Die Poggenpuhls. Roman. Theodor Fontane

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Die Poggenpuhls. Roman - Theodor Fontane


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ihrer würdig zeigen und immer im Auge haben, nicht was so vielleicht durch Wunderwege geschehen kann, sondern was nach Vernunft und Rechnung und Wahrscheinlichkeit geschehen muss. Und auf solchem Rechnen steht dann ein Segen.«

      »Ach, Mama, ich rechne ja immerzu.«

      »Ja, du rechnest immerzu, freilich, aber du rechnest nachher, statt vorher. Du rechnest, wenn es zu spät ist, wenn du bis über den Kopf drinsteckst, und dann willst du dich herausrechnen und rechnest dich bloß immer tiefer hinein. Was dir nicht passt, das siehst du nicht, willst du nicht sehen, und was dir schmeichelt und gefällt, daraus machst du Wahrscheinlichkeiten. Die Menschen haben so viel für uns getan, auch für dich, und nun, mein ich, heißt es: ›Hilf dir selber.‹ Immer bloß ›wir sind ja die Poggenpuhls‹, damit machen wir uns bloß bedrücklich, und zuletzt sind wir Querulanten, was ich doch nicht erleben möchte.«

      »Davon sind wir weitab, Mama.«

      [32]»Nicht so weit, wie du denkst. Onkel Eberhard, der ein sehr feiner und sehr gütiger Mann ist, ich muss ihn wirklich einen echten Edelmann nennen, wird allmählich auch reserviert und ungeduldig. Er sagt es nicht geradeheraus, weil er eben gütig ist, aber es steht doch leise zwischen den Zeilen.«

      »Ja, der Onkel, der alte Streitpunkt. Ich bitte dich, Mama, er tut aber doch auch wirklich zu wenig und alles so bloß um Gottes willen, und er müsste doch eigentlich denken: ›Ich habe meine Zeit gehabt, nun sind die andern dran.‹ Er gibt wohl dann und wann, gewiss, aber was er so auf dem Familienaltar opfert, steht in keinem rechten Verhältnis, weder zu seinen Einnahmen noch zu seinen Ermahnungen. Er könnte sich kürzer fassen und mehr geben. Hat er doch ein riesiges Glück gehabt und sitzt nun über ein Dutzend Jahre schon in der Wolle, oder wie manche sagen, in einer guten Assiette.«

      »Dass du nicht davon abzubringen bist und nicht wissen willst, wie’s mit dem Onkel eigentlich liegt. Er hat die reiche Witwe geheiratet und wohnt in einem Schloss, und wenn seine Frau den Prinzen Albrecht oder einen von den Karolaths einladen will, dann ist das ein großes Wesen, und der halbe niederschlesische Adel sitzt dann mit zu Tisch, und es sieht dann aus, als gäbe Onkel Eberhard das Fest. Aber er gibt es nicht, sie gibt es; er gibt nur den Namen dazu her und auch das kaum, denn viele, wenn sie hinter dem Rücken der Tante sprechen, nennen sie noch immer bei dem Namen ihres ersten Mannes. Der war schlesisch und ein sehr vornehmer Mann, vornehmer als die Poggenpuhls … das müsst ihr euch nun schon gefallen lassen, dass es noch Vornehmere gibt … Ich sage dir, so gut sie ist, sie hält ihn trotzdem knapp, und er hat nicht viel mehr als [33]seine Generalspension, von der er noch alte Schulden bezahlen muss …«

      »… Alte Schulden! Siehst du, Mama, da sagst du’s nun selbst. Auch der also. Und ist doch General geworden und hat nun eine reiche Frau …«

      »… Wovon er alte Schulden bezahlen muss«, wiederholte die Mama, ohne seiner Zwischenrede weiter zu achten. »Und da bleibt ihm nur ein Taschengeld.«

      »Aber ein gutes …«

      »Vielleicht, oder sagen wir gewiss. Und wenn er trotzdem damit zu Rate hält, so liegt es wohl auch daran, dass er dir misstraut oder, wenn nicht er, dass die Frau dir misstraut und dass deren Einfluss ihn bestimmt.«

