Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter

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Gabriele Reuter – Gesammelte Werke - Gabriele Reuter


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las­sen, mit die­sen Hoff­nun­gen be­schäf­tigt, wür­de sie lä­chelnd und zer­streut geant­wor­tet ha­ben: »Ja – ger­ne!«

      Ihr Va­ter saß hin­ter der Zei­tung. Sein Ge­sicht, als er es flüch­tig bei ih­rem Mor­gen­gruß er­hob, war ernst und sor­gen­voll. Er ant­wor­te­te ihr nicht.

      Aga­the ging ih­rer Mut­ter nach.

      »Was ist mit Papa? Freut er sich nicht?«

      Ihre Mut­ter hat­te ge­weint.

      »Lie­bes Kind, Du kannst nicht von ihm ver­lan­gen, dass er Dich gern her­gibt. Du bist doch un­ser Son­nen­schein. Er ist … ich dach­te … er äu­ßer­te sich im­mer so güns­tig über Herrn Rai­ken­dorf. Nun mit ei­nem Mal … aber das wird sich schon ge­ben! – Weißt Du, Aga­the, es ist ihm sehr un­an­ge­nehm, dass Du die Äu­ße­rung über mein Ver­mö­gen ge­tan hast.«

      »Ja aber – ich muss­te doch …«

      »Ich habe mich nie um die Ver­wal­tung be­küm­mert. Das ver­steht Papa ja viel bes­ser. Aber Papa sagt, wir hät­ten Ver­lus­te ge­habt. – Lass nur gut sein! Wir rich­ten uns schon ein. Wir neh­men eine klei­ne­re Woh­nung, und wenn Du fort bist, brau­chen wir auch nur ein Mäd­chen. Ich habe es Papa schon vor­ge­rech­net. Dein Glück steht uns doch am höchs­ten.«

      Die Un­ter­re­dung zwi­schen dem Re­gie­rungs­rat und Rai­ken­dorf dau­er­te sehr lan­ge. Aga­the konn­te einen ge­reiz­ten Ton in der Stim­me ih­res Va­ters ver­neh­men. Wor­te ver­stand sie nicht. Wie­der wur­de hin­ter ver­schlos­se­nen Tü­ren über ihr Schick­sal ver­han­delt – wie da­mals, als die Ärz­te be­rie­ten, ob sie an ei­ner lang­wie­ri­gen Krank­heit zu Grun­de ge­hen oder ge­sund wer­den wür­de. Und man er­laub­te ihr nicht, mit­zu­spre­chen, zu fra­gen, das Für und Wie­der zu hö­ren. Ge­dul­dig muss­te sie sit­zen, die Hän­de im Schoß, und war­ten, was über sie be­schlos­sen wur­de.

      Mein Gott, mein Gott, er­bar­me Dich doch!

      Sie wen­de­te sich nicht an den Hei­land – sie fürch­te­te ihn – er for­der­te Ent­sa­gung und Kreuz­tra­gen. In­stink­tiv dräng­te es sie zu Gott dem Va­ter, dem Schöp­fer und Er­hal­ter al­les Le­bens.

      Im­mer war ihr, als müs­se sie jetzt, wie in je­ner an­de­ren fürch­ter­li­chen Stun­de, das be­frei­en­de La­chen hö­ren …

      Eine Tür wur­de ge­öff­net. Lei­se, vor­sich­tig spra­chen Papa und Rai­ken­dorf mit­ein­an­der – so dumpf … als wäre et­was ge­stor­ben. – Ging er … ohne zu ihr zu kom­men?

      Sie hielt sich am Fens­ter­kreuz und starr­te auf die Stra­ße. Rai­ken­dorf trat aus der Tür, und ohne em­por­zu­bli­cken, ging er lang­sam fort.

      »Mama!« schrie Aga­the hei­ser auf, »geh doch, sieh doch!«

      Ihr Va­ter kam her­ein. Als er Aga­the an­sah, das angst­ver­zerr­te klei­ne Ge­sicht, wink­te er sei­ner Frau. Er konn­te es ihr nicht sa­gen. Die Mut­ter fand wohl bes­se­re Wor­te. Sie muss­te ihr ja auch schon frü­her ein­mal den ers­ten Schlag bei­brin­gen.

      »… Du bist ein ver­stän­di­ges Mäd­chen … Papa hat es uns bis­her ver­schwie­gen … er mein­te, wir wür­den die Dis­kre­ti­on nicht ge­wahrt ha­ben – we­gen Eu­ge­nie. Wal­ter hat­te Schul­den – ge­spielt – ehe er sich ver­lob­te. Papa muss­te sie be­zah­len, sonst … we­gen sei­ner Stel­lung … Er hat auch so stren­ge Ehr­be­grif­fe. Wir ha­ben viel ver­braucht – von mei­nem Ver­mö­gen ist nichts mehr da. Er hat mir den Kum­mer er­spa­ren wol­len … Mein gu­tes, ver­stän­di­ges Mäd­chen …«

      Frau Heid­ling hielt Aga­thes Hand und strei­chel­te sie im­mer­fort, als kön­ne sie ihr da­mit das zu­cken­de Herz in ma­gne­ti­schen Schlaf strei­cheln.

