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er­hob sich mit­ten aus der Men­ge, die in ei­nem Mo­ment auf den Bei­nen war. In­stinkt­mä­ßig be­griff je­der die ihm dro­hen­de Ge­fahr, und alle dräng­ten sich in Wel­len­be­we­gun­gen der Brücke zu. Die Rus­sen eil­ten mit der Schnel­lig­keit ei­nes Feu­er­bran­des hin­ab. Män­ner, Wei­ber, Kin­der, Pfer­de, al­les mar­schier­te auf die Brücke los. Glück­li­cher­wei­se be­fan­den sich der Ma­jor und die Grä­fin noch ziem­lich ent­fernt vom Ufer. Der Ge­ne­ral Eblé hat­te Feu­er an die Zel­te am an­dern Ufer ge­legt. Trotz der War­nun­gen, die vor dem Be­tre­ten der Ret­tungs­plan­ke ge­ge­ben wur­den, woll­te nie­mand zu­rück­wei­chen. Nicht nur senk­te sich die mit Men­schen über­la­de­ne Brücke, son­dern der hef­ti­ge Strom von Men­schen­zu­fluß stürz­te wie eine ver­häng­nis­vol­le La­wi­ne so hin­ab, daß eine Men­schen­men­ge wie ein Schnee­sturz ins Was­ser mit­ge­ris­sen wur­de. Man hör­te kei­nen Schrei, son­dern nur das dump­fe Geräusch ei­nes ins Was­ser ge­fal­le­nen Steins; dann war die Be­re­si­na mit Leich­na­men be­deckt. Der Rück­stoß der­je­ni­gen, die in die Ebe­ne zu­rück­wi­chen, um die­sem Tode zu ent­ge­hen, war so furcht­bar, daß eine große Men­ge von Leu­ten durch Er­sti­ckung star­ben. Der Graf und die Grä­fin ver­dank­ten ihr Le­ben nur ih­rem Wa­gen. Nach­dem die Pfer­de eine Mas­se Ster­ben­der zer­schmet­tert und ver­nich­tet hat­ten, gin­gen sie selbst zu­grun­de un­ter den Fü­ßen ei­ner Art mensch­li­cher Was­ser­ho­se, die auf das Ufer stürz­te. Der Ma­jor und der Gre­na­dier ret­te­ten sich durch ihre Kraft. Sie tö­te­ten, um nicht selbst ge­tö­tet zu wer­den. Die­ser Or­kan von mensch­li­chen Ge­sich­tern, die­ses Hin- und Her­flie­ßen von durch die glei­che Be­we­gung ge­tra­ge­nen mensch­li­chen Kör­pern, ließ wäh­rend ei­ni­ger Au­gen­bli­cke das Ufer der Be­re­si­na ver­las­sen er­schei­nen. Die Mas­se hat­te sich zu­rück in die Ebe­ne ge­wor­fen. Wenn et­li­che Men­schen sich von oben den stei­len Ab­hang hin­a­blie­ßen, so ge­sch­ah das we­ni­ger in der Hoff­nung, das an­de­re Ufer zu er­rei­chen, was für sie Frank­reich be­deu­te­te, als um den Wüs­ten Si­bi­ri­ens zu ent­rin­nen. Die Verzweif­lung wur­de eine Ret­tung für et­li­che mu­ti­ge Leu­te. Ein Of­fi­zier sprang von Schol­le zu Schol­le bis an das an­de­re Ufer; ein Sol­dat klet­ter­te mit wun­der­ba­rer Ge­schick­lich­keit über einen Hau­fen von Leich­na­men und Eis­schol­len. Die­se rie­sen­haf­te Volks­mas­se be­griff schließ­lich, daß die Rus­sen nicht zwan­zig­tau­send waf­fen­lo­se, er­fro­re­ne, stumpf­ge­wor­de­ne Men­schen, die sich nicht ver­tei­di­gen wür­den, tö­ten woll­ten, und je­der er­war­te­te sein Los mit furcht­ba­rer Re­si­gna­ti­on. So blie­ben also der Ma­jor, sein Gre­na­dier, der alte Sol­dat und sei­ne Frau al­lein ei­ni­ge Schrit­te von dem Orte, wo sich die Brücke be­fand. Alle vier stan­den hier auf­recht, mit tro­ckenen Au­gen, still­schwei­gend und von ei­ner Men­ge To­ter um­ge­ben. Et­li­che kräf­ti­ge Sol­da­ten, et­li­che Of­fi­zie­re, de­nen die Ver­hält­nis­se alle ihre Ener­gie wie­der­ga­ben, fan­den sich ne­ben ih­nen ein. Die­se ziem­lich zahl­rei­che Grup­pe um­faß­te un­ge­fähr fünf­zig Men­schen. Der Ma­jor be­merk­te in ei­ner Ent­fer­nung von zwei­hun­dert Schritt die Rui­nen der Brücke, die für die Wa­gen her­ge­stellt, aber vor­her zu­sam­men­ge­bro­chen war.

      »Zim­mern wir uns ein Floß zu­sam­men!« rief er.

