Grimmelshausen. Dieter Breuer

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Grimmelshausen - Dieter Breuer


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allem Vernunftwidrigen fest zu verhalten“,87 bzw., in den Begriffen der neustoizistischen Tugendlehre ausgedrückt, in seiner constantia oder fortitudo. Joseph bleibt, seine Affekte beherrschend, „in Glück und Widerwertigkeit ohnverändert“ (41). Das Ausrufezeichen hinter dem Satz: „Aber sein Vorsatz fromm [d.h. hier: nützlich, rechtschaffen] zu seyn/überwand doch!“ (57), ist ein bezeichnender Autorkommentar im Sinne hartumkämpfter Vernunftorientierung und Selbstdisziplinierung.

      Unter dem alten Regime, das führt nun der Autor vor, kann Joseph als nichtadeliger Vertreter der neuen stoizistischen Pflichtenethik nicht reüssieren; er wirkt hier wie ein Fremdkörper, und nicht der soziale Aufstieg, sondern Verleumdung, Gefängnishaft und Morddrohung sind das Ende, das freilich von Joseph stoizistisch als neue Bewährungsprobe aufgefaßt wird (72). Das hierbei auftretende Theodizeeproblem, daß nämlich „die Tugenden endlich auch selbst durch die Laster zerscheidert würden“ (68), löst Grimmelshausen, ganz im Sinne der frühabsolutistischen Staatslehre, durch einen Regimewechsel: der Staat, in dem Joseph ein seinen Fähigkeiten angemessenes Amt findet, muß erst noch geschaffen werden, und zwar entsprechend der absolutistischen Staatsreform, durch Umstrukturierung der bestehenden Gesellschaftsordnung. Die Initiative für die Reform geht dabei, wie üblich, vom (durch Erbfolge legitimierten) neuen Herrscher aus (Reform von „oben“).

      Der junge König vertritt wie Joseph die neue, am Gemeinwohl orientierte Staatsauffassung. Er entfernt noch vor seiner Krönung eigennützige, „pflichtvergessene“ Hofbeamten aus ihren Ämtern (78). Vor allem aber geht er – im Sinne der frühabsolutistischen Staatslehre, etwa Contzens – davon aus, daß pietas, die demütige Unterwerfung unter die göttliche Vorsehung, und prudentia, die vorausschauende, auf das Wohl des ganzen Staates bedachte ratio status, untrennbar verbunden sind.88 Dies ist ein Grund für die Glaubwürdigkeit von Josephs Prognose, derzufolge „Gott nicht allein offenbahrt [hat]/daß er [Pharao] Egypten beherrschen soll; sondern auch das wichtige nicht verhalten/so unter seiner Regierung geschehen wird; damit er deswegen bey Zeiten weißliche Vorsehung thue/und Land und Leut im Wolstand erhalte“ (86). Daß Joseph glaubwürdig, weil „zierlich“89 und kenntnisreich, die religiös fundierte Staatsräson vertritt, ist dem König Grund genug, nach kurzer Beratung mit den vornehmsten „Reichs=Ständen“, ihm die Regierungsgewalt zu übertragen:

       Wir haben so wohl aus deiner Weißheit und Wissenschaft: als auch aus deinem offenhertzigen Gemüt genügsame Hoffnung geschöpfft/du werdest die Stell des jenigen am besten vertretten können/den du uns zu suchen gerathen hast; Darum nun so sihe/wir übergeben dir des Reichs Siegel/und mit demselben allen Gewalt über gantz Egypten; nichts wird mein Person von sich behalten/als den Königlichen Titul: Zepter/Cron und Thron: hier stehen die Vornemste des Reichs dir zu Gebott/und glauben/du werdest solchen Gewalt/den wir dir geben/nicht mißbrauchen/sondern zu unserer Nation Aufnehmen: Nutzen und Erhaltung anwenden; als welcher Glückseligkeit du dich alsdann auch selbst zu erfreuen hast/vornemlich/wann du ihr also vorstehest/wie wir ein Vertrauen zu dir haben. (87)

      Noch deutlicher formuliert der König das Prinzip des religiös fundierten politischen Handelns bei der offiziellen Amtsübergabe:

       Befleisse dich derowegen/deiner Weißheit nach/so regieren zu helffen/daß weder die Götter/noch die Völcker der Egyptischen Cron an uns etwas zu tadelen finden mögen. (91)

      Diese Übertragung des höchsten Staatsamtes zwischen König und Reichsständen an einen kaum rehabilitierten Nichtadeligen, dazu seine rasche Verheiratung mit der dem Hochadel angehörenden Asaneth – eine politische Heirat, die zugleich Liebesheirat ist –, das liest sich wie ein Märchenschluß und ist auch, gemessen an den sozialen Aufstiegsmöglichkeiten zur Zeit Grimmelshausens, unwahrscheinlich. Dennoch bewegt sich Grimmelshausen auch hier im Umkreis der frühabsolutistischen Staatslehre, der es darum geht, die königliche Zentralgewalt gegenüber den Privilegien der Stände durchzusetzen und die dazu die Institution des dem Gemeinwohl verpflichteten, von den höheren Ständen unabhängigen Beraters vorgeschlagen hat. Allerdings ist meines Wissens das Postulat, den Berater ausschließlich nach seiner (religiös verankerten) prudentia auszuwählen, selten vertreten worden.

