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Читать онлайн книгу.kenn da doch kein Schwein …«, maulte Paul, »und außerdem …«
»Ach was!«, unterbrach ihn Paula. »Du bist in die D-Jugend aufgenommen, da wirst du vor lauter Training und Punktespielen sowieso zu nichts anderem kommen. Und außerdem: Wie heißt der Spruch noch mal? Elf Freunde sollt ihr sein!«
»Na jaaa. Aber das heißt ja nicht automatisch, dass man in der Mannschaft auch ’nen richtigen Freund findet. Zum Reden und so.«
Paula wuschelte ihrem Bruder durch die immer noch vor Styling-Gel starrende Schweini-Bürste. »Hast im Zweifelsfall doch mich.«
»Vielen Dank«, grummelte Paul, »aber das ist ja wohl echt nicht dasselbe.«
Paula seufze. Natürlich war das – Zwilling hin, Zwilling her – nicht dasselbe!
Sie selbst hatte sich ihre künftige beste Freundin schon so gut wie ausgesucht: Sie hieß Carlotta Prinz und wohnte gleich gegenüber von Tante Käthes Haus.
Carlotta war mit Kaffee und einem ganzen Tablett voll Bienenstich aufgekreuzt, als sie die Villa zum ersten Mal in Augenschein genommen hatten.
»Erst mal gucken«, hatte Hotte gesagt, »erst mal gucken, ob wir das Erbe überhaupt annehmen sollen. Ich hab bis jetzt ja noch nicht einmal gewusst, dass ich eine Großtante namens Käthe habe. Weiß der Himmel, in was für einer Bruchbude die da in Köpenick gehaust hat.«
Doch der Anblick der prächtigen alten Villa inmitten des riesigen Gartens hatte ihnen allen die Sprache verschlagen.
Von der Straße aus war das Haus fast nicht zu sehen: Hinter dem schmiedeeisernen Zaun wucherte eine dichte, meterhohe Ligusterhecke. Wie ein Dornröschenschloss, dachte Paula. Erst einmal waren sie allesamt schweigend durch die Räume gelaufen und konnten ihr Glück kaum fassen.
Dann hatten sie sich auf der Frühstücksterrasse, wo Tante Käthes wacklige alte Korbmöbel standen, versammelt und Kriegsrat gehalten.
»Du gehst doch sowieso nach deinem Geburtstag in Rente«, begann Oma Helga und setzte ihr bei Hotte scheinbar immer noch funktionierendes Sitzstreik-Lächeln ein.
Hotte brummte so etwas wie »Das ist noch längst nicht amtlich«. Aber als er Oma Helgas Blick liebevoll über die Tulpen, Narzissen und Hyazinthen im Garten wandern sah, kapitulierte er. Blumen und Pflanzen waren nun mal Oma Helgas Ein und Alles.
»Ich kann ja mal drüber nachdenken«, grummelte er.
Und dann war unversehens Carlotta in die Familienversammlung geplatzt. »Das soll ich Ihnen von meiner Mutti vorbeibringen«, hatte sie gesagt und fast so etwas wie einen Knicks gemacht, als sie Oma Helga die Thermoskanne und das Kuchentablett überreichte.
»Mann, ist die spießig!«, hatte Paula ihrem Bruder zugeflüstert und sich klammheimlich über Carlottas brave Pony-Frisur und den faden blauen Faltenrock lustig gemacht.
»Och, wieso?«, hatte Paul achselzuckend eingewandt und Carlotta mit seinem schönsten Schweini-Grinsen bedacht.
Und dann waren sie zu dritt losgezogen und hatten ihre neue Umgebung erkundet, bis sie Blasen an den Füßen hatten. Carlotta machte den Fremdenführer. Es gab ein prächtiges Rathaus aus roten Ziegeln, ein strahlend weißes Barockschloss mit einem romantischen Park dahinter und den Fischerkietz mit seinen winzig kleinen, alten Hutzelhäuschen. Zwei Flüsse – die Dahme und die Spree – flossen in Köpenick zusammen und ganz in der Nähe gab es zwei richtig tolle Badeseen.
»Und das da ist meine Schule«, hatte Carlotta auf dem Rückweg gesagt, kurz bevor sie wieder in die Ernst-Grube-Straße einbogen.
Das da war die Alexander-von-Humboldt-Oberschule und Das da sah erst mal gar nicht so toll aus: ein graues Gebäude mit schießschartenartig schmalen Fenstern. »Sieht ein bisschen aus wie ein Bunker«, meinte Paula skeptisch.
