Krimi & Thriller Sammelband 1101 Montagskiller. Earl Warren
Читать онлайн книгу.Glenda, warum ihr Mann diese Karte bei sich gehabt hatte. "Sie muss eine besondere Bedeutung für ihn gehabt haben", war ich überzeugt. Aber Glenda war da anderer Auffassung.
"Er hatte die Angewohnheit, solche Sachen einfach einzustecken und dann zu vergessen. Was glauben Sie, was ich alles aus seinen Taschen schon herausgeholt habe, bevor ich sie in die Reinigung geben konnte."
"Wissen Sie, was es mit diesem Brief auf sich hat?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Nein, keine Ahnung. Aber wissen Sie, Fans sind manchmal seltsam. Besonders Wrestling-Fans. William hat des öfteren Geschenke bekommen, über die normale Menschen nur den Kopf schütteln können..."
5
Ein scharfer Schweißgeruch kam uns entgegen, als wir die Räume von McCalls Wrestling School in der Lower East Side betraten. Jack McCall war Gerrattis Trainer gewesen. Und hier, in McCalls Catcher-Schule war THE FURY groß gewordem.
McCall war nicht nur ein wichtiger Zeuge, von dem wir uns weitere Informationen zu Gerrattis Lebensumständen erhofften.
Er war auch bei dem Attentat dabeigewesen. Auf dem Videoband der Live-Übertragung war er deutlich zu sehen. Er hatte seinen Schützling während des Kampfes betreut.
Dumpfe Schlaggeräusche waren zu hören. Riesige Kerle in durchschwitzten T-Shirts droschen bis zur Besinnungslosigkeit auf Sandsäcke ein. In einem der Sparrings lief gerade ein Trainingskampf zwischen einem gewaltigen Schwarzen und einem Weißen mit Gorilla-Gesicht und einer blonden Lockenmähne, die wie eine Parodie auf einen Rauschgoldengel wirkte.
Ein kleiner, hagerer Mann, der in seiner hektischen Art etwas von einem Wiesel hatte, trat uns entgegen. Er sah uns aus tiefen Augenhöhlen an.
"Heh, was wollen Sie hier! Hier hat nicht einfach jeder Zutritt und kann glotzen!"
Ich holte den Ausweis heraus.
Als der Hagere das FBI-Emblem sah, verlor sein Gesicht den letzten Rest von Farbe. Er schluckte.
"Ich bin Special Agent Jesse Trevellian und dies ist mein Kollege Agent Tucker", stellte ich uns vor. "Ist Mister McCall zu sprechen?"
"Mister McCall ist nicht da". sagte der Hagere. "Tut mir leid für Sie."
"Haben Sie Ahnung, wo er sein könnte?", fragte ich.
"Zu Hause, nehme ich an."
"Da meldet sich niemand. Wir haben mehrfach versucht, ihn anzurufen."
Inzwischen war es sehr still im Raum geworden. Niemand kümmerte sich noch um einen Sandsack und auch im Sparring wurde eine Pause eingelegt. Mit vor der Brust verschränkten Armen standen die Catcher da und beobachteten uns.
"Gibt' es Probleme, Speedy?", fragte der Blonde. Er stieg aus dem Ring heraus. Sein schwarzer Trainingskontrahent folgte diesem Beispiel.
Die beiden bauten sich rechts und links von dem Hageren auf und wirkten jetzt fast wie eine Begleiteskorte.
"Was wollen Sie?", knurrte der Blonde in meine Richtung.
"Wir ermitteln im Mordfall William Gerratti", sagte ich ruhig.
"Die Mordkommission war schon hier und hat uns alle befragt. Warum interessiert sich das FBI für den Fall?"
"Irgendetwas dagegen einzuwenden, wenn sich ein paar Leute mehr darum kümmern, einen Attentäter zu fassen?", fragte ich.
Der Blonde funkelte mich mit seinen blassblauen Augen an.
Und dann machte er noch einen Schritt nach vorne und baute sich vor mir auf. Er war einen halben Kopf größer als ich. Es war unverkennbar, dass er mich durch seine physische Erscheinung einschüchtern wollte. Er entblößte zwei Reihen völlig gleichmäßig wirkender Zähne, bei denen ich mich fragte, wie sie bei einem wie ihm noch echt sein konnten. Den Zeigefinger drückte er mir wie den Lauf einer Waffe auf das Jackett-Revers. "Hör zu, G-man! Ich mag es nicht, wenn man mich für dumm verkauft!"