      Zu dieser Beobachtung paßt, daß sich auch im Teutschen Friedens-Raht, im Kapitel „De Consiliariis. Von Rähten“, eine einschubartige Stellungnahme zu dieser Frage findet, die ähnlich schroff formuliert ist:90

       Et paulo post: Es soll auch ein Fürst/das vermögen/geschlecht/oder vorschrifften nicht ansehen/sonder allein den Verstand und geschicklichkeit/dann die ämpter sollen mit personen/und nicht die Personen mit ämptern bestellt werden. Das ist man soll nicht nach favor oder gunst/noch wegen geschenck die dienst verleihen/sonst pflegt man zu sagen/Hat man Geld/so ist er ein Held. Der mit guldenen Äpffeln werfen könnte/der ist ein gewesener Mann.

      Wie man diese Stellungnahme auch bewerten mag, Grimmelshausen hat sich in seiner Joseph-Histori auf seine Art mit dem Problem des sozialen Aufstiegs des Tugendhaften auseinandergesetzt: Denkbar erscheint ihm dieser Aufstieg, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt, offenbar nur im Rahmen der frühabsolutistischen Staatsreform.

      Die positive Bewertung der religiös verankerten absolutistischen Staatsordnung geht auch aus dem weiteren Verlauf der Histori hervor. Joseph kann sich als zielstrebiger Reformpolitiker bewähren. Ausgehend von seinen Prognosen über die künftige wirtschaftliche Entwicklung des Reiches, setzt er gegen den Widerstand der „alten Reichs-Räte“ (93) eine zentral gelenkte Wirtschaftspolitik durch, die durch eine Vorratswirtschaft großen Stils die zukünftige Versorgung des Reiches sichern soll. Gemäß seiner „neuen Ordnung“ (93) läßt er nach einer Visitationsreise, bis zur Erschöpfung der königlichen Schatzkammern, Getreidespeicher anlegen und alles kaufbare Getreide „um landläufigen/und zwar damals sehr wolfeilen Preiß“ (93) aufkaufen. Für den Leser des 17. Jahrhunderts ist dies eine höchst aktuelle Überlegung, da ja bis hin zur Französischen Revolution Mißernten und Hungersnöte oft zu schweren Staatskrisen geführt haben.91 Der Verkauf der Vorräte während der folgenden siebenjährigen Teuerung stellt einmal die Versorgung der Bevölkerung sicher, zum anderen bewirkt er eine völlige Veränderung der Eigentumsverhältnisse zu Gunsten der Krone:

       Joseph aber gab niemand kein Getraidt/als um paar Geld/und als solches auch nach und nach/um Früchten/zu des Königs und Josephs Handen kommen war/musten silberne und güldene Geschirr/allerhand Kleinodien/Perlen und Edelgestein/die sonst viel Jahr lang wohl aufgehebt worden/hervor; also/daß bey nahe kein güldner noch silberner Ohren- oder Finger-Ring im Land verblieb/welcher nicht dem Pharao zu Theil wurde; es mochte aber alles nicht erklecken/also/daß die arme Leut/ihr Leben vorm Hunger zu erretten/in den fünff letzten Jahren erstlich ihr Vieh und ligende Güter/ja endlich ihre eigne Leiber zu ewiger Dienstbarkeit/um Proviant dem Joseph verkaufften; Derohalben wurde der König ein Herr über alles/was sich in Egypten befand; nur die Priester/darunter auch Josephs Verwandten verstanden werden/behielten ihre vorige Freyheit und Aecker […]. (120f.).

      Um nach Normalisierung der Lage die Bewirtschaftung des neuen Kronlandes sicherzustellen, richtet Joseph „unveränderliche Mäyerhöfe“ ein, die er an Königsleute verpachtet – „in aller Maß und Form/wie man noch heutigs Tags den Bauern die Land-Güter zu verleihen pflegt“ (121), so fügt der Autor aktualisierend hinzu. Auch den außenpolitischen Auswirkungen der „neuen Ordnung“ weiß Joseph zu begegnen; er verhindert den drohenden Krieg mit den gleichfalls von den Mißernten betroffenen Nachbarstaaten durch eine geschickte Außenhandelspolitik, mit dem Ergebnis, „daß Egypten damals seines gleichen Königreich/weder an Macht der Mannschaft/oder Geldmitteln noch Proviant in der Welt nicht hatte“ (104f.). Am Ende steht demnach der nach innen gefestigte und nach außen abgesicherte zentral gelenkte monarchische Machtstaat.

      Wie die frühabsolutistischen Staatslehrer sieht auch Grimmelshausen in der zentralen staatlichen Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses die entscheidende Voraussetzung der Machtbildung im Interesse des Gemeinwohls. Und analog zu jenen versucht er mit seinen erzählerischen Mitteln den Nachweis zu erbringen, daß ein derartiger Prozeß der Machtbildung im Vertrauen auf die providentia Dei nicht unmoralisch verlaufen muß, sondern iustitia und aequitas erst gewährleistet.

      Offenbar


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