Licht und Schatten. Johannes Kunz

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Licht und Schatten - Johannes Kunz


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zum Wörthersee zu verdanken. Sie hatten nämlich ein schönes Haus mit Badehütte an diesem Kärntner See. Und dorthin luden sie mich erstmals in den Schulferien ein, als ich neun Jahre alt war. In der Kindheit und Jugend verbrachte ich am Wörthersee meist bis zu acht Wochen im Sommer, und noch heute bin ich zumindest eine Woche im Juli/August dort.

      Vis-à-vis unserem Haus wohnte der Schauspieler Wolf Albach-Retty, dessen 1938 geborene und seiner 1945 geschiedenen Ehe mit Magda Schneider entstammende Tochter Romy Schneider später mit Karlheinz Böhm die berühmten »Sissi«-Filme drehte und ein Weltstar wurde.

      In meinem Geburtsjahr 1947 waren die Lebensumstände natürlich infolge der Kriegszerstörungen noch sehr schwierig. So gab es zum Beispiel nur eine Dreiviertelstunde Gas am Tag, erinnert sich meine Mutter: »Die gesamte Zeiteinteilung war darauf abgestimmt. Ich wusste oft nicht, sollte ich die Flasche für das Kind zubereiten, die Windeln waschen oder uns etwas zum Essen kochen.«

      Ihre Freundin Puppe Russell, aus der Weinmann-Familie in Aussig stammend, schickte regelmäßig aus Amerika Lebensmittel, Kleidung, Windeln, eben alles, was wir brauchten.

      Ich war im zarten Kindesalter von zwei Jahren, als sich meine Eltern scheiden ließen. Fortan wuchs ich also bei meiner alleinerziehenden Mutter auf, die – so gut es ging – versuchte, mir den Vater zu ersetzen. So besuchte sie etwa mit mir die Heimspiele des auf der Hohen Warte beheimateten Fußballclubs Vienna, damals ein Spitzenteam mit mehreren Nationalspielern wie Kurt Schmied, Hans Koller, Hans Buzek oder Helmut Senekowitsch. Der »First Vienna Football Club«, die Vienna, wie der Verein bald im Volksmund hieß, wurde 1894 im Gasthaus »Zur schönen Aussicht« gegründet. Die Paten waren Baron Nathan Rothschild und Generaldirektor Schuster vom Bankhaus Rothschild. In den 1980er-Jahren gehörte ich zeitweise dem Vereinsvorstand an und saß neben den treuesten Vienna-Fans Franz Antel und Willy Thurn und Taxis bei jedem Wetter auf der Ehrentribüne.

      An die Volksschule in der Pantzergasse 25 und die fesche Klassenlehrerin Marianne Klein, deren Dekolleté mich in vorpubertärer Anwandlung beeindruckte, habe ich nur gute Erinnerungen. Das kann ich vom Bundesgymnasium 19 in der Gymnasiumstraße 83 nicht behaupten. Diese Schule mit ihrem Direktor Franz Berger galt als besonders streng (sie kann übrigens auf viele Prominente unter ihren Absolventen verweisen) und ich war ein schlechter Schüler. Klassenbester war Wolfgang Schütz, der einmal Rektor der Medizinischen Fakultät der Universität Wien werden sollte. In der 3. Klasse fiel ich bei einer Wiederholungsprüfung in Latein durch und musste das Jahr wiederholen. Die 5. Klasse schaffte ich gerade noch mit einer bestandenen Wiederholungsprüfung in Mathematik. Und die 6. Klasse passierte ich mit einem blauen Auge, indem ich eine Wiederholungsprüfung in Griechisch meisterte. Doch im April 1965 trat ich mit zwei Nicht genügend in Griechisch und Mathematik aus der 7. Klasse des Bundesgymnasiums 19 aus. Zwei Jahre später machte ich schließlich die Externistenmatura eines Humanistischen Gymnasiums. In meine Gymnasialzeit fiel auch meine erste journalistische Ambition, die Herausgabe einer für damalige Verhältnisse frechen Schülerzeitung »Wir meinen« gemeinsam mit meinem Mitschüler und Freund Anton Friedl Neuhauser, der mehr als 20 Jahre später, als ich ORF-Informationsintendant war, die »Mini-ZiB« für Kinder im Fernsehen erfolgreich gestaltete.

      Meine Mutter hatte es jedenfalls während meiner Schulzeit und Pubertät nicht leicht mit mir, aber – und dafür bin ich ihr unendlich dankbar – sie erzog mich äußerst liberal. In den 1950er-Jahren war von antiautoritärer Erziehung noch keine Rede, aber sie teilte keine Befehle aus, sondern versuchte mich mit viel Liebe zu einem urteils- und entscheidungsfähigen Menschen zu formen. Später begegnete sie erneut ihrer Jugendliebe aus der Tanzschulzeit, Franz Liebzeit, den sie 1973 heiratete. Apropos Tanzschule: Auf ausdrücklichen Wunsch meiner Mutter besuchte ich in den 1960er-Jahren die Wiener Tanzschule Willy Fränzl im Konzerthaus. Fränzl war ehemaliger Solotänzer an der Staatsoper und einige Jahre für die Eröffnung des Opernballs verantwortlich. Seine Tanzschule stand in Konkurrenz zu jener von Willy Elmayer-Vestenbrugg. Besagter Willy Fränzl konnte keinen guten Tänzer aus mir machen. Der einzige Tanz, den ich einigermaßen beherrschte, war Boogie-Woogie.

