Halt. Michael Donkor
Читать онлайн книгу.mich also die ganze Zeit belogen? Von wegen, du und ich, wir halten zusammen, wir arbeiten zusammen, dacht ich jedenfalls. Und jetzt wird mir klar, du bist eine beschissene Lügnerin. Du dachtest, ich bin nichts wert, ist doch so? Hast mit Nana gelacht. Hast die Tage gezählt, bis sich sowas ergibt, ja?«
Marys heftiges Nicken erschreckte Belinda – als wäre dieses Elektrisierende, das manchmal durch ihren eigenen Körper strömte, auf die Kleine übergegangen.
»Was mit mir passiert, interessiert dich nicht die Bohne, eh? Du fliegst schön nach London, sie finden für dich einen Ehemann und einen Palast. Und ich? Mich schicken sie zurück.« Mary ging auf und ab. »Du verfluchte –«
»Fluchen? Wer hat dir das denn beigebracht?«
»FUCK. FUCK. Aus meinem Heimatdorf kommt mich niemand besuchen, nie, FUCK. Papa nicht. Grandma nicht. Und jetzt sagst du mir, dass Uncle und Aunty mich nach Hause zurückjagen werden, dass sie mich einfach vor die Tür setzen? Genau das wird nämlich passieren, Belinda. Weil sie nicht mich allein wollen. Wir sind zu zweit gekommen. Zu zweit.« Sie plumpste auf den Boden wie eine billige Puppe.
Belinda kauerte sich hin.
»Ich –«
»FUCK. Und außerdem SCHEISSE. Du. Dein Kleid ist scheußlich und ich kann deine blöden Schuhe nicht leiden!« Mary schlug um sich, schubste die schwankende Belinda auf den Boden und rannte durch die bunten Plastikstreifen am Eingang hindurch. Auf dem Linoleum ausgestreckt, wollte Belinda ihrer Freundin hinterherrufen. Es kam aber kein Ton heraus.
Belinda, mit den Tüten beladen, entdeckte Mary am Zoo-Ausgang auf einem der hohen Hocker, die für die Wachleute bestimmt waren.
»Wenn du dich daneben benimmst, werden sie dich vielleicht schlagen«, schnaufte Belinda. Unter ihren Füßen knirschte der Kies. »Das sage ich nur, weil mir dein Wohlergehen am Herzen liegt.«
Belinda hielt inne, holte Luft und wappnete sich gegen Marys nächste Beleidigung. Die Kleine sprang aber nur vom Schemel, rannte zum Tor und strich über die Gitterstäbe. Sie versuchte, den Kopf durch eine Schlaufe im rostigen Ornament zu stecken. Belinda wusste, dass dieser Versuch zum Scheitern verurteilt war, fand es jedoch klüger, sie gewähren zu lassen.
»Mary, du brauchst –«
Mary kehrte zum Hocker zurück, hievte sich hoch und schwang die Beine hin und her. Keine von beiden war in solchen Kämpfen erprobt. Mary hatte einen guten Start hingelegt, wusste jetzt aber nicht weiter. Sie hatte es ja selbst gesagt: Mary war nicht schlau genug. Sie war unfähig einen Plan auszuhecken, der alles beim Alten belassen würde.
»Du brauchst meine Sachen nicht zu tragen. Sind meine Sachen. Ich trage sie.« Belinda sah Mary abermals vom Hocker springen und auf sie zukommen, um ihr die Einkäufe abzunehmen. «Wir müssen los.«
Mary ging weiter, von der volleren Tüte zur Seite geneigt und hinkend unter der Last. »Falls wir zu spät sind und Aunty wissen will, wem sie die Schuld geben soll, lässt du mich da schön raus. Ich beeil mich schon die ganze Zeit und du willst immer warten und spielen. Jetzt haben wir keine Zeit mehr für deine Tagträumereien.«
Von einer hochgewachsenen Frau mit Klemmbrett angeführt, marschierte eine lockere Reihe lärmender Schulkinder an ihnen vorbei, paarweise, in makellosem Blau-Weiß und mit Sonnenhüten aus Stroh – nicht das übliche Braun-Gelb, das die meisten Schulkinder trugen und auf das Belinda in Adurubaa selbst so stolz gewesen war. Blau und Weiß wies auf eine teure Schule hin. Die reinlichen Gesichter und sauberen Füße in den farblich abgestimmten blauen Sandalen bestätigten ihre Vermutung. Belinda beobachtete, wie Mary zur Seite humpelte, um ihnen Platz zu machen. Dann blickte die krumme Gestalt gedankenverloren zum Himmel auf, zu den spektakulären Schwalben im Sturzflug.
3
Abends, als sie wieder bei Aunty und Uncle waren und Belinda den Hahn kräftig aufdrehte, staunte sie wieder über die Reinheit des Wassers, das sich so stark vom sandigen Getröpfel aus der dörflichen Gemeinschaftspumpe unterschied. Sie nahm ihre asanka aus Terrakotta, deren aufwendiges Muster aus ineinander verschlungenen Rauten zum Dekor der eleganten grauen Küchenfliesen passte, und hielt die Mörserschale unter den Wasserstrahl, kippte sie so, dass flache Wellen über die Rillen schwappten.
