Behindert! "Wie kann ich helfen"?. Adam Merschbacher

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Behindert!


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waren die letzten Gäste beim „Griechen“. Der Kellner verabschiedete sich von mir mit Handschlag. und beugte sich zum Rollstuhl herunter und sagte „Kali Nichta, gute Besserung“.

      Danke! Das war ganz bestimmt lieb gemeint, passt aber bei einem MS-Geschädigten nicht so richtig zum Krankheitsbild. Doch woher sollte der Kellner in Gottes Namen etwas über mich oder gar über meine Behinderung wissen. Er nimmt lediglich wahr, dass jemand vor ihm im Rollstuhl sitzt.

      Mehr Anteilnahme oder Interesse, darf keinesfalls erwartet werden und wäre wohl auch übertrieben, ungewohnt und nicht der Situation angepasst. Dem Kellner tat ich in seiner Wertvorstellung einfach nur leid, dass ich in seinen Augen so eingeschränkt war.

      Damit sind wir auch schon mitten im Thema dieses Buches. Wie gehen Gesunde, Behinderte und Betroffene miteinander um. Was kann man vom anderen oder von sich selbst ehrlich erwarten und realistisch, also nicht blauäugig, voraussetzen?

      Natürlich verabschiedet man sich von einem querschnittsgelähmten gerade nicht mit den Worten, sofern man es auch noch weiß „Gute Besserung“ und auch nicht mit „Schau mal her“ von einem Blinden oder „weißt du noch“ von einem Demenzkranken. Aber das entsetzt die Betroffenen unter normalen Umständen nicht, da solche Aussagen an der Tagesordnung sind und meist nicht böse gemeint sind. Es sind auch nicht die Worte, die verletzen, sondern es ist die Gleichgültigkeit und Ignoranz, wenn man Probleme und Schwierigkeiten bemerkt, bzw. bemerken könnte. Der Humor, den Behinderte selbst an den Tag legen, täuscht häufig einen falschen Gemütszustand vor, wenn der Querschnittsgelähmte flunkert „wenn das so weiter geht, stehe ich auf und gehe fort“ oder eine Blinde droht „noch einmal, dann schau ich dich nie wieder an“.

      Dabei wäre der Umgang miteinander so unkompliziert und einfach. Fällt ein Rollstuhlfahrer beim Aufstehen (Transfer) hin, eine Blinde stolpert über einen überstehenden Gullydeckel oder es blickt ein junger Mann mit Bewegungsstörung apathisch auf seine spastischen Füße, dann wäre die Frage passend „wie kann ich helfen“?

      Das ist das ganze Geheimnis, mehr ist nicht zu sagen. Der oder die Gestürzte sagt schon was zu tun ist, da dies vermutlich nicht zum ersten Mal geschehen ist und man ja selbst am besten weiß, wodurch geholfen werden kann. Auf keinen Fall darf man einfach willkürlich handeln und auf diese Weise unnötigen Schaden oder eine Verletzung verursachen. Helfen ohne vorher zu fragen ist keine Hilfe, sondern Belästigung. Niemand möchte gerne ungefragt irgendwo hingeschoben oder über die Straße geführt werden. Im Alltag benötigen behinderte Menschen manchmal die eine oder andere Hilfe oder Unterstützung von Nichtbehinderten.

      Im Jahre 2016 waren in Deutschland 7,6 Millionen Menschen schwerbehindert, was annähernd 10 % der Bevölkerung betrifft. Davon erhielten knapp 895.000 Personen Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem sechsten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) wofür 16,5 Milliarden € netto aufgewendet wurden (statistisches Bundesamt). Die Staaten in Europa versuchen sich in Sachen Behinderten-Gleichbehandlung und Leistungen einander anzunähern. Es ist jedoch noch ein eklatanter Unterschied, ob man in Deutschland oder in einem weniger organisierten Nachbarland behindert ist.

      „Schau mal Mama, wie der Mann aussieht“ das Kind deutet mit dem Finger auf den körperlich behinderten jungen Mann in der U-Bahn, den gerade eine Spastik entstellt. Die Erklärung der Mutter lautet „komm, das ist ein Betrunkener“.

      Der Mann ist keineswegs betrunken, er ist nur einfach gerade krankheitsbedingt auffällig. Doch was oder wie soll das kleine Kind einen angemessenen Umgang mit Behinderten lernen, wenn seine Mutter es selbst versäumt hat, richtiges Verhalten im Umgang mit Menschen mit Handicap an den Tag zu legen.

      Am liebsten würde man da antworten „ich wäre lieber stock besoffen, als querschnittsgelähmt“.

      Wie schnell, kann es einen von heute auf morgen selbst treffen. Es kann ein Unfall sein, eine Krankheit oder eine falsche Krankenhausbehandlung bei einem leichten Eingriff. Man könnte genauso schnell plötzlich Pflegeperson seines Kindes, des Ehegatten oder eines nahen Angehörigen werden. In der Regel war es in der Lebensplanung nicht vorgesehen und in der Vergangenheit wurde man auch nicht speziell für so eine Situation geschult und vorbereitet.