      Meinen Vater sah ich nach der Scheidung meiner Eltern nur sporadisch, wenn er mich gelegentlich zu Sonntagsausflügen in der Reithlegasse abholte. Zwischen uns kam es zu einer Entfremdung und wir trafen einander schließlich gar nicht mehr. Er heiratete noch einmal, wohnte mit seiner zweiten Frau und Tochter Susi im 10. Bezirk und hat sich, wie mir bei seinem Begräbnis viele Jahre später erzählt wurde, als treuer ÖVP-Sympathisant dafür geniert, dass sein Sohn Pressesprecher des SPÖ-Bundeskanzlers Bruno Kreisky war. Susi war Kindergärtnerin, verlor ihren Mann auf tragische Weise bei einem Radunfall, bekam eine letztlich tödliche Krebserkrankung und war zehn Jahre lang in Behandlung bei meinem Freund Professor Heinz Salzer.

      Jedenfalls war Döbling in den 1950er- und 1960er-Jahren mein Lebensmittelpunkt. Dieser Bezirk galt als noble Wohngegend. Ich ging ins Krapfenwaldl-Bad schwimmen, machte mit meiner Mutter und Großmutter Ausflüge auf den Cobenzl und Kahlenberg, nahm gelegentlich die Jause im Casino Zögernitz, wo einst Johann Strauß konzertiert hatte, und ging in den Wertheimsteinpark spazieren. Später wurde ich ein treuer Heurigenbesucher in Grinzing und Sievering. Mit Mutter und Großmutter zog ich in die Traklgasse, in eine wesentlich kleinere Wohnung als jene in der Reithlegasse. Diese Gasse lag etwa auf halbem Weg zwischen Grinzing und Sievering. Das geliebte Domizil in der Reithlegasse 6 verließen wir, nachdem das Haus an den Besitzer des Tuchhauses Vindobona verkauft worden war, der uns und die Familie Salzer, die im Erdgeschoß logierte, mit ziemlich rüden Mitteln hinausekelte.

      In der Traklgasse wohnte auch Bundeskanzler Julius Raab, der immer dann, wenn ich gegen 8.00 Uhr auf dem Weg zur Schule war, seinen Dienstwagen bestieg, um ins Bundeskanzleramt zu fahren. Ich sammelte zu dieser Zeit Autogramme von Prominenten und so bat ich Raab eines Morgens, mir gleich fünf Autogramme zu geben. Der Kanzler fragte schmunzelnd, was ich denn mit fünf Autogrammen machen wollte. Ich antwortete ihm: »Ich tausche Ihre fünf Autogramme gegen eines von Toni Sailer.« Julius Raab ertrug es mit Fassung.

8 Erste Bekanntschaftmit dem Jazz

      Bis zur Unterzeichnung des Staatsvertrages 1955 (ich erinnere mich an den großen Jubel der Menschen in den Straßen Wiens) – Österreich war nach der Befreiung durch die Alliierten seit dem Kriegsende 1945 besetzt – war die Bundeshauptstadt in vier Zonen unterteilt, in denen Amerikaner, Sowjets, Franzosen und Briten residierten. Döbling war amerikanische Besatzungszone. Kinder wie ich kamen in den Genuss von Kaugummi, den uns die GIs aus ihren Jeeps zuwarfen. Überhaupt war der American Way of Life nach den Jahren der Naziunterdrückung sehr populär. Dazu gehörten Blue Jeans, Kaugummi, Coca-Cola, Seifenkistenrennen in der Peter-Jordan-Straße und amerikanische Musik.

      Ich kam nun erstmals mit dem Medium Radio in Kontakt, in dem ich viele Jahre später beruflich tätig sein sollte. Vor allem hörte ich einen amerikanischen Soldatensender (Blue Danube Network), der rund um die Uhr Jazz spielte. Jazz war für die Österreicher Unterhaltungsmusik, und dieser Sender brachte Schallplatten und Liveaufnahmen mit Louis Armstrong, Duke Ellington, Ella Fitzgerald, Benny Goodman und Glenn Miller – kurzum: mit den populärsten Stars der amerikanischen Jazz- und Tanzmusik. Die modernen Klänge des Bebop wurden offenbar ausgespart, um das Publikum nicht zu überfordern.

      Von älteren Freunden weiß ich, dass sie, die sie die Gräuel der Naziherrschaft und des Zweiten Weltkrieges schon bewusst miterlebt hatten, in dieser Musik, die sie gegen Kriegsende trotz strikten Verbots durch das Hitler-Regime illegal in ausländischen Sendern gehört hatten, den künstlerischen Vorboten der ersehnten Freiheit sahen. Und tatsächlich kann Jazz als Musik der Freiheit definiert werden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts im amerikanischen Süden aus der Verschmelzung europäischer und afrikanischer Musiktradition entstanden, bietet der Jazz den ausübenden Musikern durch das Mittel der Improvisation (das der abendländischen Musik seit der Zeit des Barock weitgehend verlorengegangen ist) die Möglichkeit des individuellen Artikulierens. Jazz kann also von niemandem, auch von keiner politischen Instanz, kontrolliert werden. Und so war es nur logisch, dass die Nazis diese Musik als »entartet« verboten hatten. Schon in meiner Kindheit begann ich mich für die politische Dimension des Jazz zu interessieren. In der Nazizeit setzten in Wien die sogenannten »Schlurfs« der Uniformierung in der


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