Tod in Amsterdam. Ben Kossek
Читать онлайн книгу.Hahnwald!“ rief er. Ohne die Tür zu schließen, verschwand er eilig in seinem Büro, das schräg gegenüber lag. „Na also, geht doch!“ freute sich Jan Scheuer und folgte ihm, Alex Berger im Schlepptau, im Laufschritt.
„Hier, Kiesgrubenweg“, Dahlmann deutete mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm. Ein Luftbild in Vergrößerung zeigte den Parkplatz neben der Filiale einer Supermarktkette im Industriegebiet Hahnwald. „Der Filialleiter hat die Kollegen verständigt, weil das Fahrzeug seit gestern Morgen dort parkte, ohne bewegt zu werden. Kennzeichen stimmt. Es ist eindeutig der gesuchte Wagen von Kleinschmidt!“
„Ist die KTU schon verständigt?“ Von einer Sekunde auf die andere war Scheuer wieder im Alarmzustand.
„Klar, die sind schon auf dem Weg. Die Kollegen von der Streife warten dort, um das Fahrzeug und eventuelle Spuren zu sichern.“
Abrupt drehte sich Berger um und ging hinüber ins eigene Büro. Von Kleinschmidts Foto auf dem Board zeichnete er einen Pfeil nach unten und notierte: „Fundort Audi A8 von Kleinschmidt: Industriegebiet Hahnwald.“ Und wieder einen Rahmen um den Eintrag. An einer anderen Wand des Büroraums hing eine Straßenkarte vom Großraum Köln-Bonn. Sein suchender Blick huschte über die Karte, während er den Fundort von Kleinschmidts Audi A8 mit einem Fähnchen, das an einer Nadel befestigt war, markierte. „Hier wurde der Audi gefunden“, sagte er zu Scheuer, der ihm gefolgt war. „Und genau hier befindet sich das Haus von Kleinschmidt.“ Ein zweites Fähnchen markierte auch diese Stelle. „Und beides liegt keine drei Kilometer voneinander entfernt!“
„Bonn-Beuel, genau hier befindet sich die „Brunex AG“, versuchte Scheuer den Gedanken seines Kollegen weiterzuführen. „Du fragst dich, welchen Weg er wohl nach Hause genommen hat. Hm, ich denke, er fuhr über die Kennedybrücke zur A 555 und dann bis zur Ausfahrt Rodenkirchen. Dass der Wagen jetzt hier auf dem Parkplatz gefunden wurde, macht irgendwie Sinn, wenn man sich die Route Kleinschmidts mal etwas genauer ansieht.“
„Richtig, und warum? Weil es vorher keine Möglichkeit gab, ihn anzuhalten, ohne Aufsehen zu erregen. Wenn wir davon ausgehen, dass er nach der Ausfahrt Rodenkirchen von einem oder mehreren anderen Fahrzeugen gestoppt und aus seinem Wagen geholt wurde. Man brachte ihn mit einem anderen Fahrzeug von dort weg und stellte seinen Audi auf den Parkplatz des Supermarkts ab, um nicht sofort Verdacht zu erregen und um Zeit zu gewinnen. Ein herrenloser Wagen mitten auf der Straße wäre sofort aufgefallen.“
„Richtig! Er wurde also hier irgendwo zwischen der Ausfahrt Rodenkirchen und dem Parkplatz gekidnappt …“
„…was die Vermutung nahelegt, dass die Kidnapper genau wussten, auf welcher Strecke Kleinschmidt gewöhnlich abends nach Hause fuhr!“ beendete Berger den Satz seines Kollegen. „Verdammt, sie wussten es!“
Chris Dahlmann, der inzwischen ebenfalls wieder ins Büro gekommen war und die letzten Ausführungen seiner Kollegen mitbekommen hatte, hatte seine eigene Vermutung: „Entweder wurde Kleinschmidt Tage zuvor schon beschattet und ausgekundschaftet, oder die Information kam von einer Person, die Kleinschmidts Route genau kannte. Vielleicht jemand aus seiner Abteilung – ein Mitarbeiter vielleicht? Wir sollten beide Aspekte in Betracht ziehen.“
„Stimmt, beides wäre möglich“, überlegte Berger. „Aber eines ist mir noch nicht aufgegangen: Warum hat man ihn im Deutzer Hafen erschossen und nicht irgendwo anders? Gut, gehen wir erst mal rüber zu Köster, vielleicht hat der noch etwas, was uns weiterhilft.“
8.
Es kam, wie es kommen musste! Kaum hatte Heino Brandstetter gestern Abend seine Wohnung betreten, schloss er hinter sich die Wohnungstür ab und öffnete erwartungsvoll den Aktenkoffer. Er nahm sich nicht einmal die Zeit, sich seinen Kaffee zu kochen, wie er es sonst stets tat, wenn er nach Hause kam. In dem Koffer lagen vier braune DIN-A4-Umschläge, sorgfältig verschlossen. Alle vier waren beschriftet. Auf dem ersten stand „Presse Ermittlungen C.S“, auf dem zweiten „Montag VTME“ und auf dem dritten die Buchstaben „R.K.“, möglicherweise die Anfangsbuchstaben eines Namens. Der letzte Umschlag war einfach mit dem Vermerk „Verschiedenes“ gekennzeichnet. Alle Umschläge waren sorgfältig verschlossen worden.
