Royal Horses (2). Kronentraum. Jana Hoch
Читать онлайн книгу.der Presseteams verdreifacht. Inzwischen zählte ich vier Busse. Außerdem hatte sich eine Gruppe junger Erwachsener dazugesellt, alle mit Handys bewaffnet.
Auch das noch! Jetzt kamen sogar schon Schaulustige. Schnell trat ich zurück und ließ die Vorhänge zugleiten.
Ich wollte kotzen. Heulen. Mir die Haare raufen. Aber all das hatte ich in den vergangenen sechsundneunzig Stunden bereits getan. Und nichts davon hatte geholfen. Also ließ ich mich wieder auf meinen Schreibtischstuhl fallen, legte die Arme auf den Tisch und bettete den Kopf darauf. Was, wenn das jetzt noch Wochen oder Monate so weiterging? Wenn ich nicht mehr das Haus verlassen konnte, ohne erkannt zu werden?
Livy hätte der ganze Trubel wohl gefallen. Sie liebte es, wenn andere sie in der Stadt erkannten und auf ihren YouTube-Kanal ansprachen. Dann plauderte sie mit ihren Fans, machte Selfies und erzählte ihnen, natürlich topsecret, was ihr nächstes Projekt werden würde. Tatsächlich wurde sie immer deswegen angesprochen und nicht, weil sie die Tochter von Lester Campbell war. Ich dagegen konnte in aller Augen nur damit glänzen, dass Prinz Tristan an mir interessiert war.
Erneut huschte mein Blick zu dem Brief. An meinen Gefühlen für dich hat sich nichts geändert. Genauso hatte er es geschrieben. Zusammen mit wenigen anderen Sätzen, in denen er sich entschuldigte, mir Probleme bereitet zu haben, und mich bat, zu ihm nach Caverley Green zu kommen, um dem Pressewirbel zu entgehen. Gerade wollte ich nur zu gerne von hier verschwinden, wieder aufatmen und mich frei bewegen. Wäre da nicht … Edward. Denn wenn ich mir selbst die Frage stellte, ob ich bereit war, ihn noch einmal zu treffen, war es, als würde mein Innerstes sich weigern, darauf zu antworten.
Im Flur wurde die Haustür aufgeschlossen und Katzenpfoten tapsten über das Parkett.
»Bin wieder da, Krümel!«, rief Jordan und klopfte an meine Tür. Schnell stand ich auf, strich mir die Haare aus dem Gesicht und hoffte inständig, dass ich nicht aussah, wie ich mich fühlte. Er musste nicht wissen, dass ich nach drei Tagen Isolation bereits kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand. Ich versuchte ein Lächeln, aber es kam mir angestrengt vor. Jordan trat ein, legte den Kopf schief und musterte mich. Er setzte sich auf mein Bett. »Ich habe noch einmal mit deinem Schulleiter gesprochen«, sagte er, immer noch diesen forschenden Ausdruck in den Augen. Du kannst mir nichts vormachen, kleine Schwester, bedeutete das. »Mr Romero war sehr besorgt und hat mir nahegelegt, dich für ein paar Wochen aus dem Unterricht zu nehmen.«
»Ein paar Wochen?« Eingesperrt auf 52 Quadratmetern? Zusammen mit der Terrorkatze?
»Er hat versprochen, sich persönlich darum zu kümmern, dass du alle wichtigen Unterlagen über den Schulserver bekommst, damit du nach deiner Auszeit direkt wieder einsteigen kannst.«
Auszeit, ja klar. Verbannung traf es wohl besser. Mr Romero wollte mich nicht mehr in der Schule sehen, bis der Hype nachließ.
Jordan stand auf und streichelte mir über die Haare.
»Ich finde den Vorschlag gar nicht so schlecht. Livy kann so oft herkommen, wie sie möchte, und ich werde versuchen, Urlaub einzureichen. Oder …« Er fuhr sich mit der Hand über den Nacken. »… hast du noch einmal über Sixtons Angebot nachgedacht?«
Edwards Angebot. Eine ruhige Zeit, abseits des Presserummels. Nur meine Freunde, Yorick, Martha und Quinn, die Pferde und … er. Edward hatte zwar versprochen, mich in Ruhe zu lassen, wenn das mein Wunsch war, aber zum aktuellen Zeitpunkt konnte ich ja nicht einmal klar denken, was ihn betraf. Wie sollte ich da wissen, was ich wollte?
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist«, sagte ich und Jordan seufzte und legte mir die Hände auf die Schultern. »Ganz ehrlich, Krümel. Mir gefällt die Vorstellung, dich mit diesem Kerl alleine zu lassen, überhaupt nicht. Aber ich …« Die Worte schienen ihm schwerzufallen. »… möchte auch nicht, dass du dich hier eingesperrt fühlst.«
Fast gleichzeitig atmeten wir aus. Ich wollte etwas sagen. Seine Worte leugnen oder sie zumindest schmälern. Aber Jordan kannte die Wahrheit längst.
