H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells
Читать онлайн книгу.der Mondszenerie – gebannt stehen. Mich fasste ein plötzliches Lachen, und dann sprang ich ab, ihm zu folgen. Plumps! fiel ich neben ihm nieder.
Wir machten ein paar gargantuanische Schritte, sprangen noch drei oder viermal und setzten uns schließlich in einer flechtenbedeckten Höhlung nieder. Unsere Lungen schmerzten. Wir saßen da und hielten uns die Seiten und suchten wieder zu Atem zu kommen, indem wir einander Beifall zublickten. Cavor keuchte etwas von »erstaunlichen Empfindungen«. Und dann kam mir ein Gedanke in den Kopf. Im Moment erschien er nicht als ein besonders erschreckender Gedanke, nur als eine natürliche Frage, die sich aus der Situation ergab.
»Nebenbei«, sagte ich, »wo mag die Sphäre des Genaueren liegen?«
Cavor blickte mich an. »Eh?«
Die volle Bedeutung dessen, was wir sagten, blitzte mir scharf auf.
»Cavor!«, rief ich und legte ihm eine Hand auf den Arm, »wo ist die Sphäre?«
10 – Auf dem Mond verirrte Menschen
Sein Gesicht nahm etwas von meinem Entsetzen an. Er stand auf und starrte um sich in das Gestrüpp, das uns umzäunte und um uns aufstieg und in leidenschaftlichem Wachstum nach oben rang. Er legte sich eine zweifelnde Hand an die Lippen. Er sprach mit einem plötzlichen Mangel an Sicherheit. »Ich glaube«, sagte er langsam, »wir haben sie … irgendwo … daherum gelassen.«
Er zeigte mit zögerndem Finger, der über einen Bogen schwankte.
»Ich bin nicht sicher.« Die Bestürzung in seinem Blicke vertiefte sich. »Auf jeden Fall«, sagte er, die Augen auf mich gerichtet, »kann es nicht weit sein.«
Wir waren beide aufgestanden. Wir stießen bedeutungslose Ausrufe aus, unsere Augen suchten in dem sich verschlingenden, dichter werdenden Dschungel rings um uns.
Überall rings um uns schäumten und schwankten die strahlenden Büsche, die schwellenden Kakteen, die kriechenden Flechten. Überall dort, wo Schatten war, blieben die Schneewehen liegen. Nach Norden, nach Süden, nach Osten und Westen erstreckte sich die gleiche Monotonie ungewohnter Formen. Und irgendwo begraben schon in diesem verschlungenen Wirrwarr, lag unsere Sphäre, unser Haus, unser einziger Vorrat, unsere einzige Hoffnung auf Rettung aus dieser fantastischen Wildnis ephemerer Pflanzen, in die wir geraten waren.
»Ich glaube doch«, sagte er, plötzlich zeigend, »es könnte da drüben sein.«
»Nein«, sagte ich. »Wir haben uns in einer Kurve gedreht! Seh’n Sie! da ist die Spur meines Absatzes. Es ist klar, sie muss mehr nach Osten liegen, viel mehr. Nein! – die Sphäre muss da drüben sein.«
»Ich glaube«, sagte Cavor, »ich habe die Sonne die ganze Zeit über rechts gehabt.«
»Bei jedem Sprung, scheint mir«, sagte ich, »ist mein Schatten vor mir hergeflogen.«
Wir starrten uns gegenseitig in die Augen. Das Gebiet des Kraters war unserer Fantasie ungeheuer weit geworden, das wachsende Dickicht bereits undurchdringlich dicht.
»Gütiger Himmel! Was für Narren wir gewesen sind!«
»Es ist klar, dass wir sie wiederfinden müssen«, sagte Cavor, »und das bald. Die Sonne wird stärker. Wir würden schon jetzt vor Hitze ohnmächtig werden, wenn es nicht so trocken wäre. Und … ich habe Hunger.«
Ich starrte ihn an. Diese Seite der Sache hatte ich vorher nicht vermutet. Aber es überkam mich sofort – ein positives Verlangen. »Ja«, sagte ich mit Nachdruck, »ich habe auch Hunger.«
Er stand mit einem Blick aktiver Entschlossenheit auf. »Aus jeden Fall müssen wir die Sphäre finden.«
So ruhig wie möglich überblickten wir die endlosen Risse und Dickichte, die den Boden des Kraters bildeten, und wir beide wogen in der Stille die Aussicht ab, ob wir die Sphäre finden würden, ehe die Hitze und der Hunger uns überwältigten.
»Sie kann keine fünfzig Meter von hier entfernt sein«, sagte Cavor mit unentschiedenen Gesten. »Das einzige ist, herumzusuchen, bis wir sie finden.«
»Das ist alles, was wir tun können«, sagte ich ohne jede Lebendigkeit, mit unserer Jagd zu beginnen. »Ich wollte, diese verdammten Dornbüsche wüchsen nicht so schnell.«
»Das ist es gerade«, sagte Cavor. »Aber sie hat auf einer Schneebank gelegen.«
Ich starrte in der unbestimmten Hoffnung umher, ich werde einen Kopf oder einen Busch wiedererkennen, der in der Nähe der Sphäre gestanden hatte. Aber alles war die verwirrende Gleichheit, überall die aufstrebenden Büsche, die schwellenden Pilze, die schwindenden Schneebänke, die sich stetig und unvermeidlich änderten. Die Sonne sengte und stach, die Schwäche eines unerklärlichen Hungers mischte sich mit unserer unendlichen Bestürzung. Und wie wir noch so da standen, verwirrt und verloren unter unerhörten Dingen, wurden wir uns zum ersten Mal eines Schalles auf dem Mond bewusst, der etwas anderes war, als die Regung der wachsenden Pflanzen, das leichte Seufzen des Windes oder die Geräusche, die wir selber gemacht hatten.
Bumm … Bumm … Bumm …
Er kam von unter unseren Füßen her – ein Schall im Mond. Es war, als hörten wir ihn ebensosehr mit unsern Füßen wie mit unsern Ohren. Seine dumpfe Resonanz war durch die Ferne gedämpft, gedämpft von den dazwischenliegenden Massen. Kein Schall, den ich mir vorstellen kann, hätte uns mehr erstaunen können, oder hätte den Ausdruck der Dinge um uns vollständiger verändern können. Denn dieser reiche, langsame und überlegte Schall, so schien es uns, konnte nichts sein als der Schlag einer riesenhaften, vergrabenen Uhr.
Bumm … Bumm … Bumm …
Ein Schall, der an stille Klöster erinnerte, an schlaflose Nächte in volkreichen Städten, an Wachen und die erwartete Stunde, an alles, was geordnet und methodisch am Leben ist, und der dröhnte schwanger und geheimnisvoll empor in diese fantastische Wüste! Für das Auge war alles unverändert: die Einsamkeit der Büsche und Kakteen, die sich schweigend im Winde wiegten, erstreckte sich ungebrochen bis zu den fernen Klippen, der noch dunkle Himmel zu Häupten war leer; und die heiße Sonne zögerte und brannte. Und durch all das hindurch pochte eine Warnung, eine Drohung, dieses Schallrätsel hindurch.
Bumm … Bumm … Bumm …
Wir fragten einander mit schwachen und matten Stimmen. »Eine Uhr?«
»Wie eine Uhr!«
»Was ist es?«
»Was kann