Mami Staffel 1 – Familienroman. Gisela Reutling
Читать онлайн книгу.sah Julia auf den kleinen Burschen im kurzen Schlafanzughöschen hinab. »Das könnt ihr am Sonntag tun, wenn deine Eltern erlauben, daß du dann mit deinem Onkel Mathias zu mir kommst.«
»Da bleibt uns wohl nichts anderes übrig, wo er es doch so wichtig damit hat«, äußerte Mutter Brigitte in scherzhaftem Ton, und sie gab der reizenden jungen Frau, die das Herz ihres Bruders gewonnen hatte, einen Blick freundschaftlicher Zuneigung.
*
Endlich war es soweit, daß sie in den Flieger steigen konnten, das Abenteuer für die beiden Bübchen begann. Und eine Zeit des Glücks für Mathias und Julia, die sich losgelöst von aller Erdenschwere fühlten.
Mathias hatte nicht zuviel versprochen: Das Haus mit den rosa getünchten Mauern lag paradiesisch in einer südlichen Landschaft, und es bot mehr Platz, als man es ihm von außen ansah. Dunkeläugige Dorfkinder kamen angelaufen, um die Fremden, die da einzogen, neugierig zu betrachten. Alsbald klopfte auch eine rundliche Frau in mittleren Jahren und straff zurückgekämmten schwarzen Haar an die Tür, die sich als Maria Valdez vorstellte und ihre Hilfe anbot. Sie sprach etwas deutsch. Dem Eigentümer des Hauses sei sie bekannt, sie habe die anfallenden Arbeiten im Haushalt gemacht, wenn er mit seiner Familie und oft auch mit Gästen da wäre, und ihr Mann habe seinerzeit beim Ausbau geholfen.
»Ja, Herr Wagner hatte mir Ihren Namen schon genannt«, sagte Mathias erfreut. »Wir werden Sie brauchen können, Frau Valdez.«
»Nur Maria«, sagte die Frau bescheiden. Mit einem Blick auf Julia und die kleinen Jungen fügte sie mit der Unbefangenheit der Südländerin hinzu: »Sie haben eine schöne Frau und schöne Kinder.«
Die Tage reihten sich nun aneinander wie eine Kette kostbarer Perlen. Sie tummelten sich am Strand, der freilich hier nicht feinsandig, sondern von felsigen Klippen gesäumt war. Darüber konnte man bloßfüßig klettern und in kühlen, schattigen Verstecken spielen. Das Meer zeigte sich in seidenglatter Bläue, und wo es am Rande nicht tief war, lernte Florian schwimmen, angefeuert von seinem ein Jahr älteren Freund Benjamin, der schon furchtlos mit dem Onkel ein Stück hinausschwamm.
Sie sahen den Fischern beim Flicken ihrer Netze zu, und von dem, was diese im Morgengrauen gefischt hatten, wurden ihnen vom Wirt im Dorfgasthaus die delikatesten Gerichte zubereitet.
Die Jungs hatten sich bald mit anderen Kindern angefreundet. Sie lernten neue Spiele und verständigten sich mit beredten Gesten, kannten schon nach Tagen auch ein paar Brocken von der Sprache des anderen und machten sich einen Spaß daraus, sie anzuwenden.
Müde von allen Erlebnissen fielen den Kleinen fast schon die Augen zu, wenn die Sonne blutrot unterging. Ohne Murren ließen sie sich zeitig in ihre Betten bringen. Der Abend unter dem sternenbesäten Himmel gehörte Julia und Mathias. Sie saßen dann vor dem Haus, wo es eine bequeme, aus Baumholz geschnitzte Sitzgruppe gab. Eine tiefe, wundervolle Stille war hier um sie, nur die Zikaden zirpten in den Pinien. Auf dem Tisch stand eine Karaffe mit rotem Wein, von dem sie tranken. Dabei schwiegen die Liebenden eine ganze Weile in ihrem glücklichen, innigen Einverständnis.
Zwei Wochen ihres Urlaubs waren auf diese Weise schon vergangen, als Mathias an einem solchen Abend sagte: »Wollen wir heiraten, Julia? Wir wissen doch schon, daß wir zusammengehören.«
Er sah die geliebte Frau an, über deren Antlitz der Schein des flackernden Windlichts huschte. Die Nacht war schwarz, es zeigten sich weder Mond noch Sterne, deshalb hatten sie die offene Öllampe auf den Tisch gestellt. Wie schön sie ist, mußte er denken. Das gar so schmale Oval ihres Gesichts hatte sich sanft gerundet, ihre Haut hatte hier einen goldbraunen Ton bekommen. Immer war nur ein Leuchten um sie, wie von innen heraus.
