Weihnachtsgeschichten. Charles Dickens

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Weihnachtsgeschichten - Charles Dickens


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sie seien durchaus glücklich und zufrieden und könnten es gar nicht besser haben. Ich kenne die Weiber. Wenn die eine Frau sich rühmt, macht es ihr die andere gleich nach. Es herrscht unter ihnen, mein Lieber, ein solcher Wetteifer, daß, wenn zum Beispiel Eure Frau zu meiner sagt: ›Ich bin die glücklichste Frau von der Welt und habe den besten Mann von der Welt und bete ihn förmlich an‹, so wird meine Frau dasselbe zu der Eurigen sagen oder noch mehr, und sie glaubt es sogar halbwegs.«

      »Ihr meint also, daß sie das nicht tut?« fragte der Fuhrmann.

      »Nicht tun!« rief Tackleton, mit einem kurzen, scharfen Lachen. »Was nicht tun?«

      Der Fuhrmann hatte halb die Absicht gehabt, hinzuzufügen: »daß sie Euch nicht anbetet.« Aber als er zufällig das halbgeschlossene Auge sah, in dem Augenblick, als es sich blinzelnd auf ihn heftete über den aufgeschlagenen Mantelkragen hin, dessen Spitze es ihm beinahe ausstach, da fühlte John, daß in diesem Menschen so wenig Anbetungswürdiges war, daß er statt dessen sagte: »daß sie es nicht selbst glaubt.«

      »Ha, ha! Ihr seid ein Schelm! Ihr scherzt!« sagte Tackleton.

      Aber der Fuhrmann, obgleich er nur langsam die ganze Tragweite dessen begriff, was er gesagt, sah ihn mit einer so ernsten Miene an, daß Tackleton genötigt war, sich etwas deutlicher zu erklären.

      »Ich habe Lust«, sagte er, indem er die Finger seiner linken Hand emporhielt und den Zeigefinger anfaßte, als wollte er sagen: »Das bin ich, Tackleton nämlich« ... »Ich habe Lust, mein Bester, mir ein Weibchen zu nehmen, und zwar ein junges Weibchen, und ein schönes Weibchen« – hier klopfte er auf seinen kleinen Finger, der gleichsam die Braut präsentierte, und zwar recht empfindlich, wie um sich als Herr zu zeigen. »Ich bin ganz der Mann danach, diesen Gedanken zur Ausführung zu bringen, und ich tu' es auch. Das ist nun einmal meine Laune. Aber – seht mal dort!«

      Er deutete auf Dot, die nachdenklich am Feuer saß, ihr Kinn mit dem Grübchen auf die Hand stützte und in die helle Glut schaute. Der Fuhrmann sah sie an, und dann ihn, und dann sie, und dann wieder ihn.

      »Ohne Zweifel ehrt sie Euch und gehorcht Euch, wie es ihre Pflicht und Schuldigkeit ist«, sagte Tackleton: »und da ich kein Mann von schönen Phantastereien bin, so genügt mir das auch vollständig. Meint Ihr etwa, daß noch sonst etwas dabei ist?«

      »Ich meine«, bemerkte der Fuhrmann, »daß ich jeden zum Fenster hinauswerfen würde, der das Gegenteil behaupten wollte.« »Richtig, richtig!« beeilte sich der andere mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit zuzustimmen, »Gewiß, versteht sich! Ohne Zweifel würdet Ihr das. Ganz selbstredend. Bin vollkommen davon überzeugt! Gute Nacht. Angenehme Träume!«

      Der gute Fuhrmann war verlegen und empfand, er mochte wollen oder nicht, ein gewisses Unbehagen und etwas wie Unsicherheit. Er konnte nicht anders, als es in seiner Weise zu zeigen.

      »Gute Nacht, lieber Freund!« sagte Tackleton in mitleidigem Ton. »Ich gehe. Wir sind natürlich vollständig der gleichen Meinung, wie ich sehe. Ihr wollt uns also morgen abend nicht die Freude machen? Gut, übermorgen macht Ihr einen Besuch, wie ich weiß. Ich werde Euch dort treffen und meine Braut mitbringen. Sie wird sich freuen. Einverstanden? Danke! ... Was ist das!«

      Es war ein lauter Schrei, den des Fuhrmanns Frau ausstieß: ein lauter schriller, plötzlicher Schrei, der durch das Zimmer klang wie eine Glasglocke. Sie war aufgestanden und stand da wie versteinert von Schreck und Überraschung. Der Fremde war näher an das Feuer getreten, um sich zu wärmen, und stand einen Schritt von ihrem Stuhl entfernt, aber ganz still und schweigsam.

      »Dot!« schrie der Fuhrmann. »Marie! Mein Liebling! Was ist Dir?« Im Augenblick waren alle um sie. Kaleb, der auf der Kuchenschachtel eingeschlummert war, ergriff im ersten unvollständigen Zusammensuchen seiner zeitweilig aufgehobenen Geistesgegenwart Fräulein Tolpatsch bei ihrem Haar, bat aber sofort um Entschuldigung.