Des Weiteren fand er mehrere großformatige Schwarzweiß-Fotos, die mit einer großen Büroklammer zusammengehalten wurden und auf deren Rückseiten handschriftlich Notizen vermerkt waren. Auf einem der Fotos, das zwei Männer an einem Tisch im Freien vor einem Café in der Bonner Altstadt zeigte, stand auf der Rückseite die Notiz: „Treffen C.S. mit MA von Brunex AG, 16.09.2015, 16.20 Uhr. Bonn-Mitte, Café Schneider. Übergabe von Akten und Umschlag von MA Brunex AG an C.S., möglich Auftrag und GÜ. Dauer 14 Minuten.“ – Brunex AG? Waren das nicht die Waffenmakler aus Bonn, von denen der Überbringer des Koffers gestern gesprochen hatte? Die, die mit „Steelmans Transporten“ zusammenarbeiteten? Und was bedeutete die Abkürzung „GÜ“? Stand das vielleicht sogar für Geldübergabe?
Ein weiteres Foto folgte, das wieder den einen der Männer, diesmal mit einem anderen, unbekannten vor einem Hausboot in Amsterdam zeigte. Im Hintergrund war der markante Turm einer Kirche zu sehen, ein bekanntes Postkartenmotiv Amsterdams. Als Vermerk stand auf der Rückseite: „C.S und Unbekannt vor Hausboot in Amsterdam.“ Mehr nicht. Ein drittes Foto war vor zwei nebeneinanderstehenden Lagerhallen in einem Industriegebiet entstanden. Es zeigte sechs Männer und trug auf der Rückseite den Vermerk: „C.S, MA Brunex AG, 4 unbekannte Personen, Lagerhallen Spedition Van de Heijden in Neuss-Süd.
Der Unbekannte, der auf allen drei Fotos zu sehen war, war klein, füllig und hatte eine Glatze. Brandstetter schätzte ihn auf etwa 55 bis 60 Jahre. Wer war dieser „C.S.“? Bedeutete das „S“ vielleicht Steelmans?
Brandstetter sah sich alle Fotos der Reihe nach an, insgesamt neun, und auf allen, mit Ausnahme eines einzigen Fotos, war „C.S.“ zu finden, immer mit verschiedenen Personen, dreimal auch mit mehreren – aber „C.S.“ war immer dabei! Er legte alle Aufnahmen nebeneinander auf seinen Arbeitstisch im Büro und suchte in der Schublade des Schreibtischs nach einer Lupe. Danach sah er sich die Fotos noch einmal etwas genauer an. Plötzlich stutzte er, begann noch einmal beim ersten Bild und ging dann der Reihe nach alle ein zweites Mal durch.
Auf dem ersten Foto in dem Bonner Café saß am Nebentisch ein Mann, groß und mit langen blonden Haaren. Fast sah es so aus, als würde er das Umfeld genau im Auge behalten! Und das interessante – er war mit „C.S.“ auf allen anderen Fotos ebenfalls zu sehen! Ausnahme: das Foto mit dem Hausboot. Für Heino Brandstetter stand in diesem Augenblick fest: Der kleine Füllige musste Steelmans sein, der andere wohl seine rechte Hand oder ein Leibwächter!
Er öffnete seinen Laptop und gab in einer Suchmaschine die Begriffe „Steelmans“ und „Amsterdam“ ein, und siehe da, gleich an erster Stelle erschien ein Eintrag von „Steelmans Transporten Amsterdam“. Er öffnete den Link und landete direkt auf der Website der Spedition, von dessen Startseite ihm ein lächelndes Konterfei des Mannes entgegenblickte, der auf fast allen Fotos, die sich im Koffer befanden, zu sehen war! Unter dem lächelnden Gesicht stand die Zeile: „Company eigenaar: Claudius Steelmans“. Claudius Steelmans – C.S.!
Nun, wo er auf die richtige Spur gestoßen war, stöberte er eine Zeit lang durch die Website, fand jedoch keine auffälligen Merkmale. Eine Spedition, die anbot, alle Güter außer Schwertransporte zu befördern. Gespannt öffnete er nun den dicksten der braunen Briefumschläge mit der Aufschrift „Presse Ermittlungen C.S.“ In ihm befanden sich etwa dreißig Zeitungsausschnitte aus meist überregionalen niederländischen wie auch aus deutschen Tageszeitungen. In allen Artikeln, teils mit Fotos von Steelmans oder anderen Personen, ging es stets um die Berichterstattung über die gegen die Spedition und ihren Inhaber geführten Ermittlungen und Prozesse. Die Tatsache, dass in keinem der untersuchten Fälle und in keinem der drei Prozesse brauchbare und stichfeste Beweise zutage kamen, fand hier besondere Erwähnung. Aber die von der Staatsanwaltschaft eingebrachten Indizien reichten in keinem der Prozesse für eine Verurteilung.
Brandstetter fiel auf, dass die Artikel aus der niederländischen Presse oben neben der Schlagzeile mit einer Nummer versehen waren. Die Erklärung dafür war ein USB-Stick, der ebenfalls in dem Umschlag zu finden war. Auf ihm befanden sich, mit