      Kaum hat­te er die­ses Wort fal­len las­sen, als die gan­ze Grup­pe auf die Trüm­mer zu­lief. Eine Men­ge Men­schen schick­te sich an, Ei­sen­stä­be auf­zu­sam­meln, Holz­stücke, Sei­le auf­zu­su­chen, kurz al­les für den Bau ei­nes Flos­ses not­wen­di­ge Ma­te­ri­al. Eine Trup­pe von zwan­zig Sol­da­ten und Of­fi­zie­ren bil­de­ten eine von dem Ma­jor be­feh­lig­te Gar­de, um die Ar­bei­ter ge­gen die ver­zwei­fel­ten An­grif­fe zu schüt­zen, die die Mas­se voll­füh­ren könn­te, wenn sie ih­ren Plan er­riet. Das Ge­fühl der Frei­heit, das die Ge­fan­ge­nen be­seelt und ih­nen Wun­der ein­flö­ßt, kann mit dem nicht ver­gli­chen wer­den, das in die­sem Au­gen­blick die un­glück­li­chen Fran­zo­sen han­deln ließ.

      »Da sind die Rus­sen! Da sind die Rus­sen!« schrie­en den Ar­bei­tern ihre Ver­tei­di­ger zu.

      Das Holz kreisch­te, die Boh­len wuch­sen in die Brei­te, Höhe und Tie­fe. Ge­ne­ra­le, Sol­da­ten, Obers­ten, al­les bog sich un­ter dem Ge­wicht der Rä­der, der Ei­sen, der Bret­ter: es war ein wahr­haf­tes Bild des Bau­es der Ar­che Noah. Die jun­ge Grä­fin saß ne­ben ih­rem Man­ne und sah mit Be­dau­ern zu, weil sie an der Ar­beit nichts mit­tun konn­te; trotz­dem half sie, Kno­ten zu knüp­fen, um die Sei­le fes­ter zu ma­chen. End­lich war das Floß fer­tig. Vier­zig Men­schen stürz­ten sich ins Was­ser des Flus­ses, wäh­rend ein Dut­zend Sol­da­ten die Sei­le hiel­ten, die dazu die­nen soll­ten, an dem Ab­hang fest­zu­hal­ten. Kaum aber sa­hen die Er­bau­er ihre Ein­schif­fung auf der Be­re­si­na sich voll­zie­hen, so stürz­ten sie sich von dem Ufer oben hin­ab mit äu­ßers­ter Selbst­sucht. Der Ma­jor, der die Wut des ers­ten An­sturms be­fürch­te­te, hielt Ste­pha­nie und den Ge­ne­ral an der Hand fest; aber er er­beb­te, als er die dunkle Mas­se sich ein­schif­fen sah und die dar­auf zu­sam­men­ge­preß­ten Men­schen er­blick­te, wie Zuschau­er im Par­terre ei­nes Thea­ters.

      ›Ihr Wil­den!‹ rief er, ›ich habe euch doch den Ge­dan­ken ein­ge­ge­ben, ein Floß zu er­bau­en; ich bin euer Ret­ter, und ihr ver­wei­gert mir mei­nen Platz!‹

      Ein ver­wor­re­ner Lärm war die Ant­wort. Die am Ran­de des Flos­ses un­ter­ge­brach­ten und mit Stä­ben zum Ab­sto­ßen vom Ab­hang ver­se­he­nen Män­ner stie­ßen mit Ge­walt den Holz­zug vor­wärts, um ihn an das an­de­re Ufer zu drän­gen und ihn die Eis­schol­len und Leich­na­me durch­schnei­den zu las­sen.

      ›Zum Don­ner­wet­ter noch­mal! Ich ren­ne euch ins Was­ser, wenn ihr den Ma­jor und sei­ne bei­den Ge­fähr­ten nicht rich­tig auf­nehmt!‹ schrie der Gre­na­dier, er­hob sei­nen Sä­bel, ver­hin­der­te ih­ren Auf­bruch und ließ sie zu­sam­men­rücken trotz der schreck­li­chen Schreie.

      ›Ich wer­de fal­len! Ich fal­le!‹ schrie­en sei­ne Ge­fähr­ten. ›Im­mer wei­ter vor­wärts.‹

      Der Ma­jor be­trach­te­te tro­ckenen Au­ges sei­ne Ge­lieb­te, die ihre Au­gen zum Him­mel mit er­ha­be­ner Er­ge­bung auf­hob.

      »Mit dir zu­sam­men ster­ben!« sag­te sie.

      Es lag et­was Ko­mi­sches in der Hal­tung der Leu­te auf dem Floß. Ob­gleich sie ein schau­der­haf­tes Ge­brüll aus­stie­ßen, wag­te doch kei­ner dem Gre­na­dier Wi­der­stand zu leis­ten; denn sie wa­ren so zu­sam­men­ge­drängt, daß eine ein­zi­ge Per­son nur zu sto­ßen brauch­te, um al­les um­zu­stür­zen. In die­ser Ge­fahr ver­such­te ein Haupt­mann sich von ei­nem Sol­da­ten zu be­frei­en, der die feind­li­che Be­we­gung des Of­fi­ziers wahr­nahm, ihn an­pack­te und ihn ins Was­ser stürz­te mit den Wor­ten: »Ach, du Ente, du willst trin­ken! Na dann los!«

      »Hier sind zwei Plät­ze frei!« rief er dann. »Vor­wärts, Ma­jor, wer­fen Sie uns Ihre klei­ne Frau her­über und kom­men Sie selbst mit! Las­sen Sie doch den al­ten Mops zu­rück, der wird ja mor­gen doch ster­ben!«

      »Be­eilt euch!« schrie eine Stim­me, die sich aus hun­dert zu­sam­men­setz­te.

      »Vor­wärts, Ma­jor … Die an­dern schimp­fen, und sie ha­ben recht.«

      Der Graf von Van­dières ent­le­dig­te sich sei­ner Um­klei­dung und stand auf­recht in sei­ner Ge­ne­rals­uni­form.


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