Macht. Anselm Grün

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Macht - Anselm Grün


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mit der er wirkt. Augustinus definiert die Allmacht Gottes noch einmal anders: »Aus keinem anderen Grund heißt er allmächtig, als weil er kann, was immer er will« (Hauser, 105).

      Diese Allmacht ist gerade in den letzten Jahrhunderten jedoch immer wieder infrage gestellt worden. Der Grund war die gerade angesichts der vielen verheerenden Kriege immer wieder gestellte Frage: Wie kann der allmächtige Gott solches Leid zulassen? Er wäre doch (all)mächtig genug, es zu verhindern! Diese Grundfrage aller Theologie nennt man auch Theodizee und sie wurde in vielen Abhandlungen und Überlegungen bearbeitet, doch letztlich gab und gibt es bisher keine befriedigende Antwort darauf.

      Die Evangelien sprechen immer wieder von der »Vollmacht« Jesu: Er hat die Vollmacht, Sünden zu vergeben (Matthäus 9,6) und predigt mit Vollmacht. An anderer Stelle heißt es, die Menschen »waren sehr betroffen von seiner Lehre, denn er redete mit Vollmacht« (Lukas 4,32). Im Griechischen heißt es hier: en exousia en ho logos autou. Das könnte man so übersetzen: »In Vollmacht war sein Wort.« Exousia leitet sich vom griechischen Wort ousia = das Sein ab. Jesus sprach also aus dem Sein heraus. Er sprach so von Gott, dass dieser einfach da war, dass das Sein Gottes offenbar wurde. Jesus moralisiert nicht, er spricht nicht vom Sollen, sondern vom Sein. Er übt keine Macht aus, indem er seinen Zuhörern ein schlechtes Gewissen einimpft, sondern seine Macht zeigt sich in seiner Freiheit, so von Gott zu sprechen, wie es dem Wesen Gottes entspricht. Durch sein Wort lässt er ihn gegenwärtig sein. Seine Worte haben zum Beispiel die Macht, in dem Mann, der von einem »unreinen Geist« besessen war, eine heftige Reaktion hervorzurufen.

      Durch das Wort Jesu wird hier das dämonische Gottesbild ans Licht gezerrt, das Bild eines Gottes, den ich besitzen kann, der mir dienen soll, der mich belohnen muss, wenn ich bete. Als der Dämon aus dem Menschen ausfährt, staunen die Menschen und sind erschrocken. Sie sagen: »Mit Vollmacht und Kraft befiehlt er den unreinen Geistern, und sie fliehen« (Lukas 4,36).

      Neben der exousia ist hier von dynamis die Rede. Dynamis ist die Kraft, die Gott Jesus verliehen hat, und bedeutet die Kraft und die Fähigkeit, etwas auszurichten. Gott hat Jesus die Fähigkeit gegeben, mit Kraft die Dämonen auszutreiben und die Menschen zu heilen. So heißt es bei Lukas: »Die Kraft (dynamis) des Herrn drängte ihn dazu, zu heilen« (Lukas 5,18).

      Die Evangelien schreiben dem wiederkommenden Jesus, der das Ende der Welt einläutet, Macht und Herrlichkeit zu: »Sie werden den Menschen mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels kommen sehen« (Matthäus 24,30). Jesus wird seine Engel aussenden: »Sie werden die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen, von einem Ende des Himmels bis zum anderen« (Matthäus 24,31). Am Ende werden die Mächtigen vom Thron gestürzt. Die Mächte dieser Welt werden entmachtet und Christus wird über alle Menschen und den gesamten Kosmos herrschen. Die Welt ist letztlich in der Hand Christi. Gott hat uns in Jesus Christus »der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes« (Kolosser 1,13).

      Die meisten Theologen sind sich darin einig, dass der Mensch als Geschöpf durch Gottes Geschenk eine eigene Würde und Macht besitzt. Gott lässt dem Menschen die Macht der Freiheit. Doch was bedeutet Macht in diesem Zusammenhang?

      Das deutsche Wort »Macht« kommt von »mögen«, was ursprünglich so viel wie »können, vermögen« bedeutet. Das entspricht auch dem lateinischen Wort potestas, das von posse = können abgeleitet wird.

      Es gibt verschiedene Definitionen von Macht. Christine Bauer-Jelinek, eine Psychologin und Lehrerin, die seit den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts als Wirtschaftscoach arbeitet und das von ihr gegründete »Institut für Machtkompetenz« in Wien leitet, definiert Macht so: »Macht ist das Vermögen, seinen Willen gegen einen Widerstand durchzusetzen« (Bauer-Jelinek, 58).

      Es geht also häufig bei Machtausübung darum, seine Bedürfnisse durchzusetzen und damit zu erfüllen. Um das zu erreichen, muss ich Macht einsetzen. Dabei bedeutet Macht nicht Gewalt oder Kampf. Ich setze nur Mittel ein – das kann auch eine geschickte Gesprächsführung sein –, um die Erfüllung meiner Bedürfnisse durchzusetzen.

