Sophienlust Box 15 – Familienroman. Patricia Vandenberg

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Sophienlust Box 15 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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nicht übers Herz, Corinna in ihrem Leid der Ungewissheit zu überlassen.

      »Ich muss sie sehen, ich muss zurückkommen!« Corinna war keinem vernünftigen Argument mehr zugänglich.

      »Sie dürfen Bärbel nicht sehen!«, rief Denise mit Nachdruck in den Hörer. »Bärbel ist isoliert und muss es noch eine Woche lang bleiben. Es hat also gar keinen Zweck, dass Sie früher zurückkommen, Frau Saller. Machen Sie sich bitte keine Sorgen. Ihrem Kind geht es bereits wieder gut.«

      Doch diese Versicherung nahm Corinna schon nicht mehr wahr. Sie verabschiedete sich hastig von Denise und legte auf. Wie eine Schlafwandlerin taumelte sie aus der Zelle. Als Jochen sie stützen und ihr ein paar tröstende Worte sagen wollte, stieß sie ihn abrupt von sich. »Lass mich!«

      Er schaute die geliebte Frau hilflos an. »Corinna, Liebes, es … es tut mir so unendlich leid. Aber du hast ja gehört, dass Frau von Schoenecker bestätigt hat, Bärbel habe das Schlimmste bereits überstanden.«

      »Hör auf!«, fuhr sie ihn an. Ihre Hände zitterten so stark, dass sie die Finger ineinander verschlingen musste, um sie einigermaßen stillhalten zu können.

      Jochen wollte ihre Hand ergreifen, doch sie wandte sich brutal von ihm ab. Hass glitzerte in ihren Augen und traf ihn wie ein Schlag. »Aber … aber Corinna …« Mehr konnte er nicht sagen. Nur in seinen Augen stand noch immer die stumme Versicherung seiner Liebe zu ihr. Er machte eine Geste, als wollte er sich entschuldigen, als wollte er sagen, ich bin doch nicht schuld an der Krankheit deines Kindes.

      Doch Corinna blickte ihn einen Moment lang verächtlich an, einen Moment, in dem ihn ihre Blicke wie versengende Blitze trafen. Dann wandte sie sich ab und lief auf die Straße hinaus zum Wagen.

      Jochen folgte ihr hilflos und verwirrt. Was hatte sie nur? Der Schmerz musste ihre Sinne verwirrt haben.

      Er trat zum Wagen und öffnete für sie die Tür zum Beifahrersitz. Dann ging er um den Wagen herum und setzte sich hinter das Steuer. Er startete jedoch nicht, sondern blieb einige Minuten still sitzen.

      Corinna blickte starr geradeaus. Kein Leben schien mehr in ihr zu sein. Nur über ihre Wange lief eine einzelne Träne. Diese Träne, das Eingeständnis ihrer Hilflosigkeit und Schwäche, nahm sich eigenartig auf dem zur Maske erstarrten Gesicht aus.

      Jochen holte sein Taschentuch hervor und wollte ihr behutsam die Träne vom Gesicht tupfen. Doch Corinna stieß seine Hand weg. Nun begann sie zu sprechen.

      Aber ihre Worte waren an niemand gerichtet. Es war ein abgehacktes, von trockenen Schluchzern unterbrochenes Selbstgespräch.

      »Schämen sollte ich mich! Während mein Kind todkrank ist, vergnüge ich mich hier. Das ist jetzt die Strafe dafür! Ich bin eine schlechte Mutter … Nein, überhaupt keine Mutter. Sonst hätte ich an mein Kind und nicht nur an mich selbst gedacht.«

      »Mach dir doch keine Vorwürfe«, bat Jochen demütig. Es schmerzte ihn, sie so leiden zu sehen.

      »Lass mich in Ruhe«, fuhr sie ihn an. »Du hast mich zu diesem Urlaub verleitet. Du bist schuld daran. Warum habe ich nur auf dich gehört?« Sie schlug verzweifelt die Hände vors Gesicht.

      Jochen fuhr zurück, als habe ihn eine Natter gebissen. Ihre Vorwürfe trafen ihn unvorbereitet und waren nicht berechtigt. »Du weißt nicht, was du sagst«, murmelte er. »Das kannst du nicht meinen …«

      »Doch, das meine ich so! Dir ist es doch egal, was mit meinem Kind geschieht. Dir geht es nur um dein Vergnügen!«

      Diese Worte trafen ihn wie Keulenschläge. Er warf ihr einen letzten bittenden Blick zu. Doch als er sah, dass in ihren Augen noch immer Hass loderte, wandte er sich verletzt ab. Dann startete er den Motor und fuhr langsam in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren.

      »Ich will sofort nach Sophienlust«, verlangte Corinna trotzig.

      »Wir haben das ganze Gepäck noch in unserer Hütte«, sagte er mit frostiger Stimme, der man anhörte, dass er litt.