"Ich auch nicht", erwiderte ich kühl.
"Wenn das FBI sich mit so einem Fall befasst, dann muss es dafür besondere Gründe geben..."
"Schon mal was von organisiertem Wettbetrug und frisierten Kämpfen gehört?", fragte ich.
Die Muskeln des blonden Riesen spannten sich.
Er atmete tief durch. Es schien ihn einige Mühe zu kosten, sich zu beherrschen.
Speedy, der Hagere, versuchte ihn zu besänftigen.
"Ganz ruhig, Ricky! Hör dir erstmal an, was der G-man zu sagen hat, ja?"
Der Blonde drehte sich herum und wischte sich mit der Hand durch das verschwitzte Lockenhaar. Dann gab er einem der Sandsäcke einen Tritt und ließ ihn wie einen Pendel durch die Gegend schwingen.
"Die Sache geht Ricky ziemlich nahe", meinte Speedy. "Er ist an demselben Abend in einem der Vorkämpfe aufgetreten. Der Schuss hätte auch ihn treffen können..."
"Wir glauben eher, dass Gerratti ganz gezielt als Opfer vorgesehen war", sagte Milo.
"Trotzdem", meinte Speedy. "Stehen Sie mal vor zehntausend oder zwanzigtausend Leuten im Ring..."
Ricky drehte sich jetzt wieder um. Er kam erneut auf mich zu, schob seine Haare zurück, so dass die Ohren sichtbar wurden. "Sehen Sie sich diese Ohren an, Mann! Ich weiß, dass das Catchen einen schlechten Ruf hat und das alle Welt glaubt, dass das, was im Ring passiert, nichts als eine Art Stunt-Show ist! Sehen Sie sich die verkrüppelten Ohren an, Mann! Ist das Show? Meine Nase ist fünfmal gebrochen gewesen! Sehen Sie in mein Gesicht und dann wiederholen Sie nochmal den Quatsch, den Sie gerade abgelassen haben!"
"Halt die Klappe, Ricky!", fuhr Speedy dazwischen.
Ich fragte ruhig: "Kannte jemand von Ihnen William Gerratti wirklich gut?"
Ein Gemurmel entstand.
Der Schwarze sagte schließlich: "Wir kannten ihn alle ziemlich gut. Wir waren wie eine Familie."
"Gerratti hatte offenbar eine ziemlich intensive Verbindung zu einem Mann namens Sly Jordan", fuhr ich fort.
Eisiges Schweigen schlug uns entgegen. Ich studierte ein Gesicht nach dem anderen. Manche wandten den Blick. Sie wichen mir aus. Von Jordan wollte hier niemand etwas wissen.
"Wir waren nicht Wills Kindermädchen!", sagte schließlich Speedy.
"Gerratti soll sich mit Jordan vor kurzem zerstritten haben. Weiß jemand etwas darüber?"
"Keine Ahnung, wovon Sie sprechen, Sir!", presste der Schwarze zwischen den Lippen hindurch.
Hier würde uns fürs erste niemand weiterhelfen.
"Kommen Sie, ich bringe Sie raus", sagte Speedy.
Die Catcher sahen uns nach. Manche von ihnen wandten sich wieder ihren Sportgeräten zu. Speedy brachte uns vor die Tür.
Er wollte offenbar noch einen Augenblick mit uns allein sprechen.
"Sie müssen das den Jungs nicht übelnehmen", meinte Speedy, als wir draußen waren. "Aber wenn jemand ihren Sport in ein zweifelhaftes Licht rückt, reagieren sie etwas allergisch."
"Dann kennt hier also niemand Sly Jordan", sagte ich ironisch.
"Jeder kennt ihn. Er hat diese Wrestling-Schule mitfinanziert."
"Ich kann mir vorstellen, dass McCall nicht gerade begeistert darüber war, als Gerratti sich mit Sly Jordan verkrachte."
"Natürlich nicht!"
Ich fragte: "Haben Sie mitgekriegt, worum es bei dem Streit ging?"
"Nein. Fragen Sie McCall mal. Der war Gerrattis engster Vertrauter in diesen Dingen. Und natürlich sein Manager, Jim Jenkins."
"Wenn ich wüsste wo McCall jetzt steckt..."