G.F. Barner 1 – Western. G.F. Barner
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Moss wollte gerade sagen, daß sie noch mindestens eine Stunde warten mußten, bis sie im Hotel etwas für den Bauch bekämen, als es passierte.
In der Kirche, von der sie nur den Turm sehen konnten, trat Ireen Douglas die Blasebalgwippen des Harmoniums und legte dann die Finger auf die Tasten zum Einsatzakkord.
Gleichzeitig holte David Jericho, der harmloseste, sanftmütigste Mensch des neunzehnten Jahrhunderts, tief Luft.
Ireen Douglas sah ihn nun an und nickte kaum merklich. Und dann blies David Jericho in seine Posaune. Die ersten Töne des schönen, frommen Liedes »In your hands, my Lord«, hallten durch die kleine Kirche und hinaus über Jerome in Arizona. Als die Töne die drei Reiter erreichten, passierte es: Moss Shaggers fuhr zusammen, als hätte jemand durch den Bauch seines Gaules unter seinen Sattel getreten. Dann wandte Moss jäh den Kopf und sah seinen Giftpilzvetter Eddie an. Und plötzlich packte Moss eine abgrundtiefe und nagende Angst.
Eddie Shaggers, der Giftpilz, riß jäh die Lider auf. Danach erstarrte sein Gesicht für zwei Sekunden, bis Leben in es kam. Zuerst verzerrte sich Eddies Mund, dann quollen Eddie langsam die Augen aus dem Kopf. Und endlich stieß der Giftpilz einen Laut aus, der jenem Fauchen ähnelte, das ein Kater von sich gab, wenn ihm jemand auf den Schwanz getreten hatte. Es war eine Art Fauchen aus blinder Wut und wildem Haß, wie es Neil Ferguson, der stets geglaubt hatte Eddie zu kennen, nie zuvor vernommen hatte. Neil wandte erschrocken den Kopf, sah Eddies völlig verzerrtes Gesicht, die zuckenden Lippen und hervorquellenden Augen und glaubte, Eddie verlöre den Verstand. Doch dann kamen einige Worte über jene zuckenden Lippen: »Ei… eine Posaune! Alle Teufel der Hölle, da spielt einer auf einer verfluchten Tröte! Ein Posaunentröter, ein dreimal verdammter Posaunentröter! Aufhören, aufhören, oder ich bringe den Kerl um!«
Eddie Shaggers zitterte jetzt am ganzen Körper. Neil Ferguson hatte Eddie nur einmal zittern sehen: vorgestern in Perkinsville, nachdem ihn der Vormann der riesigen Ranch des alten Bill Regan verdroschen hatte. Da hatte Eddie vor rasender Wut zum Colt greifen und den Vormann hinterrücks über den Haufen knallen wollen. Und wenn Moss nicht gewesen wäre, der den Irren festgehalten hätte, wäre es soweit gekommen.
Eddie Shaggers verstummte nun, schloß die Augen und hielt sich plötzlich die Ohren zu.
Moss, sein älterer Vetter, sah ihn bestürzt, aber wachsam an. Er wußte genau, woran Eddie jetzt dachte: an den Tag, an dem er seinen Vater »erschlagen hatte…«
*
Er wollte die Finger ja noch blitzschnell wegziehen, der arme Eddie Shaggers, aber der Stock des Alten war noch schneller und traf sie, knallte über die Fingerknöchel Eddies. Der Taktstock war schon da, der Schmerz schoß durch Eddies Knabenhand, die er wegziehen wollte und nicht konnte, weil sie sich verkrampft hatte. Ein Angstkrampf ließ die Finger die Ventile niederdrücken.
Angst, das war es immer gewesen, denn er würde es nie lernen, obgleich er es nach dem Willen des Alten sollte. Die Angst war immer in Eddie, sobald er die Übungsstunde vor sich hatte. Sie fraß sich in ihn, ehe die Stunde begann, sie trieb ihm den Schweiß aus allen Poren, sobald er die Posaune anfassen mußte.
Die Angst vor der Posaune, die vor dem unerbittlichen Alten, der für seinen einzigen Sohn die Stelle des Chorleiters und Küsters sichern wollte, wenn er einmal zu alt für diesen Beruf wurde.
»Das nennst du das hohe C, du Unglücksmensch?« schrie der Alte mit überkippender Stimme los. »Ein
gottsjämmerliches Gejaule nenne ich das! Dir werde ich helfen, dich will ich lehren, endlich den richtigen Ton zu treffen. Ich schlage dich windelweich, du Herumtreiber, du Tunichtgut, du Langfinger! Da hast du…«
Der Taktstock traf erneut, aber diesmal spritzte etwas nach dem Hieb rot über die Posaune: Blut von Eddies aufgeplatzten Fingern.
Eddie starrte auf seine Finger, sah das Blut auf der Posaune, diesem verhaßten Ding, das er immer nur verächtlich eine verfluchte Tröte nannte. Und dann passierte es, kam es über den knapp Fünfzehnjährigen, der jäh ausholte, die Posaune schwang.
