Elfenzeit 5: Trugwandel. Uschi Zietsch
Читать онлайн книгу.weiß es inzwischen, denn Odin selbst hat es gemeinhin offenbart: Dafydd ist der Vater, und das Kind steht unter dem Schutz des Throns der Crain. Es ist der Sohn des Frühlingszwielichts, und solange er in Nadja Oresos Leib heranwächst, ist auch sie geschützt. Du wirst deine Drecksklauen nie wieder an sie legen.«
Für einen Moment war Alebin zutiefst betroffen, und der kleine Finger seiner linken Hand versteinerte, als er an sich selbst zu zweifeln begann. Doch er fing sich schnell wieder.
»Und wenn schon!«, rief er, und mit einem hellen Ping zerbarst der steinerne Auswuchs, und ein noch sehr roh glänzender, frischer, fleischiger kleiner Finger zeigte sich darunter. »Ich bin Darby O’Gill, der rote Schotte. Ich überlebe euch alle! Und wenn ich erst mit euch fertig bin, gehören die Welten mir!«
»Nicht einmal in deinen kühnsten Träumen«, versetzte der Getreue und war sicher, dass Alebin endgültig übergeschnappt war. Er hatte die Qualen nicht mehr ertragen und war dem Wahnsinn anheimgefallen. Kopfschüttelnd machte er sich auf den Weg zurück, hielt aber inne, als Alebin ihm etwas hinterherrief.
»Eines noch zu deiner Königin, du großer Fährtensucher!«
»Fasse dich kurz.«
»Och, wieso denn? Ich bekomme so selten Besuch in letzter Zeit.«
»Wenn du mich nur aufhalten willst …«
»Nein, ich meine damit, dass ich sehr viel Zeit zum Nachdenken habe. Ich habe natürlich die Aufregung oben mitbekommen, wie du sie alle herumgescheucht hast, um die Königin zu suchen.«
»Komm auf den Punkt!«, mahnte der Getreue und wandte sich ihm zu. »Sonst ist heute noch deine Zunge dran.«
Alebin kicherte wieder. »Du bist wirklich ein Schlaukopf. Denkst immer nur in bestimmten Bahnen, ganz ähnlich wie die Menschen. Das ist zwar besser als bei den meisten Elfen, die überhaupt nicht denken. Trotzdem bist du beschränkt. Ich sage dir das, weil es mir ein Vergnügen ist, dich zu belehren, und weil ich gern wissen will, wie es weitergeht – wie du dieses Problem knacken wirst.«
»Ich gehe jetzt«, behauptete der Getreue, aber natürlich würde er sich anhören, was Alebin ihm zu sagen hatte. Er konnte gar nicht beleidigt werden, da er weder Stolz noch Ehre besaß. Er war der, der er war, nicht mehr, nicht weniger, und dementsprechend handelte er. Wenn er selbst nicht auf eine Lösung kam, so nahm er den Rat anderer an. Angesichts der jetzigen Situation war dies offenbar der letzte Weg, der ihm blieb. Er wusste nicht mehr weiter.
»Hast du schon mal daran gedacht«, fuhr Alebin nach einer Pause vergnügt fort und drehte jedes Wort zuerst genießerisch im blutigen Mund, bevor er es als Klang hinausblies, »dass Bandorchu sich nicht horizontal, sondern vertikal bewegt hat?«
Der Getreue stand wie zur Salzsäule erstarrt, und er fühlte sich, als habe ihn ein Blitzschlag entzwei gespalten. Dann drehte er sich wortlos um und ging nach oben. Alebins Gelächter schallte ihm hinterher.
Der Getreue taumelte in Bandorchus Schlafgemach, schloss mit letzter Kraft die Tür zum verbotenen Raum und sank dann schwach aufs Bett. Kurzzeitig schwanden ihm die Sinne, und er hatte Mühe, seine Gedanken beisammen zu halten. Was war nur mit ihm los? Hatte er die kaum wiedergewonnenen Kräfte nun zu sehr verausgabt? Wieso gelang es ihm nicht, die brennende Aura im Zaum zu halten? Ging es … etwas schon aufs Ende zu?
Das durfte nicht sein. Nicht jetzt, so kurz vor dem Ziel!
Hatte er etwas übersehen? Wirkte etwa immer noch ein Fluch Morganas in ihm nach, den er nicht bemerkt hatte? Hatte die Skylla ihm mehr entrissen, als er angenommen hatte?
Hilflos suchte er Zuflucht in der Geisterwelt, doch sie war ihm versperrt, er hatte selbst dafür nicht mehr genug Kraft. Irgendetwas blockierte ihn völlig. Im Augenblick war er wahrscheinlich nicht einmal in der Lage, durch das Portal in die Menschenwelt zu gehen.
Denk nach, ermahnte er sich. Denk nach, denk nach!
Die Lösung war nahe, das spürte er, aber er wusste nicht, ob er sie festhalten konnte.