      Sie hat­te eine Angst um Aga­thes Ge­sund­heit … Und bei­na­he fei­ge, hin­ter­lis­tig, die Schuld von ih­rem Man­ne ab­zu­wäl­zen, be­gann sie: »Wenn Dich Rai­ken­dorf wirk­lich lieb ge­habt hät­te …«

      »Mama!« schrie Aga­the em­pört her­aus, »er kann doch nicht! Er hat auch Schul­den zu be­zah­len! Er ist ehr­lich ge­gen mich ge­we­sen!«

      Sie riss ihre Hand aus der ih­rer Mut­ter und ging auf ihr Zim­mer.

      *

      Am Abend aßen Wal­ter und Eu­ge­nie bei den El­tern. Sie woll­ten in den nächs­ten Ta­gen nach He­rings­dorf rei­sen. Es soll­te das letz­te Bei­sam­men­sein wer­den. Der Re­gie­rungs­rat wünsch­te nicht, dass sei­ne Frau ih­nen ab­sag­te.

      »Da­durch wird die Sa­che nur her­um­ge­spro­chen. Es scha­det dem Mäd­chen nicht, wenn sie sich zu­sam­men­nimmt.«

      »– – Höre mal, Aga­the, was ist Dir denn in die Milch ge­fal­len?« frag­te Wal­ter bei Tisch. »Du machst ja eine höchst sen­ti­men­ta­le Jam­mer­mie­ne! Hat Dich Dein Lan­drat ge­är­gert?«

      »Lass Dei­ne Schwes­ter in Ruhe, sie hat Kopf­weh«, be­fahl sein Va­ter är­ger­lich.

      Aga­the über­fiel ein Zit­tern, ihr gan­zes Ge­sicht ver­zog sich zu ei­ner er­schre­cken­den Gri­mas­se. Sie stand auf und ging ei­lig hin­aus: wäre sie ge­blie­ben, so hät­te sie sich auf ih­ren Bru­der ge­stürzt – sie fühl­te plötz­lich et­was wie eine in­ne­re wil­de, schreck­li­che Kraft, die sich aus Fes­seln los­rang und nicht mehr zu hal­ten war.

      »Da hört doch aber man­ches auf!« rief Wal­ter. »Nicht mal einen harm­lo­sen Spaß kann man noch mit ihr ma­chen! So ein al­ber­nes, emp­find­li­ches Frau­en­zim­mer!«

      »Du drückst Dich recht hart aus«, sag­te sei­ne Mut­ter be­klom­men. »Aga­the hat auch ihr Teil zu tra­gen.«

      »Aber Mama, un­aus­steh­lich reiz­bar ist sie wirk­lich«, sag­te Eu­ge­nie.

      »Was hat sie denn zu tra­gen«, fiel Wal­ter ein. »Sie soll­te Gott dan­ken, dass es ihr so gut geht. Was denn? Un­ser­eins hat sei­nen Dien­stär­ger, die Pla­ge mit den Re­kru­ten und die Schin­de­rei von den Vor­ge­setz­ten. Da­ge­gen so ein jun­ges Mäd­chen … Nichts auf der gan­zen wei­ten Welt zu tun, als sich zu put­zen und ver­gnügt aus­zu­se­hen … Alte Jung­fern­schrul­len, sage ich.«

      »Schlie­ßen wir mal die Au­gen, ist doch nie­mand da, um für sie zu sor­gen«, klag­te Frau Heid­ling in ei­nem dürf­ti­gen, jäm­mer­li­chen Ton.

      Ihr Mann warf ihr einen stren­gen Blick zu. Es ver­letz­te sei­nen Stolz, mit Wal­ter und sei­ner rei­chen Frau von die­ser Ge­schich­te zu re­den.

      »Ers­tens hat es mit dem Ster­ben noch lan­ge Zeit«, be­gann der jun­ge Of­fi­zier, »und dann hat sie doch uns.«

      »Ja – nicht wahr, Wal­ter, Du ver­sprichst mir, dass Du Dei­ne Schwes­ter nie ver­lässt!«

      »Aber selbst­ver­ständ­lich, Mama!« Die­se un­nö­ti­ge Fei­er­lich­keit jetzt plötz­lich zwi­schen Salat und Rührei – was die Frau­en doch al­les schwer neh­men. Na, Eu­ge­nie hat­te Gott sei Dank kei­ne Ner­ven. »Aga­the kommt na­tür­lich zu uns. Nicht wahr, Frau­chen?«

      »Sie kann ja mit den Kin­dern spa­zie­ren ge­hen, wenn sie sich nütz­lich ma­chen will – da spa­ren wir ein Fräu­lein«, sag­te Eu­ge­nie leicht­hin.

      »Siehst Du, Mama«, schloss Wal­ter be­frie­digt das Ge­spräch, »sie fin­det schon Ar­beit bei uns. Wenn wir erst das klei­ne Mäd­chen zum Jun­gen ha­ben … Na, gib


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