Der Leuchtturm am Ende der Welt. Jules Verne
Читать онлайн книгу.Erkrankungen so heilsamen Löffelkraut. Kurz, wenn es jetzt hier nicht Frühling war – dieses hübsche Wort hat im Magellanslande kein Bürgerrecht – so war es wenigstens Sommer, der noch für einige Wochen am äußersten Ende des amerikanischen Festlandes herrschte.
Am Nachmittage und noch vor dem Zeitpunkte, wo das Licht des Turmes angezündet werden mußte, saßen Vasquez, Felipe und Moriz beieinander auf dem kleinen Balkon, der die Laterne ringförmig umschloß. Sie »spannen ein Garn«, wie sie es gewöhnt waren, und natürlich trug der Oberwärter meist die Kosten der Unterhaltung.
»Na, Kameraden, begann er, nachdem er seine Pfeife sorgsam gestopft hatte – welchem Beispiele die beiden andern getreulich folgten – na, sagt einmal, dieses neue Leben… findet ihr euch schon einigermaßen damit ab?
– Ei gewiß, Vasquez, antwortete Felipe. In der kurzen Zeit bis jetzt kann man sich ja nicht schon gelangweilt oder ermüdet fühlen.
– Natürlich nicht, stimmte Moriz ein, unsre drei Monate werden wohl schneller verstreichen, als ich es je geglaubt hätte.
– Ja, Kamerad, sie werden dahingehen wie eine Korvette, die bei gutem Winde alle Leinwand aufgesteckt hat.
– Da du von einem Schiffe sprichst, fuhr Felipe fort… heute haben wir kein einziges gesehen, nicht einmal draußen am Horizonte.
– Das wird noch kommen, Felipe, wird schon noch kommen, antwortete Vasquez, der dabei seine zusammengebogene Hand gleich einem Fernrohre vor die Augen hielt. Es lohnte sich doch wahrlich nicht der Mühe, auf der Stateninsel einen so schönen Leuchtturm erbaut zu haben, einen Turm, der seine Strahlen zehn Seemeilen weit hinaussendet, wenn kein Schiff davon Vorteil haben sollte.
– Übrigens ist unser Leuchtturm noch ganz neu, bemerkte Moriz.
– Freilich, freilich, alter Junge, erwiderte Vasquez, es wird noch einige Zeit vergehen, bis alle Kapitäne erfahren haben, daß diese Küstenstrecke jetzt ein Licht hat. Wissen sie das einmal, dann werden sie schon näher an dieser vorbeifahren, um in die Meerenge einzulaufen, da sie damit ja an Weg sparen und manche Gefahren vermeiden. Es ist aber nicht genug, zu wissen, daß jetzt hier ein Leuchtturm steht, sie müssen sich auch darauf verlassen können, daß er allemal vom Untergange bis zum Aufgange der Sonne seinen Lichtschein ausstrahlt.
– Nun, sagte Felipe, das wird ja nach der Rückkehr der ›Santa-Fé‹ nach Buenos-Ayres bald allgemein bekannt sein.
– Richtig, Kamerad, erklärte Vasquez; sobald der Kommandant Lafayate seinen Bericht abgestattet hat, wird das Seeamt sich beeilen, die Kreise der Seefahrer davon zu unterrichten. Übrigens müssen auch schon jetzt viele Schiffer Kenntnis von dem erhalten haben, was hier unten entstanden ist.
– Was unsre ›Santa-Fé‹ betrifft, begann Moriz, die doch erst vor fünf Tagen abgefahren ist, so dauert deren Heimreise…
– Meiner Ansicht nach, unterbrach ihn Vasquez, voraussichtlich eine Woche. Das Wetter ist ja schön, das Meer ruhig und es weht ein für den Aviso günstiger Wind. Er hat den Tag und Nacht vom offenen Meere her in den Segeln, und nimmt er dann noch seine Maschine zu Hilfe, so sollt' es mich doch wundern, wenn er nicht seine neun bis zehn Knoten liefe.
– Augenblicklich, sagte Felipe, muß er an der Magellanstraße vorbei und über das Kap der Jungfrauen wenigstens schon fünfzehn Meilen hinaus sein.
– Gewiß, Kamerad, bestätigte Vasquez. Jetzt segelt er längs der Küste Patagoniens hin, und den Pferden der Patagonier ist er an Schnelligkeit überlegen. Doch der Himmel weiß, wie da zu Lande Menschen und Tiere fast laufen können wie die beste Fregatte vor gutem Winde!«
Es liegt wohl auf der Hand, daß die Erinnerung an die ›Santa-Fé‹ den wackern Leuten noch frisch vor Augen schwebte; war es doch wie ein Stückchen Heimatland, das sie eben verlassen hatte, um dahin zurückzukehren, und in Gedanken folgten sie dem Schiffe bis zum Ziele seiner Fahrt.
»Hast du denn heute mit Erfolg gefischt? nahm Vasquez, sich an Felipe wendend, wieder das Wort.