»Du zögerst?« fragte er nach einigen Sekunden, da sie schwieg und nur seinen Worten nachzulauschen schien. »Es kann doch eigentlich nicht überraschend für dich kommen, weil es die logische Folgerung ist, wenn zwei so glücklich miteinander sind wie wir. Denn du bist es doch auch, Julia, du kannst wieder lachen und von einer Beschwingtheit sein, die mich entzückt. Ich möchte nicht, daß
du es wieder verlierst, dein helles Lachen und deine Gelöstheit.«
»Ich habe hier einmal alles vergessen, Mathias«, sprach Julia verhalten, »deshalb konnte ich auch fröhlich sein. Wenn wir zurückkehren müssen, werden die Schatten wieder fallen. Vergiß nicht, daß ich Florian dann wieder hergeben muß und mir die Stunden mit ihm zugeteilt werden. Das wird immer eine offene Wunde in mir sein.«
»Darum könnten wir aber doch heiraten«, sagte Mathias. »Oder willst du nicht meine Frau werden? Hast du Angst, ich könnte dich enttäuschen wie der andere?«
»O nein, Liebster, das habe ich nicht. Ich fürchte nur, daß dieses Hin und Her mit Florian auch für dich auf die Dauer zu einer Last werden könnte. Es läßt kein geregeltes Leben zu, weißt du, dieses Kommen und Gehen und Sichlosreißen-müssen. Er ist doch mein Kind.« Ihre Stimme erstickte im Flüstern, sie drehte ihr Glas in der Hand, als müßte sie sich daran festhalten. Das dunkle Haar fiel ihr weich über die Wangen.
»Wir werden zusammen ein Kind haben, oder zwei, ich wünsche es mir. Mehr denn je, seit wir hier mit den beiden so etwas wie ein Familienleben führen«, hielt Mathias dagegen. »Wenn du erst ein Baby im Arm hältst, ein Kind unserer Liebe, Julia, wirst du leichter auf Florian verzichten können.« Er nahm ihre Hand und streichelte sie sacht.
»Ja, vielleicht«, hauchte Julia, aber sie sah ihn dabei nicht an.
Da ließ er ihre Hand los. Er kreuzte die Arme über der Brust und lehnte sich zurück. Der Wind war stärker geworden, man vernahm jetzt auch den Wellenschlag des Meeres, das gegen die Klippen schlug.
Eine Mutter würde nie auf ihr Kind verzichten können, ging es ihm durch den Sinn. Groll erfaßte ihn gegen den Mann, gegen diese Familie, die es ihr weggenommen hatten.
Nach einer langen, gedankenvollen Pause sagte Julia mit veränderter Stimme: »Ich will dir nicht das Herz schwermachen, Mathias. Wenn du glaubst, damit leben zu können, sehe ich die Zukunft auch so, wie du sie mir vorstellst, du und ich vereint, und, so Gott will, eines Tages glückliche Eltern. Ich bin so dankbar, daß wir uns gefunden haben. Da sollte ich es doch fertigbringen, Florian loszulassen.« Sie neigte sich zu ihm und strich ihm über die umwölkte Stirn. »Vergiß es«, bat sie. »Sei wieder froh.«
Aber mit einem ernsten Blick sah er sie an. »Ich überlege mir«, sagte er langsam, als wäge er jedes seiner Worte, »ob es nicht einen Ausweg geben könnte. Dieses Argument, daß der Junge in einer intakten Großfamilie besser aufgehoben wäre als bei seiner alleinstehenden Mutter, entfiele im Falle unserer Heirat. Darauf könnte man aufbauen.«
»Worauf willst du hinaus?« fragte Julia unsicher.
»Daß wir eventuell eine Wiederaufnahme des Prozesses anstrengen«, antwortete Mathias. »Man müßte den Rodenbachs die Trümpfe aus der Hand nehmen. Dein Ex-Mann wird eine fremde Frau ins Haus bringen, die dem Sohn niemals die leibliche Mutter ersetzen kann.«
Julias Atem hatte sich beschleunigt. Eine Wiederaufnahme des Prozesses… Noch einmal vor Gericht gehen, Streiten, erneut alles aufwühlen! Für einen Moment schloß sie die Augen. Wie sie das alles vor sich sah, die hohen kahlen Räume, deren graue Mauern sie feindselig umgaben, die Männer in ihren schwarzen Roben, die ihre Situation zerpflückten und vor nichts haltmachten.
»Ich weiß nicht, ob ich das noch einmal ertragen kann, Mathias«, preßte sie hervor. »Alexander würde doch wieder mit allen Mitteln um seinen Sohn kämpfen, und wieder würde Florian da hineingezogen werden. Das war damals schon schlimm genug.«
»Wir würden auch kämpfen, Julia, und Florian, wie ich ihn kenne, wird es durchstehen«, schob er ihre Einwände beiseite. »An deiner Stelle werde ich sein, als dein Anwalt. Mein ganzes juristisches Können und meine Erfahrung werde ich einsetzen. Es sollte mein wichtigster Fall werden: Der Kampf um dein Glück, Julia!« Mathias hatte sich in Eifer geredet, um Julias Zweifel zu zerstreuen.
Sie tat einen zitternden Atemzug. »Wir brauchen das nicht heute zu entscheiden. Laß uns die kostbaren Tage, die uns hier noch bleiben, unbeschwert genießen. Zu Hause sehen wir dann weiter, ja?«