Da war das Gesicht des Alten, das sich vor Schreck verzog, die Augen, in denen ungläubiges Staunen sich mit Schrecken paarte.
»Da hast du die verfluchte Tröte, da hast du sie!«
Er schrie und schlug zu, schlug und schlug, daß das Messingblech zu kreischen schien – oder kreischte er, Eddie?
Er wußte es nicht, er sah den Alten fallen, sah das Blut an dessen Kopf und die Reglosigkeit, mit der der Alte am Boden liegenblieb.
Plötzlich warf er entsetzt die Posaune fort, rannte zur Tür, stürzte an seinen fünf älteren Schwestern vorbei, die das Geschrei angelockt hatte.
Fort, nur fort, denn der Alte war tot, der ehrbare Küster und Chorleiter Edward Shaggers lag dort tot in seinem Blut, erschlagen von dem eigenen Fleisch und Blut. Fort, nur fort!
Vielleicht wäre es nie soweit gekommen, wenn die Mutter noch gelebt hätte. Aber fünf Mädchen und ein kleiner Bruder? Wie grausam konnten fünf Frauenzimmer zu einem kleinen Bruder sein, den der Alte verwöhnt und ihnen vorgezogen hatte, weil er nun mal ein Sohn war?
Fünf Mädchen, kräftige, gesunde Frauenzimmer. Und er, der Kleine, der immer schwach auf der Brust gewesen war. Ein Diener war er geworden, der Knecht dieser Weibsteufel, die ihn geschurigelt hatten, für die er Holz holen, manchmal abwaschen und Wasser schleppen mußte, er, der Kleine.
Tot, hatte er gedacht, du hast den Alten erschlagen, du mußt fort, sonst sperren sie dich ein und hängen dich als Vatermörder auf. Gehört hatte er es noch, als die fünf Weibsteufel hinter ihm gekreischt hatten wie die Furien: »Hilfe – Hilfe, unser Vater ist tot, der Teufelsjunge hat ihn erschlagen – zu Hilfe!«
Fortgerannt, sich am Fluß versteckt, bis es dunkel geworden war. Und dann gelaufen, meilenweit bis zu jener Ranch, auf der Moss, sein von ihm vergötterter Vetter, als Cowboy gearbeitet hatte. Moss mußte ihm helfen, mußte ihm raten. Moss, das war seine einzige und letzte Hoffnung gewesen. Moss hatte sich die Geschichte angehört und dann seinen Gaul genommen, war losgeritten, um sich den »Toten« anzusehen. Der hatte im Bett gelegen, ein paar Beulen am Kopf und eine aufgeplatzte Hautstelle.
»Das hat sich der Teufelsbraten und Tunichtgut so gedacht, he? Ich und tot, was? Sehe ich vielleicht tot aus, Moss?« hatte der Alte giftig geknurrt. »Wer seine Hand gegen den eigenen Vater erhebt, der sei verflucht bis an den Jüngsten Tag, dem verdorre diese Hand auf ewig! Das kannst du diesem Ausbund an Schlechtigkeit bestellen. Der soll sich hier nie mehr blicken lassen, der ist für mich gestorben, verstanden? In der Gosse soll er verrecken, der Teufelsbraten, bestelle ihm das. Er hat keinen Vater und keine Geschwister mehr, hörst du?«
Habe ich nicht mehr, dachte Eddie Shaggers und hörte die verfluchten Töne immer noch, obgleich er sich die Ohren zuhielt, nein, ich bin nie mehr in Kansas gewesen. Der Alte starb vor fünf Jahren, und sie legten ihn in seinem guten schwarzen Anzug in den Sarg. Meine lieben Geschwister, für die ich wirklich gestorben bin, seit der Sache mit den Burschen aus Texas, die uns in Abilene passierte. Was fingen die auch Krach an, die Narren? Es waren sechs – und Moss und ich allein. Zwei gegen sechs, da haben wir gezogen und geschossen, nun gut, zuerst geschossen. Deshalb suchen sie uns in Kansas…, verfluchtes Getröte!
Eddie sperrte die Augen auf, lugte um die Ecke, sah die Kirche jetzt, als er sich weit genug vorbeugte.
»Mach keinen Blödsinn!« hörte er Moss finster sagen. »Eddie, der hört auch wieder auf zu spielen.«
»Ich kann es nicht hören!« giftete Eddie. »Verfluchte Pest, verdammte Tat – wenn der nicht gleich still ist, dann reite ich mitten in die elende Salbaderhalle und stoße ihm die verfluchte Tröte in den Hals, bis er erstickt, das schwöre ich dir, Moss!«
»Und ich schwöre dir, daß ich dir vorher eins über den Schädel ziehe, daß du vom Gaul kippst!« drohte ihm Moss finster. »Reiß dich zusammen, das ist nicht dein Alter, der da bläst, verstanden?«
»Ob der Alte oder nicht«, knirschte Eddie. »Da spielt einer die verfluchte Tröte.