Gesammelte Weihnachtsgeschichten. Charles Dickens

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Gesammelte Weihnachtsgeschichten - Charles Dickens


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Ihr sollet mir bald gar nicht mehr unter die Augen kommen.«

      Der Förster ging. »Hm«, dachte er auf dem Heimwege, »der Oberförster mag sagen, was er will. Meine Waldungen sind in der besten Ordnung. Er kann, so abgeneigt er mir ist, mir doch nichts anhaben. Ich lasse es darauf ankommen.« Er sagte indessen zu Hause den Seinigen von allem, was der Oberförster gesagt hatte, nichts, um sie nicht ohne Not zu betrüben.

      Allein bald darauf, da der alte Mann eben aus dem Walde zurückgekommen war und in seinem Lehnsessel ausruhte, trat ein Bote in die Stube, und überreichte ihm ein Schreiben vom Oberforstamte. In dem Schreiben stand: »Der bisherige Förster Grünewald sei vermöge höchsten Befehls, wegen Altersschwäche und davon herrührender Unfähigkeit, seines Dienstes entlassen und der Forst bis zur Wiederbesetzung einstweilen dem benachbarten Förster zu Waldenbruch zur Verwaltung übergeben worden.« Von einem Ruhegehalt für den verdienten alten Mann, von einer andern Anstellung seines Sohnes war keine Rede. Nur wurde noch bemerkt, der abgekommene Förster solle sich von dem Augenblicke an, da er dieses Schreiben erhalte, nicht mehr unterstehen, im Walde einen Schuß zu tun oder sich auch nur mit einem Gewehre blicken zu lassen, bei Strafe, daß es ihm abgenommen werde.

      Der alte Förster öffnete das Schreiben und ward sehr bestürzt; seine Hand zitterte, in der er es hielt. Indessen faßte er sich wieder und las den Seinigen, die in der Stube mit allerlei Arbeiten beschäftigt waren, das Schreiben laut vor. Die alte Försterin und ihre zwei Töchter wurden bleich vor Schrecken. Der junge Förster glühte vor Zorn über die Bosheit des Oberförsters. Die junge Försterin stand eine Weile sprachlos da und fing dann an, laut zu weinen. Ihre Kinder, die in der Stube spielten und die Mutter weinen sahen, weinten auch. Es entstand ein allgemeiner Jammer. Nur der alte ehrwürdige Förster stand ruhig in ihrer Mitte, und sprach: »Vergeßt nicht, daß der alte Gott noch lebt. Du, Großmutter, höre zuerst auf zu weinen, und gib unsern Kindern und Enkeln ein Beispiel von Vertrauen auf Gott. Gegen seinen Willen können böse Menschen uns nicht schaden. Diese Prüfung kommt von ihm; sie wird uns einmal zu unserm Besten gereichen. Also Mut gefaßt! Gott ist unser mächtiger Beschützer. Er verstoßt uns nicht, wenn uns auch alle Welt verstoßen sollte. Er, der gute, reiche Vater wird uns, seinen Kindern, nie an Brot fehlen lassen. Auf ihn wollen wir vertrauen und unverzagt und getrost sein.«

      »Indes«, fuhr er fort, »will ich nichts von dem unterlassen, was ich tun kann. Ich reise morgen des Tages zum Fürsten. Er ist so edelmütig, als sein hochseliger Vater. Er wird mich hören, so überhäuft er auch jetzt, bald nach dem Antritte seiner Regierung, mit Geschäften sein mag. Er ist gerecht, er wird nicht zugeben, daß man einen alten Diener, der dem Fürstenhause über vierzig Jahre treu und redlich diente, so ohne weiteres mit Weib, Kindern und Enkeln dem Mangel und dem Hungertode preisgebe. Du, Christian, mußt mich begleiten. Wir können ja jetzt beide abwesend sein, ohne den Oberförster um Urlaub zu bitten. Wir machen die Reise zu Fuß; das Reiten oder Fahren wäre für unsere jetzigen Umstände zu kostbar; ist auch gar nicht notwendig. Die nötigen Kleidungsstücke für die Reise finden in unsern Jagdtaschen wohl Platz. Macht nur Anstalt, daß morgen frühe alles bereit sei.«

      Der alte Förster war am folgenden Morgen schon vor Anbruch des Tages aufgestanden und weckte seinen Sohn. »Es wird mir zu lange, auf den Tag zu warten«, sagte er; »es ist ja Mondschein und wir kennen alle Wege. Laß uns gehen!« Die alte Försterin legte die grüne, goldbordierte Uniform hübsch zusammen, und schlug ein reines Leinentuch darüber, um sie bequemer in die Jagdtasche zu packen. Katharine brachte Weißzeug und einige Lebensmittel für die Reise. Die junge Försterin und Luise machten das Frühstück zurecht und kamen damit in die Stube. Die Kleinen schliefen noch. »Und bis wann gedenkst du denn wieder zurückzukommen?« fragte die alte Försterin ihren Mann. »Das weiß ich selbst noch nicht genau«, sprach er; »vor acht Tagen schwerlich.« »Morgen über vierzehn Tage ist der heilige Weihnachtsabend«, sagte die alte Försterin; »bis dahin kommst du doch gewiß?« »Will’s Gott, morgen über acht Tage«, sagte der Förster. »Übrigens gehe es wie es wolle, den heiligen Weihnachtsabend muß ich mit Euch feiern.« »Gott gebe, in Freuden!« sagte die Försterin. »Betet indessen«, sagte der Förster noch, »und vertraut auf Gott. Er wird machen, daß die Sachen gehen, wie es heilsam ist.« Alle begleiteten die zwei Männer unter die Haustüre. Es war noch völlig Nacht, und man sah noch nicht das geringste von der Morgenhelle. Sie gingen indessen in der kalten schauerlichen Dezembernacht getrost weiter.