      Absolut peinlich wird es, wenn man körperlich Behinderte für zwangsläufig geistig beschränkt hält und sie in Ausländerdeutsch „Du mich verstehen“ oder kindlich „kannst Du mir zeigen, was Du wollen“ anspricht. Die Steigerung davon ist eine Unterhaltung, in der man über einen in der dritten Person spricht, als wäre man ein beigestelltes Möbelstück. Im Unterricht sagte eine Lehrerin zu einer neben einem Autisten sitzenden Schülerin „sag Heinz, dass wir Morgen die Schulaufgabe schreiben“. Heinz hatte weder einen Hörfehler, noch war er unsichtbar. In Amerika ist es sehr gefährlich, wenn Gehörlose mit der Polizei unbewusst in einen Konflikt kommen, wenn der Polizist einen von hinten mit den Worten auffordert „Stehen bleiben!“. Die Nichtbeachtung könnte falsch ausgelegt werden und fatale Folgen haben, wie beispielsweise eine Verhaftung oder sogar einen Schuss.

      Äußerlich entstellte Personen und auffällig gestikulierende werden gern in Restaurants auf Nebentische (Katzentische) geleitet, in Flugzeuge auf die letzten Plätze befördert sowie in Hotels in das abgelegenste Zimmer verfrachtet, damit ihr Aussehen andere Fluggäste und Besucher nicht stört. Ein Stephen Hawking wurde vermutlich überall freundlichst hofiert. Sieht man dagegen nur aus, wie Hawking ausgesehen hat, ist der letzte Platz unmittelbar neben der Toilette bereits reserviert.

      Völliges Unverständnis und Desinteresse werden erkennbar, wenn Blinden vom Gericht ein Gebärdendolmetscher zur Seite gestellt wird.

      Gesunde haben oft Berührungsängste mit Behinderten und Kontaktschwierigkeiten aus Angst, etwas falsch zu machen. Aber keine Angst, man muss sich auch nicht von Bekannten zurückziehen, wenn darunter Behinderte sind, mit der Rechtfertigung, man wisse nicht wie man damit umgehen und worüber man sprechen soll. Die Gespräche können sehr interessant sein und besonderes ist auch nicht zu beachten. Vielleicht genügt schon eine einfache Unterstützung am Buffet oder mal das Fenster im verrauchten Zimmer zu öffnen. Das ist es dann meist schon.

      Ob Kind, Mann oder Frau, körperlich oder geistig leicht- bis schwerbehindert, Behinderte sind Menschen mit meist sehr empfindlicherer Sensibilität, Ängsten und oft größeren Sorgen und Depressionen als Gesunde und den daraus resultierenden Alltagsproblemen.

      Ich gebe gerne zu, Behinderte können, wie jeder andere Mensch auch, „Arschlöcher, Vollidioten und Drecksäcke“ sein. Diese darf man auch entsprechend ignorieren und den Umgang auf ein nötiges Minimum reduzieren. Leider haben Pflegekräfte, Angehörige und medizinische Betreuer nicht immer die Möglichkeit der Ablehnung von „Stinkstiefeln“. Diese haben aber auch gelernt, damit professionell umzugehen, zumindest die meisten.

      Alle Menschen kommen mit einer Würde und einem sehr starken Lebenswillen auf die Welt. Die Würde, die uns von außen widerfährt, ist laut Grundgesetz unantastbar. Daran hält sich jedoch nicht jeder auf der Straße. Es gibt darüber hinaus auch noch eine persönliche, individuelle Würde. Diese wird im Laufe eines Lebens entweder gefestigt und dann Selbstbewusstsein genannt oder auf vielfältige Weise demoralisiert und moralisch zerstört.

      Zu keinem Thema gibt es mehr „Witze“, als über Behinderte und vom Leben benachteiligte Menschen. Lustig vielleicht, wenn man davon selbst nicht betroffen ist. Deshalb lachen auch nur „gesunde“ und sehr einfältige Menschen über Behindertenwitze.

      Gefestigte Personen haben damit eigentlich auch keine Probleme, aber leider sind diese in der Minderheit und der Witzeerzähler kann die beiden Wesenstypen nicht unterscheiden. Die häufig gehörte Floskel, dass die besten Behindertenwitze von Behinderten selbst stammen, ist ein Irrglaube, sofern diese Aussage lapidar von Nichtbehinderten kommt. Nur weil diese, meist aus Verlegenheit, darüber lachen, sagt es nichts über die Kränkung, Beleidigung oder Demütigung aus, die sie erfahren. Wenn Witze von Behinderten untereinander zum Besten gegeben werden, dann ist das etwas anderes.

      Jemand gilt als behindert, wenn nach dem Neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX) eine Schädigung der körperlichen Funktionen, der geistigen Fähigkeiten oder der Psyche (seelische Gesundheit), über einen längeren


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