Das Geheimnis von Cloomber-Hall. Arthur Conan Doyle
Читать онлайн книгу.Witz, und ich ritt weiter.
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Die Ankunft der neuen Familie in Cloomber Hall rief keine bemerkenswerte Änderung in der Einförmigkeit unseres Stillebens hervor. Anstatt an den einfachen Vergnügungen, die das Landleben darbot, teilzunehmen oder, wie wir gehofft, sich für unsere Bemühungen zu interessieren, das Los der armen Fischer und Kätner im Dorfe zu verbessern, schienen sie im Gegenteil alle Annäherung ängstlich zu meiden und sich kaum aus dem Tore des Gutes hinauszuwagen.
Es wurde auch bald klar, daß des Agenten Behauptung hinsichtlich der Umzäunung des Grundstücks nicht grundlos gewesen war, denn eine ganze Schar von Arbeitern begann auf einmal rastlos daranzugehen, dieses mit einem hohen Staket zu umgeben.
Als es fertig und mit scharfen Eisenspitzen versehen war, war Cloomber-Park, außer für einen ungewöhnlich gewandten und waghalsigen Kletterer, unnahbar. Es war, als ob bei dem alten Soldaten das Kriegführen zu einer fixen Idee geworden wäre, so daß er es auch in Friedenszeiten nicht lassen konnte.
Er ging sogar noch weiter. Das Schloß wurde verproviantiert, als ob ihm eine langwierige Belagerung bevorstände, und Begbic, der größte Viktualienhändler in Wigtown, erzählte mir selbst, daß der General hunderte von Dutzenden aller möglichen Konserven bei ihm bestellt hätte.
Man kann sich leicht denken, daß diese Vorfälle nicht ohne Eindruck auf das abergläubische Landvolk blieben. Im ganzen Kreise bildeten die neuen Bewohner von Cloomber-Hall das Tagesgespräch. Aber der einzige Schluß, zu dem die Leute kommen konnten, war die unter diesen Umständen sehr naheliegende Annahme, daß entweder der alte General und seine ganze Sippschaft verrückt seien, oder daß er irgendein entsetzliches Verbrechen begangen und sich hierher vor seinen Verfolgern geflüchtet habe.
Es ist wahr, daß der General sich bei unserem ersten Zusammentreffen wie ein Geistesgestörter benommen hatte, aber niemand hätte vernünftiger sein können, als er sich bei unserer zweiten Begegnung zeigte. Außerdem führten seine Frau und Kinder ganz dieselbe abgeschlossene Lebensweise; der Grund konnte deshalb nicht in seiner gestörten Gesundheit liegen.
Die Theorie, daß er ein Justizflüchtling sei, war noch unhaltbarer. Wigtownshire war zwar einsam genug, aber doch nicht so weltabgelegen, daß ein weitbekannter Offizier hier spurlos zu verschwinden hoffen konnte.
Ein Mann, der die Öffentlichkeit scheute, würde sich auch nicht in der Weise, wie der General es getan zum Tagesgespräch gemacht haben. Im großen und ganzen war ich geneigt, anzunehmen, daß des Rätsels Lösung in einer krankhaften Sucht nach Einsamkeit zu suchen sei. Wir erfuhren bald an uns selbst, bis zu welchem Grade die Familie von dieser Sucht nach vollkommener Einsamkeit besessen war.
Mein Vater war eines Morgens mit dem Schatten eines großen Entschlusses auf seiner Stirn zum Vorschein gekommen.
»Du mußt heute dein rosa Kleid anziehen, Esther,« sagte er, »und du, John, mußt dich auch etwas herausmachen; wir werden heute nachmittag zusammen nach Cloomber fahren, um dem General und seiner Gemahlin einen Besuch abzustatten.«
»Hurra, wir gehen nach Cloomber!« rief Esther, fröhlich in die Hände klatschend.
»Ich bin hier,« sagte mein Vater würdevoll, »nicht nur der Verwalter des Gutsherrn, sondern auch sein Verwandter. Und als solcher bin ich überzeugt, daß wir seinem Willen gemäß handeln, wenn wir diesem Fremden alle Freundlichkeiten, die in unseren Kräften stehen, erweisen. Gegenwärtig müssen sie sich einsam und freundlos vorkommen. Denn wie spricht der große Firdusi: ›Eines Mannes köstlicher Schmuck sind seine Freunde!‹«
Meine Schwester und ich wußten aus Erfahrung, daß, wenn unser Vater erst anfing, seine Entschlüsse mit Zitaten aus seinen persischen Dichtern zu begründen, nichts mehr daran zu ändern war.
Und so sahen wir denn auch richtig nachmittags den Phaethon vor der Tür, mit Vater in seinem zweitbesten Rock und einem Paar neuer wildlederner Handschuhe auf dem Kutscherbock.
