Grimmelshausen. Dieter Breuer

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Grimmelshausen - Dieter Breuer


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Welt nichts vollkommenes erfunden wird/daß nicht seine Mängel habe; Also ist auch hingegen kein Creatur noch Ding […] so schlimm noch nichts würdig/das nicht etwas Sonderbahres an sich hette/so zuloben were.“ Diese „Dinge“ bzw. „Materien“ hat er kritisch nach Für und Wider geprüft, beurteilt und in Lebensgeschichten, Traktaten, Kalendern oder Flugschriften dargeboten. Zu ihnen gehören zentral Materien aus Politik und Religion, zwar nicht in systematischer Breite, sondern in den für die damalige Gesellschaft neuralgischen Punkten, für die z.T. bis heute noch keine besseren Lösungen gefunden worden sind: Vertrauen in den positiven Verlauf der Weltgeschichte, Reform der staatlichen Ordnung zu mehr Gerechtigkeit, Ächtung des Krieges, Friedenspolitik, Aufklärung über Vorurteile gegen Minderheiten, besonders gegenüber den Juden, soziales Engagement statt Resignation und Rückzug aus dem Weltleben, Widerstand gegen unverantwortliche politische Entscheidungen; überkonfessionelle christliche Frömmigkeit, Bekehrung als didaktisch nicht planbare innere Glaubenserfahrung, Tolerierung andersartiger Lebensentwürfe, Überwindung religiöser Intoleranz, Verhältnis von Schicksal bzw. göttlicher Vorsehung und Willensfreiheit.

      Die 18 Kapitel über das politische und religiöse „Kerngeschäft“ des Dichters können jeweils einzeln für sich, aber auch im Zusammenhang gelesen werden. Vor Grimmelshausens breit gefächerten Kenntnissen des damaligen Weltwissens muss sich der heutige Leser nicht fürchten. Alle Quellenforschung hat immer wieder die Selbständigkeit und Offenheit seines Denkens und Urteilens und die sprachlich faszinierende Darstellungskunst bestätigt: ein „edel Ingenium“, dessen vom Krieg unterbrochener Werdegang zwar keinen gelehrten Hochschulabschluss vorweisen kann, dafür aber die größere Nähe zur vielfältigen Lebenswirklichkeit der Menschen seiner Zeit für sich hat. Im großen Roman Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch hat Grimmelshausen einen solchen Werdegang zum Dichter dargestellt, und nur hier, in der Dichtung, war es ihm möglich, sein Ideal, „eine freye Person/die niemand unterworffen“, aufscheinen zu lassen.

      Einleitung

      „Nicht nur zur Zeit-Verkürtzung“ – Grimmelshausen und seine Historien

      I

      Der Erzähler Grimmelshausen als Historiker? Dafür spricht, daß er vier Werke politisch-historischen Inhalts aus historischen Quellenwerken „zusammen getragen“ hat: das biblische „Exempel Der unveränderlichen Vorsehung Gottes. Unter einer anmutigen und ausführlichen Histori vom Keuschen Joseph in Egypten/Jacobs Sohn“, den aus „Uralten Hebräischen/Persischen und Arabischen Scribenten“ zusammengestellten „Musai“, die „Anmuthige Lieb- und Leids-Beschreibung“ des burgundischen Prinzen Dietwalt und der fränkischen Königstochter Amelinde „Sammt erster Vergrösserung des Weltberühmten Königreichs Franckreich“, die „Liebs-Geschicht-Erzehlung“ des oströmischen Prinzen Proximus und der Generalstochter Lympida. Den vier Werken sind Quellenverzeichnisse beigegeben oder es wird pauschal auf eine Vielzahl benutzter Quellen verwiesen. Ob dies ein Trick des Erzählers zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit des Erzählten ist, wird noch zu prüfen sein. In jedem Fall argumentiert der Erzähler als Historiker. Die Quellen zu seiner „Histori“ wolle er kritisch benutzen, Fabulöses aussondern:

       GRoßgünstiger lieber Leser/ich habe von vielen so hohen als nidern Stands-Personen die gern in der Bibel lesen/wünschen hören/sie wolten daß Josephs Histori etwas weitläuffiger beschrieben wäre/weil dann nun der Jüdische Geschichtschreiber Josephus und andere Hebreer mehr/neben dem Mahumetisten/als Türcken/Persern/Arabern und Egyptiern/auch die Griechische und Armenische Christen viel seltzame Sachen von Josephs Leben haben/die sich nicht in der Bibel befinden; Als habe ich aus demselben/was heiliger Schrifft nicht zu wider laufft/zusammen getragen/und in diß Buch verfasst/denen so die Histori Josephs so gern lesen/damit zu dienen/doch muß ich gestehen daß ich auch viel Dings/so gar fabelhafftig lautet/als unnütze Mährlein ausgelassen […]. 1