      »Marie!« rief der Fuhrmann, indem er sie in seine Arme nahm. »Bist du krank? Was fehlt dir? So rede doch, mein Herz!«

      Ihre ganze Antwort bestand darin, daß sie die Hände zusammenschlug und in ein unaufhaltsames Lachen ausbrach. Dann glitt sie aus seinen Armen, bedeckte ihr Gesicht mit der Schürze und fing an, bitterlich zu weinen. Hierauf begann sie wieder zu lachen, dann wieder zu weinen, und sagte, es sei kalt und ließ sich an das Feuer führen, wo sie sich wieder, wie vorhin, niedersetzte.

      Der alte Mann stand noch da, ganz gelassen wie zuvor.

      »Mir ist besser, John« sagte sie. »Mir ist jetzt wieder ganz wohl ... mir ...«

      Aber John stand an der anderen Seite der Stube. Warum sah sie nur den alten Herrn an, als ob sie mit ihm redete! War sie nicht bei Verstand?

      »Nichts als Einbildung, lieber John ... eine Art Erschütterung ... etwas wie eine plötzliche Erscheinung ... ich weiß nicht recht, was ... es ist ganz vorüber, ganz vorüber.«

      »Es freut mich, daß es ganz vorüber ist«, murmelte Tackleton, indem er das sorgenvolle Auge im ganzen Zimmer umherwandeln ließ. »Ich möchte wissen, wie es verschwunden ist und was es war. Hm! Kaleb, kommt mal her! Wer ist denn der Graukopf da?«

      »Ich weiß nicht, Herr«, erwiderte Kaleb flüsternd.

      »Ihn früher nie gesehen; in meinem ganzen Leben nicht. Herrliche Figur für einen Nußknacker; ganz neues Modell. Mit einem Hängemaul, das bis auf den Bauch hinunter aufginge, würde er ganz prachtvoll sein.«

      »Nicht häßlich genug«, sagte Tackleton.

      »Oder auch für eine Streichholzbüchse«, bemerkte Kaleb, der in tiefe Betrachtung versank. »Welch ein Modell! Den Kopf abgeschraubt, um die Streichhölzer hineinzutun; umgewendet, und das Streichholz an den Absätzen angestrichen; welch eine Streichholzbüchse für den Kaminsims in einem Salon, wie er gerade so dasteht!«

      »Lange, lange nicht häßlich genug!« versetzte Tackleton. »Aus dem ist gar nichts zu machen. Kommt! nehmt die Kuchenschachtel mit! – Alles in Ordnung jetzt, hoff ich?«

      »O, es ist ganz vorüber! Ganz vorüber!« sagte die kleine Frau und winkte ihn hastig fort. »Gute Nacht!«

      »Gute Nacht!« sagte Tackleton. »Gute Nacht, John Peerybingle! Paßt gut auf die Schachtel, Kaleb! Laßt Ihr sie fallen, so schlag' ich Euch tot! Rabenschwarze Nacht, und das Wetter schlechter als je. Gute Nacht!«

      Und nachdem er noch einen scharfen Blick im Zimmer umhergeworfen, ging er zur Tür hinaus, gefolgt von Kaleb, der den Hochzeitskuchen auf dem Kopfe trug.

      Der Fuhrmann war so entsetzt über das, was seiner kleinen Frau zugestoßen war, und so damit beschäftigt, sie zu beruhigen und ihr zu helfen, daß er die Anwesenheit des Fremden fast vollständig vergessen hatte, und ihn erst jetzt, als die übrigen fort waren, wieder dastehen sah.

      »Er gehört nicht zu ihnen, siehst du«, sagte John. »Ich muß ihm einen Wink geben, daß er geht.«

      »Ich bitte um Verzeihung, Freund«, sagte der Greis, indem er auf ihn zutrat, »um so mehr, als ich fürchte, daß Eure Frau etwas unwohl geworden ist, aber da die Person nicht kommt, die mein Leiden« – hier zeigte er auf seine Ohren und schüttelte den Kopf – »mir fast unentbehrlich macht, so fürchte ich, daß ein Mißverständnis vorliegt. Das schlechte Wetter, das mir heute abend den Schutz Eures bequemen Wagens – möchte ich nie einen schlechteren finden – so angenehm machte, ist abscheulicher als je. Würdet Ihr wohl so freundlich sein, mir gegen Entgelt ein Bett zu vermieten?«

      »Ja, ja!« rief Dot. »Ja gewiß!«

      »O!« sagte der Fuhrmann, überrascht von dieser sofortigen Einwilligung. »Nun, ich habe nichts dagegen; indes weiß ich nicht ganz bestimmt, ob –«

      »Pst!« unterbrach sie ihn. »Lieber John!«

      »I was, er ist ja stocktaub!« wendete John ein.

      »Das weiß ich, aber – ja Herr, gewiß. Ja gewiß! Ich will ihm sofort ein Bett zurecht machen, John.«

      Als sie davoneilte, um sich sofort an die Arbeit zu machen, hatten ihre Aufregung und die Sonderbarkeit ihres


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