      Karl Rahner, einer der bedeutendsten katholischen Theologen des 20. Jahrhunderts, definiert Macht anders. Seiner Ansicht nach besteht Macht in der aktiven »Möglichkeit, von sich aus und ohne vorhergehende Zustimmung des anderen in die realen Zustände dieses anderen verändernd einzugreifen« (Rahner, 485). Die Mittel für diese Veränderung können vielfältig sein. Daher ist es legitim und sinnvoll, »von einer Macht des Wissens und der Lehre, des Bekenntnisses, der Liebe, der Tapferkeit, des Gebetes und so weiter zu sprechen« (Rahner, 486).

      Auch meine Liebe kann also in die Situation des anderen eingreifen und sie ändern. Gegenüber dieser allgemeinen Definition spricht Rahner dann auf der anderen Seite von der physischen Macht, »die von sich aus, ungefragt, auch gegen Widerspruch, verändernd und unter Umständen verengend eingreift in die Sphäre des anderen, ohne durch die Zustimmung der Freiheit des anderen wie durch einen Filter hindurchgegangen zu sein« (Rahner, 491). Diese Macht nennt Rahner »Gabe und Aufgabe Gottes«. Er ist sich bewusst, dass diese Art von Macht missbraucht werden kann. Aber sie gehört wesentlich zum Menschen, denn er lebt im gleichen Freiheitsraum. Darüber hinaus muss uns klar sein: Mit unserem freien Handeln engen wir immer schon den Freiheitsraum des anderen ein oder verändern ihn.

      Romano Guardini, ein wesentlicher Vertreter der katholischen Jugendbewegung und ebenfalls wichtiger Theologe des 20. Jahrhunderts, hat ein eigenes kleines Buch über die Macht geschrieben. Darin unterscheidet er die Macht des Menschen von der Kraft des Tieres. Er schreibt: »Von Macht im eigentlichen Sinne dürfen wir also nur sprechen, wenn zwei Elemente gegeben sind: Einmal reale Energien, die an der Wirklichkeit der Dinge Veränderungen hervorbringen, ihre Zustände und wechselseitigen Beziehungen bestimmen können. Dazu aber ein Bewusstsein, das ihrer inne ist; ein Wille, der Ziele setzt; ein Vermögen, welches die Kräfte auf dieses Ziel hin in Bewegung bringt« (Guardini, 102).

      Der Mensch übt nach seiner Ansicht also bei allem, was er tut, Macht aus: »Der Mensch kann nicht Mensch sein und außerdem Macht üben oder es auch nicht tun; sondern sie zu üben, ist ihm wesentlich« (Guardini, 112). Aber er muss diese Macht mit einem Sinn verbinden. Dieser Sinn der Macht besteht nach Guardini darin, das, was Gott in seiner Freiheit als Natur geschaffen hat, »im Raum der endlichen Freiheit als Geschichte und Kultur fortzuführen«. Der Mensch soll also »nicht autonom seine Eigenwelt aufrichten, sondern die Welt Gottes nach dessen Willen als menschliche Freiheitswelt vollenden« (Guardini, 113).

      Ähnlich wie Romano Guardini und Karl Rahner hat auch der ehemalige Benediktinermönch und evangelische Theologe Fulbert Steffensky die Macht als eine wesentliche Eigenschaft des Menschen bezeichnet. Sie ist zunächst etwas Gutes. Steffensky schreibt: »Wer das Leben liebt, wer das Recht will, muss Macht wollen. Er muss es wünschen, mit dem Leben umzugehen. Man kann sich im eigenen Leben nicht auskennen und man kann dem fremden Leben nicht dienen, wenn man in der Ohnmacht verharrt. Es gibt eine Lebensfaulheit, die sich vor dem Handeln drückt und sich damit selbst die Lebenszuversicht untergräbt« (Steffensky, 254).

      Er ist kritisch gegenüber dem »Lob einer vornehmen Ohnmacht, in der man nie schmutzig und schuldig wird, weil man sich von allen Handlungen dispensiert und der Welt ihren Lauf lässt« (Steffensky, 254). Er sieht dieses »Lob der Ohnmacht« vor allem in christlichen Kreisen lebendig, in denen man sich mit der Macht die Hände nicht schmutzig machen möchte, aber dadurch auch wirkungslos wird in der Welt. Doch der Mensch hat den Auftrag, in diese Welt hinein zu wirken, »die Wahrheit Gottes in dieser Welt voranzutreiben« (Steffensky, 254).

      Natürlich weiß Steffensky auch um die Versuchung und um die Verfälschung der Macht und sieht sie vor allem darin, »sich des Lebens zu bemächtigen – der Menschen, der Tiere, der Bäume, der Erde – und ihnen nur noch als große Jagdherren gegenüberzutreten« (Steffensky, 255). Die Gefahr besteht darin, über alles herrschen zu wollen. Alles wird nur verzweckt, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Doch gegenüber all dieser Verfälschung der Macht kann Steffensky schreiben: »Wer liebt, handelt. Wer liebt, will Macht« (Steffensky, 254).


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