      »Das ist es ja eben, was einen ärgert, dieser unwürdige Weibereinfluss. Und dann, Mama, von mir will ich am Ende nicht reden, ich bin vielleicht enfant perdu; meinetwegen. Aber Wendelin, dieser Musterknabe, wenn ich meinen Herrn Bruder so nennen darf, an dem müsste er doch wenigstens seine Freude haben und sogar die Frau Tante. Da liegt doch die Knauserei ganz deutlich zutage.«

      »Spricht Wendelin ebenso?«

      »Nein. Der nicht, der braucht es auch nicht. Wendelin, der das Talent hat, bei seiner Wasserkaraffe sich Herr von ungezählten Welten zu fühlen, Wendelin macht auch so seinen Weg. Aber auch für ihn ist doch ein Unterschied. Es ist nun mal was andres, ob man seinen Weg spielend macht oder in ewiger Askese. Die mit Askese haben meistens einen Knacks weg – sie werden berühmt oder können es wenigstens werden, aber auch wenn sie berühmt sind, wirken sie meistens wie kleine Schulmeister. Möglich, dass Wendelin eine Ausnahme macht.«

      [34]»Glaubst du denn überhaupt und mit einer Art von Zuversicht, dass etwas Höheres aus ihm werden wird?«

      »Gewiss, Mutter. Kein halbes Jahr, so kommt er in den Generalstab. Was er über Skobeleff geschrieben, hat Aufsehen gemacht. Und dann noch ein Jahr oder zwei, dann schicken sie ihn nach Petersburg, und da heiratet er, so nehme ich vorläufig an, eine Yussupoff oder eine Dolgorucka; die haben alle wenigstens zehntausend Seelen und Bergwerke mit Diamanten. Was meinst du dazu? Kein übler Blick in die Zukunft. Zugegeben, nicht wahr? Aber wenn der Onkel anders wäre oder meinetwegen auch die Tante – doch von der können wir es nicht verlangen, denn sie ist bloß angeheiratet und war eine ›Bourgeoise‹, was immer schlimm ist; du bist doch wenigstens eine ›Bürgerliche‹ –, ja, dann wäre er schon da, dann wär’ er schon in Petersburg, und ich wäre schon attachiert und ginge mit in den Kaukasus oder nach Merw oder nach Samarkand, und all das unterbleibt oder vertagt sich wenigstens grausamerweise, bloß weil kein Vorspann da ist, weil die Goldfüchse fehlen.«

      »Gott, Leo, wenn man dich so hört; so sollte man glauben, du könntest alles haben, wenn sich bloß der Wind ein bisschen drehen wollte. Phantasien, Pläne, so warst du schon als kleiner Junge.«

      »Ja, Mutter, so muss man auch sein, wenigstens unsereiner. Wer was hat, nun ja, der kann das Leben so nehmen, wie’s wirklich ist, der kann das sein, was sie jetzt einen Realisten nennen; wer aber nichts hat, wer immer in einer Wüste Sahara lebt, der kann ohne Fata Morgana mit Palmen und Odalisken und all dergleichen gar nicht existieren. Fata Morgana sag ich. Wenn es dann, wenn man näher kommt, auch nichts ist, so hat man doch eine Stunde lang [35]gelebt und gehofft und hat wieder Courage gekriegt und watet gemütlich weiter durch den Sand. Und so sind denn die Bilder, die so trügerisch und unwirklich vor uns gaukeln, doch eigentlich ein Glück.«

      »Ja, die Jugend kann das und darf es auch vielleicht. Und ich will dir noch mehr zugeben: wer immer hoffen kann, und die Hoffnung ist oft besser als die Erfüllung, der hat sein Teil Freude weg. Aber trotzdem, du hoffst zu viel und arbeitest zu wenig.«

      »Ich arbeite wenig, das ist richtig, und ich will es nicht loben. – Aber ich habe einen heiteren Sinn, und das ist schließlich besser als alles Arbeiten. Heiterkeit zieht an, Heiterkeit ist wie ein Magnet, und da denk ich, ich kriege doch auch noch was.«

      »Nun, ich will es dir wünschen. Und jetzt geh in die Küche und sage Friederike, dass sie dir was zum Abendbrot bringt.«

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