      »In der Hütte?«

      »Ja«, erklärte er geduldig, als spräche er zu einem Kind. Doch die Wärme war nun aus seiner Stimme verschwunden. Er war eben auch nur ein Mensch, dessen Stolz empfindlich verletzt worden war. »Wir müssen noch einmal zu unserer Hütte aufsteigen, bevor wir nach Sophienlust fahren. Schließlich können wir unser Gepäck nicht einfach hier zurücklassen.«

      Sie gab keine Antwort. Jochen deutete es als Zeichen, dass sie einverstanden war. Er schaltete in einen höheren Gang und fuhr etwas schneller. Bald erreichten sie den kleinen Ort, hinter dem der Aufstieg zu der Hütte begann. Jochen parkte seinen Wagen wieder an der gleichen Stelle wie zuvor. Er wollte Corinna beim Aussteigen helfen, doch sie sprang schnell aus dem Wagen und holte wortlos ihren kleinen Rucksack vom Rücksitz.

      Es ging bereits auf den Abend zu, als sie ihren Aufstieg begannen. Schweigend folgten sie dem anfangs nur leicht ansteigenden Pfad. Jochen ging voraus, Corinna mit verbissenem Gesicht hinter ihm. Als er sich einmal umdrehte, um sie zu fragen, ob sie auch mitkäme, nickte sie nur.

      Tiefrot versank die Sonne hinter den Bergkuppen und tauchte die schweigende steinerne Welt ringsum in ein unwirkliches Licht. Der Anblick dieses Naturschauspiels war so schön, dass er Corinna den Schmerz um Bärbel noch intensiver zu Bewusstsein brachte. Sie hätte schreien mögen. Wie konnte es hier so friedlich und schön sein, wo es zur gleichen Zeit an anderen Orten so unsäglichen Schmerz gab? Wie gern hätte sie sich an dem Sonnenuntergang erfreut, wenn sie ihr Kind gesund und in Sicherheit gewusst hätte.

      Ein warnender Laut von Jochen ließ sie zusammenfahren. »Pass auf! Du

      bist vom Weg abgekommen!«, rief er ihr zu. Er war bereits fünfzehn Meter vor ihr.

      Corinna erkannte, dass sie an einer Gabelung einem schmalen Wiesenpfad gefolgt war, der zu einem Abgrund führte. Sie sprang über die Wiesen, deren Gras hier schon spärlicher wurde und sich allmählich mit Geröll vermischte.

      »In Ordnung, gehen wir weiter«, sagte sie, sobald sie wieder an Jochens Seite war. Ihr Ton war kühl und unpersönlich. Kein Wort des Dankes kam über ihre Lippen.

      Gequält wandte er sich ab und stieg weiter. Die Stille der Bergeinsamkeit, die er sonst so liebte, lastete jetzt schwer auf ihm. Warum war sie nur so ungerecht? Sie wusste doch, dass er für sie und ihr Kind nur das Beste wollte. Er begriff überhaupt nicht die Verwandlung, die mit ihr vorgegangen war.

      Es begann schon zu dämmern, als sie die Hütte erreichten. »Ihre« Hütte, wie sie sie in den vergangenen Tagen immer zärtlich genannt hatten. Hier hatten sie zueinandergefunden und sich Liebe und Treue versprochen. Und nun benahmen sie sich wie zwei Fremde, die einander nichts zu sagen hatten.

      Jochen holte den mitgebrachten Proviant aus dem Rucksack. »Richtest du ein kleines Abendessen, Corinna?« Seine Stimme hatte einen fast demütigen Klang.

      Doch Corinna nickte nur in abweisendem Hochmut. »Natürlich«, antwortete sie knapp. Aber als er ihr mit einigen Handgriffen helfen wollte, bat sie ihn, das bleibenzulassen.

      Corinna benahm sich, als verüble sie ihm seine Gegenwart, als sei er ihr lästig. Er spürte, wie alles in ihm sich verkrampfte. Plötzlich kam sie ihm wie eine Fremde vor. Das war doch nicht mehr seine Corinna, die warmherzige, verständnisvolle Frau, die ihn noch vor einigen Tagen gebeten hatte, sie nie allein zu lassen, weil sie ihn brauchte. Spürte sie denn nicht, wie weh sie ihm tat?

      Gekränkt und verletzt wandte er sich ab und setzte sich auf die Eckbank. Die Ellbogen auf den Tisch gestützt und den Kopf in die Hände vergraben, so wartete er, bis Corinna das Abendessen auf den Tisch stellte.

      Sie selbst rührte fast nichts davon an. Auch Jochen verging der Appetit nach einigen Bissen. Er sah ihr zu, wie sie die Teller wieder abräumte, den Proviant im Rucksack verstaute und die kleine Küche der Hütte in Ordnung brachte.

      »Bitte, setz dich zu mir«, bat er, sobald sie mit ihren Arbeiten fertig war und in der Mitte des niederen Raumes stand. Zaghaft streckte er ihr seine Hand entgegen. »Ich weiß, dass du leidest, und versichere dir, dass ich


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