»Es liegt nicht an der Wohnung und schon gar nicht an dir. Ich …«
»Ist schon gut. Wenn ich nicht ab und an mal rauskönnte, würde mir auch die Decke auf den Kopf fallen.« Jordan drückte mir einen Kuss auf die Stirn. »Denk einfach noch einmal darüber nach, ja? Und dann treffen wir morgen eine Entscheidung und rufen Mum und Dad an.«
Ich nickte. Wenn es nach Mum ging, kam keine der Optionen infrage. Das hatte sie mir klargemacht, als wir gestern über drei Stunden lang telefoniert hatten. Aber zurück zu meinen Eltern, nach Stuttgart? Nein. Dann würden sie mich nie wieder ausziehen lassen, bevor ich achtzehn war. Oder dreißig.
Wie es schien, musste ich mich entscheiden. Hierbleiben und die kommenden Wochen zusammen mit einer durchgeknallten Katze verbringen, versteckt hinter Vorhängen, mit so wenig Kontakt zur Außenwelt wie nur irgendwie möglich. Oder aber … Wieder glitt mein Blick zu dem Umschlag und ich biss mir auf die Lippe … oder aber Caverley Green.
In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich starrte an die Zimmerdecke und betrachtete die leuchtenden Sterne, die Jordan für mich dort angeklebt hatte, noch bevor ich bei ihm eingezogen war. Eine ganze Reihe an perfekten Sternbildern zog sich von meinem Bett über meinen Schreibtisch bis hin zur Tür. Jordan hatte gewollt, dass ich mich vom ersten Tag an wohlfühlte. Die Sterne sollten mich an unsere gemeinsamen Tage in Stockholm erinnern, daran, wie wir als Kinder aus dem Dachfenster geklettert waren und in den Nachthimmel gesehen hatten. Wir hatten uns Gruselgeschichten erzählt und davon geträumt, was wir als Erwachsene tun würden. Jordan hatte schon immer gewusst, dass er einmal Architekt werden wollte. Und ich? Pilotin, Filmregisseurin, Superheldin …
Jordan hatte dann immer gelacht und gesagt, dass sich in jedem Menschen ein besonderes Talent versteckte und ich mit der Zeit schon herausfinden würde, was meines war. Unfassbar. Schon als Teenager hatte er so weise Dinge von sich gegeben, die sonst nur Erwachsene sagten.
Ich seufzte. Wie leicht damals alles in Stockholm gewesen war. Lauter unbeschwerte Tage. Vielleicht die schönsten meines Lebens, ohne Angst vor dem, was am nächsten Tag auf mich wartete.
Als ich das letzte Mal auf mein Handy gesehen hatte, war es bereits kurz nach Mitternacht gewesen. Vor nicht einmal einer Viertelstunde waren die letzten Reporter aufgebrochen. Durch das hochgeschobene Fenster hatte ich gehört, wie sie sich draußen unterhielten. Dann waren Autotüren zugeschlagen worden und kurz darauf hatte ich verfolgt, wie der Wagen langsam aus unserer Straße rollte.
Jordan war ebenfalls noch wach. Seit einer halben Stunde lief er unruhig durch sein Zimmer und die Holzbalken knarrten bei jedem seiner Schritte. Ob er wegen mir nicht schlafen konnte? Schon gestern waren mir die dunklen Ringe unter seinen Augen aufgefallen. Er war morgens in die Küche gekommen – zwei Stunden später als sonst – und hatte ausgesehen, als wenn im Büro eine wichtige Abgabe bevorstand und das ganze Team mehrere Nächte lang durcharbeitete. Gestresst und müde, mit zerzausten Haaren und Dreitagebart. Dafür, dass er behauptete, dass ihm die ganze Situation nichts ausmachte, wirkte er ziemlich mitgenommen. Ich wünschte, ich hätte ihm irgendwie helfen können, aber das Einzige, was ich gerade tun konnte, um ihm die Last von den Schultern zu nehmen, war … Argh! Mit einem Stöhnen warf ich mich herum und griff nach meinem Handy, das neben mir auf dem Nachtschrank lag. Ich öffnete den Internetbrowser und tippte Prinz Tristan in die Suchleiste ein. Sofort wurde ich mit den neuesten Meldungen über mich konfrontiert, doch ich klickte einfach weiter, bis ich zur Bildersuche gelangte. Ohne genau zu wissen, was ich eigentlich erwartete, scrollte ich über die Fotos und blieb schließlich an einem Bild hängen, auf dem Edward neben einem schwarzen Pferd abgebildet war. Königlicher Besuch in der französischen Nationalreitschule – Prinz Tristan besucht die berühmte Cadre Noir, stand darunter. Auf dem Bild trug Edward eine helle Stoffhose, ein weißes Hemd und ein blaues Jackett. Attraktiv. Und doch so fremd. Ich betrachtete seine eisgrauen Augen, die kaum merklich und ohne jeden Ausdruck darin an der Kamera vorbeiblickten. Wie so häufig ließ er niemanden wissen, was er dachte. Im Sommer hatte es mich wahnsinnig gemacht, dass er seine Gefühle so gekonnt verbarg, aber immer genau zu wissen schien, was in mir vorging. Und jetzt? Jetzt hatte er mir seine Gefühle offen gezeigt und es machte mich