– Das will ich meinen, Vasquez. Mit der Angel hab ich ein paar Dutzend Meergrundeln gefangen, und mit der Hand einen reichlich dreipfündigen Taschenkrebs, der zwischen den Steinen am Ufer umherkroch.
– Gut gemacht, antwortete Vasquez, du brauchst auch nicht zu befürchten, die Bucht zu entvölkern. Je mehr Fische man wegfängt, so sagt man ja, desto mehr drängen sich herbei, und das wird uns gestatten, unsre Vorräte an trocknem Fleisch und geräuchertem Speck zu schonen. Was die Gemüse angeht…
– O, fiel da Moriz ein, ich bin draußen bis zum Buchenwalde gewesen, wo ich mehrere Wurzeln ausgehoben habe. Wie ich's dem Oberkoch vom Aviso, der sich darauf versteht, abgesehen habe, werd ich' euch eine gut schmeckende Schüssel davon bereiten.
– Die uns sehr willkommen sein wird, erklärte Vasquez, denn von Konserven, und wären es die besten, soll man nie zu viel genießen. Die ersetzen doch niemals, was frisch erlegt, frisch geangelt und frisch eingesammelt ist.
– Ei, rief Felipe, wenn uns noch aus dem Innern der Insel ein paar Wiederkäuer zuliefen, vielleicht ein Guanakopärchen oder andre…
– Ich sage nicht, daß ein Lendenbraten oder ein saftiges Stückchen Keule vom Guanako zu verachten wäre, antwortete Vasquez, mit der Zunge schnalzend. Für ein leckeres Stückchen Wild hat sich der Magen allemal pflichtschuldigst zu bedanken. Wenn sich davon etwas zeigt, wollen wir es ja zu erbeuten suchen, doch wohl zu merken, daß sich deshalb, ob's nun ein großes oder kleines Tier gilt, niemand zu weit von der Einfriedigung entfernt. Also immer Achtung auf unsre Instruktionen, immer in der Nähe des Leuchtturms bleiben, außer wenn es sich darum handelt, zu beobachten, was in der Elgorbucht oder draußen zwischen dem Kap Sankt-Johann und der Diegosspitze vorgeht.
– Ja, fiel Moriz, der die Jagd besonders liebte, ein, wenn aber ein frisches Stück Wild in Schußweite käme…
– Ach, auf zwei- oder dreifache Schußweite, antwortete Vasquez, darauf kommt's nicht an. Ihr wißt aber, daß das Guanako zu wilder Natur ist, sich in die Nähe von guter – das heißt natürlich: von unsrer – Gesellschaft zu wagen, und es sollte mich sehr wundernehmen, wenn wir nur ein Hörnerpaar über den Felsen hinter dem Buchenwalde erblickten oder wenn sich so ein Bursche gar bis an die Einfriedigung verirrte.«
Tatsächlich hatte sich seit Beginn der Bauarbeiten kein Tier in der Umgebung der Elgorbucht erblicken lassen. Der Obersteuermann der ›Santa-Fé‹, ein leidenschaftlicher Nimrod, hatte wiederholt versucht, ein Guanako zu erlegen, doch obgleich er dabei wohl fünf bis sechs Meilen ins Innere der Insel wanderte, waren alle Bemühungen vergeblich gewesen. Fehlte es hier auch nicht an Hochwild, so hielt es sich doch stets in zu großer Entfernung, als daß es hätte geschossen werden können. Hätte der Obersteuermann die nächsten Höhenzüge überstiegen und sich bis zum Parryhafen, womöglich bis zum andern Ende der Insel begeben, so wäre er jedenfalls glücklicher gewesen; doch da, wo nach der Westseite zu steile Berggipfel aufragten, mußte ein Vordringen ungemein schwierig werden, und so war weder er noch sonst einer von der Besatzung der ›Santa-Fé‹ bis in Sicht des Kaps Saint- Barthelemy gekommen.
Als Moriz in der Nacht vom 16. zum 17. Dezember von sechs bis zehn Uhr auf dem Turme die Wache hatte, blinkte im Osten, sechs bis sieben Meilen draußen auf dem Meere ein schwaches Licht auf. Offenbar kam es von der Laterne eines Schiffes, des ersten, das sich seit der Vollendung des Leuchtturms im Gewässer der Insel gezeigt hatte.
Moriz glaubte mit Recht, daß das seine Kameraden, die noch nicht schliefen, interessieren würde, und er ging also hinunter, um sie davon zu benachrichtigen.
Vasquez und Felipe stiegen mit ihm sofort wieder hinauf und stellten sich, Fernrohre in der Hand, an das geöffnete Fenster der Ostseite.
»Es ist ein weißes Licht, sagte Vasquez.
– Und folglich, setzte Felipe hinzu, kein solches einer Positionslaterne, da es weder grün noch rot leuchtet.«
Diese Bemerkung war richtig: es war keines der vorschriftsmäßigen Positionslichter, die nach Sonnenuntergang, das rote an Back-, das grüne an Steuerbord der Seeschiffe,