      Historia und Fabula bzw. „Mährlein“ sind zweierlei Gattungen. In der „Histori“ geht es um verbürgte Wahrheit, deren Kriterium ist in diesem Fall die biblische Überlieferung. Gegen Kritiker gewendet, schränkt der Verfasser sein Verständnis der Gattung „Histori“ noch weiter ein: Auf Spekulationen über menschliche Willensfreiheit und göttliche Vorsehung werde er sich nicht einlassen, da solche Fragen „zu keiner Histori, sondern in die Schul gehören“2; er versteht sich als Historiker, nicht als scholastischer Theologe oder Philosoph. Als Historiker sieht er gleichwohl seine Aufgabe darin, im Verlauf der Geschichte das Walten der göttlichen Vorsehung aufzuzeigen: Geschichte ist Heilsgeschichte. Den inhaltlichen Vorgaben der Gattung entspricht die zu wählende niedere Stilebene: „Wie es nun ihme Joseph ergangen/bis alles dem Göttlichen Willen nach zu Faden geschlagen worden/solches wird in diesem Buch einfältig erzehlt.“3

      Sechs Jahre später, in seiner zornigen Auseinandersetzung mit Philipp Zesen, kommt Grimmelshausen noch einmal auf seine Prinzipien als Historiker zurück. Zesen hatte in seinem Roman „Assenat“ (1670) Grimmelshausens Histori vom ägyptischen Joseph inhaltlich ausgeschlachtet, zugleich ihm mangelnde Quellentreue und fehlende Quellenkenntnis vorgeworfen und dazu noch geprahlt, daß vor ihm, Zesen, „dergleichen auf diese Weise noch niemand verfasset“ habe.4 Grimmelshausen hält dieser Behauptung entgegen: „Ich bin deß Josephs Autor […] der Kerl zauset mir die Haar auß/und darff hernach allerdings sagen/ich hätte eine falsche Parücke.“5 Zesens Vorwurf mangelnder Quellenkenntnis zu entkräften fällt ihm schwerer. Zesen hatte die mittelalterliche jüdische Geschichte von Josephs ägyptischer Gemahlin Assenat und die spätantike jüdische Lehrschrift „Letzter Willen der zwölf Erzväter“, die beide 1664 in deutscher Übersetzung erschienen waren, d.h. kurz vor Erscheinen des „Keuschen Joseph“, als zusätzliche Quellen nutzen können.6 Grimmelshausen blieb nichts anderes übrig, als die Unkenntnis dieser Quellen zuzugeben, zugleich aber in einer scharfsinnigen Quellenkritik den Wert dieser Überlieferung in Zweifel zu ziehen: „Der Asaneth Geschichte/so ich zwar nicht gesehen/halte ich vor ein Gedicht irgend eines alten Rabi/dardurch er die jüdische Jüngling zur Tugend und Keuschheit ansporren wollen […].“7

      Es sei auch gar nicht zu verwerfen, daß man in solcher moraldidaktischer Absicht Joseph „eine so vortrefflich aufferzogene Gemahlin“ angedichtet habe. Ebensowenig seien die Verfasser des „Letzten Willens der zwölf Erzväter“ wegen ihrer didaktischen Intentionen zu tadeln; ihnen sei nichts daran gelegen gewesen, „ob sie in ein oder anderer Erzählung/so viel die Histori selbst anbelangt/den Grund der Wahrheit so genau erforscht und beobachtet“ oder nicht; auch hier gehe es um eine Tugendlehre für die Jugend.8 Grimmelshausen trennt also die Gattung „Histori“, die auf der gründlichen Erforschung der Wahrheit beruht, von fabelhaften Erzählungen zum Zwecke der Moraldidaxe. Die beiden von Zesen bevorzugten Schriften könne man als historische Quellen schon deshalb nicht ernst nehmen, weil sie gravierende Widersprüche zu Aussagen der Bibel wie des jüdischen Geschichtsschreibers Josephus, aber auch zu der von Zesen angeführten Version des Augustinus aufwiesen.9 Er resümiert:

       Verbleibe dennoch bey meinem gefasten Wahn/daß die Geschichte der Assaneth mitsamt dem verfasten letzten Willen der Ertzvätter er erst lang nach Josephs Zeiten/von einigen jüdischen Rabinern auffgesetzt worden/mehr der Meinung/die Jugend anzureitzen/deß Josephs Tugenden nachzufolgen/als ihnen die Wahrheit der Geschicht sollen darzu legen. 10

      Die „Wahrheit der Geschicht“ bleibt auch in seinen folgenden Historien leitender Gesichtspunkt. Im Fall der Dietwalt-Historia kündigt er dem Widmungsempfänger Philipp Hannibal von Schauenburg „Zwar Alt Fränckisch/doch warhaffte und curiose Geschichten“ an und verknüpft diese sogar mit der Geschichte des schauenburgischen Adelsgeschlechts.11 Die Rolle des auf die Wahrheit verpflichteten Historikers nimmt er ernst; auch innerhalb seiner Darstellung der fränkischen Geschichte erinnert er den Leser an diese Pflicht des Historikers: „Weil aber einem jedwedern Historico die Wahrheit zu schreiben gebührt/sihe/so werde ich nicht verschweigen was dieser Könige unsterblich Lob verdunckelt.“12 Das abschließende Geleitgedicht legt dem Autor in den Mund, er habe „nur zur Lieb der edlen Warheit“ seine Feder angesetzt, er selbst habe davon keinen Gewinn.13

      Wie er sich in der Joseph-Historia an den vorgegebenen geschichtlichen Verlauf hält, so auch in


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