»Einsteigen, meine Lieben!« rief er, lustig mit der Peitsche knallend. »Wir wollen doch dem General einmal zeigen, daß er keinen Grund hat, sich seiner Nachbarn zu schämen!«
Aber ach, Hochmut kommt doch immer vor dem Fall!
Es stand nicht in den Sternen geschrieben, daß unsere wohlgepflegten Ponys und unser blitzblankes Geschirr den Bewohnern von Cloomber-Hall heute imponieren sollten.
Wir hatten das Tor erreicht, und ich war eben im Begriff vom Wagen herabzuspringen, um es zu öffnen, als unsere Augen auf ein großes, hölzernes Schild fielen, welches an einen Baum so angenagelt war, daß es jedem Vorbeigehenden in die Augen fallen mußte. Auf dem Brett stand in großen, schwarzen Buchstaben folgende gastfreundliche Inschrift: »General und Frau Heatherstone wünschen den Kreis ihrer Bekanntschaften nicht zu erweitern.«
Stumm vor Überraschung starrten wir eine Zeitlang die unerwartete Absage an; dann brachen Esther und ich, als uns die ganze Komik der Situation aufdämmerte, in ein unwiderstehliches Gelächter aus.
Nicht so mein Vater, der die beiden Ponys herumriß und mit zusammengekniffenen Lippen, eine Donnerwolke drohender Entrüstung auf seiner Stirn, nach Hause zurückjagte.
Ich habe den guten Mann nie so außer sich gesehen, bin aber überzeugt, daß sein Ärger nicht durch verletzte Eitelkeit verursacht war, sondern durch den Gedanken, daß in ihm, als dem Repräsentanten des Gutsherrn von Branksome, auch der letztere beleidigt sei.
Viertes Kapitel.
Wenn ich mich überhaupt durch die uns zuteil gewordene wenig formelle Absage beleidigt gefühlt hatte, so hielt diese Stimmung bei mir nicht lange vor. Schon am nächsten Tage hatte ich Gelegenheit, wieder am Schlosse vorbeizugehen, und blieb stehen, um mir das ominöse Schild noch einmal anzusehen.
Als ich noch so dastand und mir über die mutmaßlichen Beweggründe unseres Nachbarn den Kopf zerbrach, bemerkte ich plötzlich, daß zwei hübsche, jugendfrische Mädchenaugen durch das Staket lugten und eine kleine weiße Hand mir eifrig zuwinkte, doch näher zu treten. Als ich mich näherte, sah ich, daß es dieselbe junge Dame war, welche ich zum erstenmal vor einigen Tagen in dem Wagen des Generals gesehen hatte.
»Herr West,« flüsterte sie, sich ängstlich nach allen Seiten hin umblickend, »ich muß bei Ihnen Abbitte für die Ihnen und Ihrer Schwester zugefügte Beleidigung leisten. Mein Bruder war in der Allee und sah alles, fühlte sich aber außerstande, etwas zu tun. Ich kann Ihnen versichern, Herr West, daß, wenn Ihnen das greuliche Brett da ein Dorn im Auge ist, das bei meinem Bruder und mir in noch weit größerem Maße der Fall ist.«
»Aber, Fräulein Heatherstone,« entgegnete ich lachend, um sie zu beruhigen, »England ist ein freies Land, und wenn es einem Manne einfällt, sich von der Außenwelt abzuschließen, so kann ihn niemand daran hindern!«
»Es war einfach brutal!« rief sie jetzt aus, mit ihrem kleinen Fuße aufstampfend. »Und der Gedanke, daß auch Ihre Schwester in so unerhörter Weise mit beleidigt wurde! Ich möchte in den Erdboden sinken vor lauter Scham, wenn ich nur daran denke!«
»Aber ich bitte Sie, die Sache hat ja doch gar nichts weiter zu bedeuten!« sagte ich eindringlich. »Ihr Vater hat sicher seine guten Gründe für diesen Schritt gehabt!«
»Ja, die hat er, das weiß Gott im Himmel!« rief sie niedergeschlagen. »Und doch wäre es mannhafter, denke ich, der Gefahr entgegenzutreten, als davor zu fliehen. Aber das weiß er jedenfalls am besten, und wir können nicht darüber urteilen. – »Wer kommt da?« rief sie ganz plötzlich aus, angstvoll die dunkle Allee hinabblickend. »O, es ist nur mein Bruder Mordaunt,« fügte sie hinzu, als der junge Mann herankam. »Ich habe eben bei Herrn West Abbitte getan, in deinem sowohl wie in meinem Namen, für das, was sich hier gestern zutrug!«
»Es freut mich außerordentlich, daß ich es auch noch persönlich tun kann,« sagte er höflich. »Ich wünsche nur, Ihre Schwester und Ihren Vater ebenfalls sehen zu können, um ihnen zu versichern, wie leid mir die Geschichte tut. Bitte, gehen Sie noch nicht, Herr West, ich habe noch ein Wort mit Ihnen zu reden.«
Fräulein