Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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daß ihnen eine Esoterik eignet, die abzulegen sie nicht vermögen, die zu verleugnen ihnen untersagt ist, die zu rühmen sie richten würde. Die Alternative der philosophischen Form, welche durch die Begriffe von der Lehre und von dem esoterischen Essay gestellt wird, ist’s, die der Systembegriff des XIX. Jahrhunderts ignoriert. Soweit er die Philosophie bestimmt, droht diese einem Synkretismus sich zu bequemen, der die Wahrheit in einem zwischen Erkenntnissen gezogenen Spinnennetz einzufangen sucht als käme sie von draußen herzugeflogen. Aber ihr angelernter Universalismus bleibt weit entfernt, die didaktische Autorität der Lehre zu erreichen. Will die Philosophie nicht als vermittelnde Anleitung zum Erkennen, sondern als Darstellung der Wahrheit das Gesetz ihrer Form bewahren, so ist der Übung dieser ihrer Form, nicht aber ihrer Antizipation im System, Gewicht beizulegen. Diese Übung hat sich allen Epochen, denen die unumschreibliche Wesenheit des Wahren vor Augen stand, in einer Propädeutik aufgenötigt, die man mit dem scholastischen Terminus des Traktats darum ansprechen darf, weil er jenen wenn auch latenten Hinweis auf die Gegenstände der Theologie enthält, ohne welche der Wahrheit nicht gedacht werden kann. Traktate mögen lehrhaft zwar in ihrem Ton sein; ihrer innersten Haltung nach bleibt die Bündigkeit einer Unterweisung ihnen versagt, welche wie die Lehre aus eigener Autorität sich zu behaupten vermöchte. Nicht weniger entraten sie der Zwangsmittel des mathematischen Beweises. In ihrer kanonischen Form wird als einziges Bestandstück einer mehr fast erziehlichen als lehrenden Intention das autoritäre Zitat sich einfinden. Darstellung ist der Inbegriff ihrer Methode. Methode ist Umweg. Darstellung als Umweg – das ist denn der methodische Charakter des Traktats. Verzicht auf den unabgesetzten Lauf der Intention ist sein erstes Kennzeichen. Ausdauernd hebt das Denken stets von neuem an, umständlich geht es auf die Sache selbst zurück. Dies unablässige Atemholen ist die eigenste Daseinsform der Kontemplation. Denn indem sie den unterschiedlichen Sinnstufen bei der Betrachtung eines und desselben Gegenstandes folgt, empfängt sie den Antrieb ihres stets erneuten Einsetzens ebenso wie die Rechtfertigung ihrer intermittierenden Rhythmik. Wie bei der Stückelung in kapriziöse Teilchen die Majestät den Mosaiken bleibt, so bangt auch philosophische Betrachtung nicht um Schwung. Aus Einzelnem und Disparatem treten sie zusammen; nichts könnte mächtiger die transzendente Wucht, sei es des Heiligenbildes, sei’s der Wahrheit lehren. Der Wert von Denkbruchstücken ist um so entscheidender, je minder sie unmittelbar an der Grundkonzeption sich zu messen vermögen und von ihm hängt der Glanz der Darstellung im gleichen Maße ab, wie der des Mosaiks von der Qualität des Glasflusses. Die Relation der mikrologischen Verarbeitung zum Maß des bildnerischen und des intellektuellen Ganzen spricht es aus, wie der Wahrheitsgehalt nur bei genauester Versenkung in die Einzelheiten eines Sachgehalts sich fassen läßt. Mosaik und Traktat gehören ihrer höchsten abendländischen Ausbildung nach dem Mittelalter an; was ihren Vergleich ermöglicht, ist echte Verwandtschaft.