Aber dann hatte Carlotta ihnen von der neuen Sportanlage erzählt und vom Freilicht-Klassenzimmer und der schicken schuleigenen Cafeteria. Und von Frau Dohr, der tollen Englischlehrerin, und dem schönen Dr. Pesch – Geschichte und Deutsch – für den sämtliche Mädchen der Schule schwärmten.
Als sie am Abend mit Carlotta und ihrer Mutter Sybille im Garten saßen und ein improvisiertes kleines Grillfest abhielten, stand es für Paula bereits fest: Sie würden nach Köpenick ziehen und sie würde auf die Humboldt-Schule gehen, in Carlottas Klasse!
Gesine Schmidtke hatte die Achseln gezuckt: »Mir soll’s recht sein, aber erst mal müssen vielleicht noch ein paar andere Dinge geklärt werden. Zum Beispiel, womit ich hier meine Brötchen verdienen soll.«
Das mit den Brötchen hatte sich dann innerhalb kürzester Zeit wie von selbst ergeben: Das Restaurant-Schiff Lucullus suchte einen neuen Pächter und Gesine Schmidtke – ihres Zeichens Chefköchin im Kölner Rheinpark-Restaurant – gab dort kurzerhand den Kochlöffel ab, um künftig ihre unschlagbaren Sößchen in Köpenick – und als selbstständige Unternehmerin – zu kreieren.
Und dann ging es Schlag auf Schlag: Das alte Reihenhäuschen wurde verkauft, Paula wurde wie gewünscht auf der Humboldt-Oberschule angemeldet, Paul, der unbedingt auf ein Sportgymnasium wollte, bekam einen Platz in der wenige Fahrradminuten entfernten Flatow-Schule und Oma Helga und Hotte beschlossen, endlich zu heiraten.
Alles bestens. Selbst Püppis neue Hundehütte war bestellt und rechtzeitig geliefert worden.
Trotzdem saßen Paul und Paula auf der Bettkante, konnten nicht schlafen und hatten ein flaues Gefühl im Bauch.
Als ob sie irgendwie geahnt hätten, was da auf sie zukommen sollte.
Tschüss, ihr beiden, bis morgen.« Hotte knuddelte Paul und Paula noch mal kräftig durch, bevor er sich auf seine Vespa schwang, um die vorbestellten Brötchen für die Möbelpacker abzuholen.
Oma Helga verabschiedete sich derweil im Garten von ihren Kletterrosen: »Und ihr reißt euch bitte zusammen und zickt nicht gleich rum, wenn die neuen Besitzer euch mal zu wenig Wasser oder zu viel Dünger geben, verstanden?«
Die riesigen Blüten der Constance Spry nickten tapfer im Wind.
»Glaubst du echt, dass die Rosen irgendwas von dem verstehen, was Oma ihnen da erzählt?«, fragte Paul.
Paula schob die Unterlippe vor und runzelte die Stirn. »Keine Ahnung. Ich kenn mich mit Pflanzen nicht aus. Aber auch wenn es den Blümchen wurscht ist, ob wir wegziehen oder nicht: Oma Helga tut’s jedenfalls gut, mit ihnen zu quatschen.«
Jetzt marschierte Oma Helga zu den Haselbüschen herüber und Paula hätte schwören können, dass sie dabei heimlich eine Träne verdrückte.
»Ich mach ihr mal ’nen Kaffee«, brummte Paul und düste in die Küche, um den italienischen Espressokocher in Aktion zu setzen, der in Minutenschnelle Omas heiß geliebte pechschwarze Brühe hochblubbern und sie zumindest zeitweise über ihren Abschiedsschmerz hinwegtrösten würde.
Paula blieb am Gartentor stehen, schaute sich noch einmal um, atmete tief durch und stieß erleichtert die Luft aus: Für sie gab es nichts, was sie in ihrem alten Zuhause hielt. Nina, ihre beste Freundin, war schon vor über einem Jahr in ein piekfeines Schweizer Internat gewechselt. Und trotz der E-Mails, die sie sich seitdem mehr oder weniger regelmäßig schrieben, hatte die alte Nähe zueinander die räumliche Trennung nicht lange überlebt. Und außerdem: Als Zwilling war man irgendwie nie allein. Und dann war da ja schließlich Carlotta, die schon ganz aufgeregt auf sie wartete.
»Paula, komm, du musst mir helfen!«, unterbrach Gesine Schmidtke Paulas inneres Abschiedsritual.
Sie stand vor der geöffneten Heckklappe ihres Wagens und redete beschwörend auf Püppi ein. Püppi hörte ihr wedelnd und mit schief gelegtem Kopf zu. Aber sie machte keinerlei Anstalten, in den Wagen zu springen.
»Hopp, schöön hopp!!« Keine Reaktion. Paulas Mutter warf genervt die Hände in die Luft. »Komm, Paula, wir müssen sie