Als sie auf der Heimfahrt vom Zoo im Tro-tro saßen, hatte Belinda sich nach Kräften bemüht, Marys mürrisches Schweigen zu genießen. Ihr Verstummen hätte eigentlich beiden Gelegenheit geben müssen, sich zu beruhigen, während sie durch Bekwai und Melcom fuhren, Belinda hätte die Muße gehabt zu begreifen, dass ihr nichts Bedrohliches mehr bevorstand. Sie hatte Mary gesagt, dass sie gehen würde, das Schlimmste war also vorbei. Marys Schweigen war jedoch alles andere als beruhigend gewesen. Ihre Augen waren zu Schlitzen verengt, der Kiefer verkrampft, der Mund verzerrt.
Als sie wieder in Daban waren und in ihren vertrauten Alltag eintauchten, wirkte Mary eine Spur weniger unnahbar. In ihrem Zimmer packte sie die Tüten aus und stellte alles, was sie gekauft hatten, in Reihen auf ihrem Nachtschränkchen auf. Belinda zählte auf, was alles zu tun war, um das Abendessen zuzubereiten, Mary hörte zu und bestätigte jede Anweisung. Sie schlüpften beide aus ihren Kleidern und legten gleichzeitig ihre Uniform an.
Belinda spülte die asanka aus, Mary scheuerte Pfannen und Töpfe an der Kochinsel und der Abfluss gluckerte, als ein Schrei diese Rhythmen unterbrach. Darauf folgte noch ein Schrei, und Belinda spähte durch die Jalousie. Uncle stand am Pool, im flammenden Licht des Sonnenuntergangs, und warf mit einem Tilapia nach Aunty. Sie schrie und drückte sich etwas an die Brust. Uncle schüttelte den Kopf, strich sich über den kahlen Schädel und warf einen Fisch auf den Grill, dann gab er Aunty so lange Zeichen, bis sie das, was sie festhielt, herausrückte. Die Stimme, die kurz danach aus den Lautsprechern ertönte, erkannte Belinda als die von Sarah Vaughan, weil Aunty und Uncle diese CD so oft abspielten. Die Stimme breitete sich aus, glitt weg, breitete sich noch weiter aus.
»Aba! Immer machen sie diesen Krach, wenn wir uns konzentrieren müssen.« Mary hieb mit der Faust auf die Arbeitsplatte. »Wissen sie denn nicht, dass wir gern unsere Ruhe haben, wenn wir ihnen eto machen?«
Seit ihrer Ankunft in Daban hatte Uncle Belinda oft gesagt, dass er aus seinem Ruhestand das Beste machen wollte, und dabei so volltönend gelacht, wie er nur konnte. »Das Beste« bedeutete anscheinend essen, dem Trompetenmann Miles Davis oder der Singlady Sarah Vaughan lauschen, tagsüber schlafen, trinken und Schabernack treiben wie eben mit dem Fisch. Mary scheuerte weiter, Uncle nötigte die widerstrebende Aunty, mit ihm zu tanzen, und Belinda fiel es wieder einmal schwer sich vorzustellen, dass dieser Mann in London mit solch riesigen Summen hantiert haben sollte, wie es immer hieß. Bestimmt hatte er sich inzwischen stark verändert. Während sie die dicke grüne Schale von vier Kochbananen abzog, überlegte sie, ob sie sich im Lauf ihres Lebens wohl auch so stark verändern könnte. Sie warf die Schalen in den Müll und schloss aus einem Impuls heraus die Jalousie. Die blassen Kochbananen bettete sie Seite an Seite auf das Schneidebrett, wie müde Säuglinge, und zerteilte sie schnell.
»Setz schon mal das Wasser auf, me pa wo kyew.«
»Mach ich, Belinda.«
Belinda wandte sich den Scotch Bonnets zu, schabte mit ihrem Messer die Körner aus den Chilischoten, aber nicht alle, um den feurigen Geschmack zu erhalten, den Aunty und Uncle mochten. Sie hörte zu ihrer Freude, wie Mary vor Anstrengung ächzte, als sie den schweren Topf zum Herd trug, hörte den Kessel klicken, das Scheppern, als die Kleine den Topf auf das Kochfeld stellte, das Zischen, als sie das Streichholz entzündete, das Murmeln von kochendem Wasser und Salz, das Ploppen, als sie die Eier hineingab.
»Gib mir jetzt bitte die Kochbananen, Belinda.«
Belinda nickte und reichte ihr das Gewünschte. Sie sah zu, wie Mary die Scheiben ins Wasser gab.
»Kennst du die Geschichte?«, fragte Belinda und riss zwei Zwiebeln die Wurzeln ab.
»Wo se sɛn?«
»Wofür dieses eto steht.«