      Die Schwierigkeit, welche solcher Darstellung innewohnt, beweist nur, daß sie eine eigenbürtige prosaische Form ist. Während der Redende in Stimme und Mienenspiel die einzelnen Sätze, auch wo sie an sich selber nicht standzuhalten vermöchten, stützt und sie zu einem oft schwankenden und vagen Gedankengange zusammenfügt, als entwerfe er eine groß andeutende Zeichnung in einem einzigen Zuge, ist es der Schrift eigen, mit jedem Satze von neuem einzuhalten und anzuheben. Die kontemplative Darstellung hat dem mehr als jede andere zu folgen. Für sie ist es kein Ziel mitzureißen und zu begeistern. Nur wo sie in Stationen der Betrachtung den Leser einzuhalten nötigt, ist sie ihrer sicher. Je größer ihr Gegenstand, desto abgesetzter diese Betrachtung. Ihre prosaische Nüchternheit bleibt diesseits des gebietenden Lehrwortes die einzige philosophischer Forschung geziemende Schreibweise. – Gegenstand dieser Forschung sind die Ideen. Wenn Darstellung als eigentliche Methode des philosophischen Traktates sich behaupten will, so muß sie Darstellung der Ideen sein. Die Wahrheit, vergegenwärtigt im Reigen der dargestellten Ideen, entgeht jeder wie immer gearteten Projektion in den Erkenntnisbereich. Erkenntnis ist ein Haben. Ihr Gegenstand selbst bestimmt sich dadurch, daß er im Bewußtsein – und sei es transzendental – innegehabt werden muß. Ihm bleibt der Besitzcharakter. Diesem Besitztum ist Darstellung sekundär. Es existiert nicht bereits als ein Sich-Darstellendes. Gerade dies aber gilt von der Wahrheit. Methode, für die Erkenntnis ein Weg, den Gegenstand des Innehabens – und sei’s durch die Erzeugung im Bewußtsein – zu gewinnen, ist für die Wahrheit Darstellung ihrer selbst und daher als Form mit ihr gegeben. Diese Form eignet nicht einem Zusammenhang im Bewußtsein, wie die Methodik der Erkenntnis es tut, sondern einem Sein. Immer wieder wird als eine der tiefsten Intentionen der Philosophie in ihrem Ursprung, der Platonischen Ideenlehre, sich der Satz erweisen, daß der Gegenstand der Erkenntnis sich nicht deckt mit der Wahrheit. Erkenntnis ist erfragbar, nicht aber die Wahrheit. Die Erkenntnis richtet sich auf das Einzelne, auf dessen Einheit aber nicht unmittelbar. Die Einheit der Erkenntnis – wenn anders sie bestünde – wäre vielmehr ein nur vermittelt, nämlich auf Grund der Einzelerkenntnisse und gewissermaßen durch deren Ausgleich, herstellbarer Zusammenhang, während im Wesen der Wahrheit die Einheit durchaus unvermittelt und direkte Bestimmung ist. Dieser Bestimmung als einer direkten ist es eigentümlich, nicht erfragt werden zu können. Wäre nämlich die integrale Einheit im Wesen der Wahrheit erfragbar, so müßte die Frage lauten, inwiefern auf sie die Antwort selbst schon gegeben sei in jeder denkbaren Antwort, mit der Wahrheit Fragen entspräche. Und wieder müßte vor der Antwort auf diese Frage die gleiche sich wiederholen, dergestalt, daß die Einheit der Wahrheit jeder Fragestellung entginge. Als Einheit im Sein und nicht als Einheit im Begriff ist die Wahrheit außer aller Frage. Während der Begriff aus der Spontaneität des Verstandes hervorgeht, sind die Ideen der Betrachtung gegeben. Die Ideen sind ein Vorgegebenes. So definiert die Sonderung der Wahrheit von dem Zusammenhange des Erkennens die Idee als Sein. Das ist die Tragweite der Ideenlehre für den Wahrheitsbegriff. Als Sein gewinnen Wahrheit und Idee jene höchste metaphysische Bedeutung, die das Platonische System ihnen nachdrücklich zuspricht.

      Hierfür ist vor allem das »Symposion« dokumentarisch. Insbesondere enthält es zwei in diesem Zusammenhang entscheidende Aussagen. Es entwickelt die Wahrheit – das Reich der Ideen – als den Wesensgehalt der Schönheit. Es erklärt die Wahrheit für schön. Einsicht in die Platonische Auffassung vom Verhältnis der Wahrheit zur Schönheit ist nicht nur ein oberstes Anliegen jedes kunstphilosophischen Versuchs, sondern für die Bestimmung des Wahrheitsbegriffes selbst unersetzlich. Eine systemlogische Auffassung, welche in diesen Sätzen nur den altehrwürdigen Entwurf eines Panegyrikus auf die Philosophie sähe, würde damit sich unweigerlich vom Gedankenkreis der Ideenlehre scheiden. Dieser stellt vielleicht nirgends deutlicher als in den gedachten Behauptungen die Seinsweise der Ideen ins Licht. Von ihnen bedarf zunächst die zweite einer einschränkenden Erläuterung. Wenn die Wahrheit schön genannt wird, so ist dies im Zusammenhange des »Symposions« zu begreifen, das die Stufenfolgen der erotischen Begehrungen beschreibt. Eros – so muß verstanden werden – wird seinem ursprünglichen Bestreben nicht untreu, wenn er sein Sehnen auf die Wahrheit richtet; denn auch die Wahrheit ist schön. Sie ist es nicht sowohl an sich als für den Eros. Waltet doch das gleiche Verhältnis im menschlichen Lieben: der Mensch ist schön für den Liebenden, an sich ist er es nicht; und zwar deswegen, weil sein Leib in einer höheren Ordnung als der des Schönen sich darstellt. So auch die Wahrheit: schön ist sie nicht sowohl an sich als für den der sie sucht. Haftet ein Hauch von Relativität dem an, so ist nicht im entferntesten darum die Schönheit, die der Wahrheit eignen soll, ein metaphorisches Epitheton geworden. Das Wesen der Wahrheit als des sich darstellenden Ideenreiches verbürgt vielmehr, daß niemals die Rede von der Schönheit des Wahren beeinträchtigt werden kann. In der Wahrheit ist jenes darstellende Moment das Refugium der Schönheit überhaupt. So lange nämlich bleibt das Schöne scheinhaft, antastbar, als es sich frank und frei als solches einbekennt. Sein Scheinen, das verführt, solange es nichts will als scheinen, zieht die Verfolgung des Verstandes nach und läßt seine Unschuld einzig da erkennen, wo es an den Altar der Wahrheit flüchtet. Dieser Flucht folgt Eros, nicht Verfolger, sondern als Liebender; dergestalt, daß die Schönheit um ihres Scheines willen immer beide flieht: den Verständigen aus Furcht und aus Angst den Liebenden. Und nur dieser kann es bezeugen, daß Wahrheit nicht Enthüllung ist, die das Geheimnis vernichtet, sondern Offenbarung, die ihm gerecht wird. Ob Wahrheit dem Schönen gerecht zu werden vermag? diese Frage ist die innerste im »Symposion«. Platon beantwortet sie, indem er der Wahrheit es zuweist, dem Schönen das Sein zu verbürgen. In diesem Sinne also entwickelt er die Wahrheit als den Gehalt des Schönen. Nicht aber tritt er zutage in der Enthüllung,


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