Denk nach!
Der Meidling hatte es gesagt: Er hatte immer in der falschen Richtung gesucht. Das musste es sein!
Vertikal.
Bandorchu ist in der Vergangenheit gelandet!
Der Getreue sprang auf. Was war nur los mit ihm? Verlor er den Verstand? Seine Aura brannte heller denn je. Er musste handeln, sofort!
Da schlug der Blitz in ihn ein.
*
Gofannon wollte nicht mehr warten. Einst war er der Königin freiwillig ins Exil gefolgt, weil er sich den Platz an ihrer Seite erhoffte. Deshalb hatte er jetzt den Schwur geleistet, denn eine andere Zukunft hatte er nicht. Er war ein Gott, der mit einem Boon belegt war. Jedes Mal, wenn er in die Menschenwelt ging, fand er sich in einem Attentäter wieder und musste dessen blutiges Werk vollenden. Befreit werden konnte er nur, wenn sein unfreiwilliger Wirt starb. Das wäre ein paar Mal schon beinahe schiefgegangen – dachte er etwa an diesen Guy Fawkes, der die Sache mit dem Parlament abblasen wollte, nachdem er aufgeflogen war. Es hatte Gofannon eine Menge Mühe gekostet, den Mann dazu zu bringen, trotzdem an seinem Plan festzuhalten und dafür gehängt zu werden. Danach war er frei und konnte ins Schattenland zurück, zu seiner geliebten Königin.
Ja, Götter konnten im Gegensatz zu den Elfen lieben, doch selten schmerzte es so sehr wie bei Gofannon, wenn die Zuneigung unerfüllt blieb. Darüber waren Götter normalerweise erhaben, auch er. Bis Fanmór den dicklichen alten Gott seines Schutzes beraubt hatte, und seither litt er Qualen, sobald er Bandorchu erblickte, oder wenn ihr Name fiel, oder wenn er, was mehrmals am Tage vorkam, an sie dachte.
Ebenso leidenschaftlich allerdings brannte sein Hass auf den Getreuen in ihm, der Gofannon den ihm zustehenden Platz weggenommen hatte.
Und nun war die Königin fort und der Getreue hatte alle anderen hereingelegt und einen Schwur leisten lassen, der sie in Sklaverei band, bis ans Ende aller Tage – oder bis die Königin sie daraus entließ. Gofannon hatte den Getreuen sofort durchschaut, doch er hatte nichts dagegen unternommen, dazu hatte er keinerlei Grund. Die Geschicke der Elfen waren nicht sein Metier, seine Göttlichkeit hatte sich auf anderen Ebenen bewegt. Die Elfen waren selbst für sich verantwortlich, und er … nun, er hatte mitgemacht, weil er die Königin nicht verlassen wollte. Er würde weiterhin ausharren und auf seine Stunde warten, die eines Tages kommen sollte. Eines Tages würde der Widerstand der Königin weichen, und sie würde ihm endlich ihre Aufmerksamkeit schenken, und zwar auf liebevolle Weise. Sie würde ihm sein Versagen vergeben, dass er damals im Krieg Fanmór nicht töten konnte, und seinen Fluch mit einem Obán von ihm nehmen. Dazu war Bandorchu in der Lage, dessen war der Gott gewiss. Und dann würde er ihr Vertrauter werden; na schön, vielleicht nicht an ihrer Seite, doch nah dabei. Er hatte genug Ideen, wie sie ihre Herrschaft über die Menschen ausüben würde. An der Anderswelt war Gofannon nicht interessiert. Dort mochte der Getreue an ihrer Seite bleiben und sie beschützen.
Gofannon nahm den letzten Gedanken sofort wieder zurück. Was für eine idiotische Vorstellung. Der Getreue war ja nicht einmal jetzt in der Lage gewesen, sie zu beschützen. Bandorchu war spurlos verschwunden und ihr Liebhaber hatte keine Idee, sie zu finden. Abgesehen davon, dass er wie ein Dämon unter dem Volk der Verbannten wütete, trug er nichts Produktives bei.
Jetzt zeigte sich, dass der dicke Gott schon von Anfang an das Richtige vermutet hatte: Dieser Mann, der sich geheimnistuerisch verhüllte, war völlig unfähig. Ein Versager, Blender, der es geschickt verstand, Angst und Schrecken zu verbreiten, in Wirklichkeit aber so harmlos war wie eine Nacktschnecke. Und wahrscheinlich auch genauso aussah. Tricks waren es, nichts weiter, und nun kam die Wahrheit endlich ans Licht, nachdem nach und nach alles rundherum zusammenbrach. Offensichtlich hatte seine Fassade nur so lange Bestand, wie die Königin ihre schützende Hand über ihn hielt. Ohne sie war er – ein Nichts, der Lächerlichkeit preisgegeben.
Gofannon würde nicht mehr länger warten. Nun nahm er die Sache selbst in die Hand, würde durch das Portal in die