      Alle im Hause waren nun um die lieben Reisenden, besonders um den alten Vater sehr besorgt. Die ersten acht Tage wußten sie sich zwar immer zu trösten. Als aber weiterhin ein Tag nach dem andern verging und die Witterung höchst unfreundlich und stürmisch wurde, und es fast unaufhörlich regnete, wurden sie sehr unruhig. »Ach«, sprachen sie, »der Christian, so rüstig er ist, wird genug auszustehen haben; wie wird aber der alte Vater durchkommen?« Die zwei Kinder des jungen Försters liefen alle Augenblicke vor die Haustüre, um zu sehen, ob der Vater und der Großvater denn noch nicht kämen.

      So verfloßen zu den ersten acht Tagen noch acht Tage in Kummer und Sorgen. Überdies hatte bald nach der Abreise der beiden Förster ein Jägerbursch des Oberförsters ein amtliches Schreiben gebracht. Die Försterin getraute sich zwar nicht, es zu öffnen; allein sie fürchtete, daß es nichts Gutes entalte. Denn der Jägerbursch hatte noch mündlich mit höhnischer Miene gesagt: »Es ist toll, daß der alte Mann mit seinem jungen Brausekopf in die Residenz lauft. Der Herr Oberförster ist seiner Sache gewiß. Sie richten sicherlich nichts aus und kehren mit Schand und Spott zurück.« Alle im Hause beteten indes täglich, Gott wolle die beiden Reisenden bei dem Fürsten ein gnädiges Gehör finden lassen und sie glücklich wieder nach Hause führen! Auch die Kinder beteten ungeheißen mit.

      Achtes Kapitel

      Wie es dem Förster

       weiter ergangen

      Unter diesen traurigen Umständen brach der heilige Weihnachtsabend an. Es wurde heute früher Nacht als sonst. Denn der ganze Himmel war mit schweren Wolken bedeckt. Der Sturmwind brauste durch die alten Eichen und die schwankenden Tannen des Waldes. Es schneite und regnete sehr heftig und die Dachrinne rauschte gleich einem Regenbach, der von einem Felsen stürzte. »Ach du mein Gott«, sagte die alte Försterin, nachdem sie lange zum Fenster hinausgesehen hatte, »sie kommen noch nicht. Wenn sie heute, am heiligen Christabende, ausbleiben, so ist ihnen sicherlich ein Unglück begegnet. Mir ist ganz unaussprechlich bange. Es ist ja ein Wetter, man sollte keinen Hund vor die Türe jagen, und die Wege sind zum Versinken schlecht. Ach, wenn sie nur wieder da wären, gehe dann alles übrige, wie es wolle!«

      Sie öffnete wieder das Fenster, sah hinaus und rief: »O gottlob, nun kommen sie!« Alle eilten ihnen vor die Haustüre entgegen; alle fragten: »Nun, wie ist es in der Stadt gegangen?« »Ich hoffe, es soll noch alles gut gehen!« sagte der alte Förster. »Ihr werdet aber unsertwegen Kummer gehabt haben. Wir blieben lange aus. Allein ich wurde auf der Reise unwohl, und konnte nicht mehr weiter; und da es wieder besser ging, waren von dem vielen Regen die Flüsse und Bäche so angeschwollen, daß wir noch einige Tage aufgehalten wurden. Nun gottlob, daß wir wieder da sind!« Er trat in das Haus, kleidete sich um, und setzte sich in seinen Lehnsessel an den wärmenden Ofen. Die alte Försterin brachte eine Flasche Wein, zwei Gläser und die brennende Öllampe. »Erquickt euch doch beide ein wenig«, sagte sie, indem sie einschenkte; »ihr werdet es beide sehr nötig haben. Das Essen wird bald fertig sein.« »Wohl!« sprach der Förster, beim Scheine des hellen Öllichtes umherschauend; »es ist doch gut, wieder zu Hause zu sein, unter den lieben Seinigen, wo man lauter freundliche und fröhliche Gesichter um sich erblickt.«

      Der junge Förster hatte aber indes seiner Frau im Vertrauen gesagt: »O, es steht gar nicht gut; wir kommen wahrscheinlich um den Dienst.« Diese erschrak sehr, und sagte es heimlich den übrigen. Der alte Förster sah, wie sich auf einmal alle Gesichter verfinsterten, und voll Schrecken und Angst zeigten. »Hat Christian schon geplaudert?« sagte er, »je nun, es ist da nichts zu verhehlen. Ihr sollt alles hören, doch werdet mir zu traurig. Es ist uns ja heute nacht ein Erlöser geboren; über dieser großen Freude müssen wir unsere kleinen Erdensorgen vergessen, wenigstens sie uns nicht zu sehr zu Herzen nehmen.« –

      »Als wir«, sprach er hierauf, »abends spät in der Residenz ankamen, ging ich noch zu dem alten Forstrat Müller. Er ist ein sehr biederer Mann, dachte


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