenheit schon je gemacht hatte und damit sei man gewiss nicht schlecht gefahren. Man habe nach dem gesunden Menschenverstand und dem guten Gefühl entschieden. Man habe ohne jegliche Spitzfindigkeit gespürt was gut und was schlecht sei. Und dass man damals vaterländische Ohrfeigen ausgeteilt habe, das sei soweit bestimmt auch kein Fehler gewesen, es habe niemandem geschadet. Dann hätten diejenigen, welche damit bedient wurden, das eben wohl verdient gehabt!
Wenn ich mich heute ertappe beim Einbringen einer persönlichen Bemerkung mit dem Neben- oder gar dem Einleitungssatz als ich noch jung war, kann meine Stimme unvermittelt ins Stocken geraten. Dann kann ich richtiggehend über mich selbst erschrecken, weil ich realisiere, dass ich ganz ohne Wenn und Aber in jener Generation angekommen bin, die gerne von früher erzählt und teilweise eben auch mit dem heute vergleicht. Das heisst: Ich bin offensichtlich alt geworden. Es kann vorkommen, dass ich über mich selbst erstaunt bin, weil auch ich ab und zu den Mahnfinger hebe, was ich früher in meinen jugendlichen Jahren bei älteren Menschen verabscheute. Weil ich darin die Geste ewig gestriger Besserwisser zu erkennen glaubte, etwas, was der Jugend noch nie zugesagt hat, in welcher Epoche auch immer sie lebte. Doch ich kann zu meiner eigenen Entlastung sagen, dass ich immerhin nicht zur Fraktion der notorischen Nörglern gehöre, zu den Negativdenkern, die voller trübsinniger Ahnung kundtun, die Welt gehe demnächst unter, ja wir alle seien sozusagen schon verloren, es gebe keine Rettung mehr, die Apokalypse habe schon eingesetzt. Im Gegenteil, ich bin einer, der es vorzieht, das Glas halbvoll und nicht halbleer zu sehen. Und ich betrachte meine positive Grundeinstellung als ein Segen. Denn neigt sich das Gemüt mehr dem Sonnenschein zu, denn der fatalen Kunst des Schwarzmalens, lebt es sich beschwingter. Eigentlich sollte sich jedermann dies zu seinem eigenen Vorteil beherzigen. Denn die Wissenschaft sagt: Eine positive Grundeinstellung hebt die Lebensqualität, kann den Lebenszyklus verlängern!
Ich stehe zu meiner dezidierten Meinung, dass sich die Welt grundsätzlich zwar weit nicht perfekt, aber durchaus in positiver Weise entwickelt hat im Zeitfenster meines Lebens. Auf vielen Gebieten konnten erhebliche Fortschritte erzielt werden, sehr zum Wohle von uns Erdbewohnern. Und dies lässt sich auch rein statistisch belegen: In den letzten sechzig Jahren hat sich die globale Lebenserwartung von einst 47 Jahren auf heute 72 Jahre erhöht! In der Schweiz liegt die Lebenserwartung sogar noch elf Jahre höher. Die Sterblichkeit von Kindern bis 15 Jahren liegt aktuell bei weniger als 4 Prozent. Vor siebzig Jahren lag die Zahl sieben Mal höher. Der Analphabetismus konnte weiter reduziert werden auf heute weniger als 10 Prozent weltweit. Diese Zahl bedeutet allerdings im Rückschluss, dass noch immer zirka 800 Millionen keinen Zugang zu einer rudimentären Schulbildung hatten oder haben – ein Skandal in unserer Zeit! Täglich bekommen 200'000 Menschen neu Zugang zu Trinkwasser und 325'000 Menschen erstmals einen elektrischen Anschluss. Nie zuvor gab es weniger Menschen in extremer Armut als heute. Allerdings ist im selben Atemzug anzumerken, dass der hierfür angewandte Richtwert des Tageseinkommens mit zwei US-Dollar als menschenverachtender Hohn betrachtet werden muss! Denn davon kann niemand existieren, auch im ärmsten Land der Welt ist dies nicht möglich! Eine beeindruckende Zahl von Seuchen und Krankheiten, einst Geisseln der Menschheit, wurden zwischenzeitlich endgültig besiegt. Dies heisst allerdings nicht, dass künftig keine Seuchen oder gar Pandemien mehr über uns hereinbrechen können. Denn unser mobiles Verhalten ist förderlich für diese Bedrohung. Immerhin dürfen wir darauf zählen Gefahren dieser Art heutzutage medizinisch und präventiv effizienter bekämpfen zu können. Die allgemeine Gesundheitsversorgung ist in vielen Ländern glücklicherweise umfassend und die Fürsorge-Institutionen und sozialen Einrichtungen helfen vor allem auch älteren, kranken und minder bemittelten Menschen über die Runden zu kommen. Andererseits besteht in vielen