Der Bund der Rothaarigen. Arthur Conan Doyle

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Der Bund der Rothaarigen - Arthur Conan Doyle


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ich in der Bakerstraße, aber Holmes war noch nicht heimgekehrt. Die Wirtin erzählte mir, er wäre kurz vor acht Uhr morgens fortgegangen. Ich setzte mich mit der festen Absicht an den Kamin, ihn unter allen Umständen zu erwarten. Der vorliegende Fall erregte mein höchstes Interesse, und wenn er auch nicht den schrecklichen, seltsamen Charakter trug, wie die beiden Verbrechen, die ich schon früher aufzeichnete, so gab ihm doch die Natur der Sache und die erlauchte Persönlichkeit des Klienten ein ganz eigenartiges Gepräge. Nebenbei gewährte es mir stets aufs neue ein Vergnügen, die klare, schlagende Logik meines Freundes zu beobachten und den meisterhaften Griff, mit dem er eine Situation erfaßte. Ich war an das beständige Gelingen seiner Aufgaben so gewöhnt, daß mir die Möglichkeit eines Mißerfolges überhaupt nie in den Sinn kam. Kurz vor vier Uhr wurde die Tür von einem angetrunken aussehenden Reitknecht mit schlechtgekämmtem Haar und Backenbart geöffnet, das gerötete Gesicht und die nachlässige Kleidung machten entschieden einen heruntergekommenen Eindruck. Trotzdem ich die auffallende Geschicklichkeit meines Freundes in Verkleidungen kannte, dauerte es doch geraume Zeit, bis ich sicher war, ihn vor mir zu haben. Mit einem leichten Kopfnicken verschwand er im Schlafzimmer und erschien nach fünf Minuten elegant gekleidet und tadellos wie immer. Die Hände in den Taschen streckte er sich behaglich vor dem Kamin aus und fing herzlich an zu lachen.

      »Das ist wirklich gut«, rief er und brach wieder in sein anhaltendes Lachen aus, bis er atemlos und erschöpft innehalten mußte.

      »Was ist denn los?«

      »Es ist zu komisch. Du errätst sicher nicht, womit ich mich heute beschäftigt habe, und wie ich meine Tätigkeit beschloß.«

      »Keine Ahnung. Vermutlich hast du Haus und Gewohnheiten von Fräulein Irene beobachtet?«

      »Ganz recht, und ich habe allerlei Merkwürdiges erlebt. Laß dir erzählen. Ich verließ also als stellenloser Knecht heute früh meine Wohnung. Ich sage dir unter diesen Pferdemenschen herrscht eine wunderbare Kameradschaft. Gehöre zu ihnen, und du erfährst alles, was du wissen willst. Ich fand denn auch bald die Wohnung. Die zweistöckige Villa ist wirklich ein bijou, hinten dehnt sich ein Garten aus, während die Vorderseite des Hauses bis dicht an die Straße grenzt. Rechter Hand befindet sich ein geräumiges, schön ausgestattetes Wohnzimmer, mit großen, fast zum Boden reichenden Fenstern und jenem dummen englischen Fensterverschluß, den jedes Kind öffnen kann. Sonst war nichts Bemerkenswertes zu entdecken, höchstens die Möglichkeit, vom Dach des Kutscherhauses in das Flurfenster zu gelangen. Ich schlenderte die Straße hinab und fand richtig meine Erwartungen nicht getäuscht; in einem Gäßchen, das sich an einer der Gartenmauern entlang zog, lag ein Pferdestall. Ich half den Stallknechten beim Abreiben ihrer Pferde und verdiente damit ein Trinkgeld, ein Glas Bier und so viel Auskunft über Fräulein Adler, als ich nur wünschte. Natürlich mußte ich dafür die Biographien von mindestens zwölf Leuten aus der Nachbarschaft, die mich nicht im geringsten interessierten, mit in Kauf nehmen.«

      »Nun und Irene Adler?« fragte ich.

      »Oh, sie hat allen Männern im ganzen Stadtteil die Köpfe verdreht. Sie ist das entzückendste Geschöpf unter der Sonne, darüber herrscht nur eine Stimme in den Pferdeställen der Serpentine Avenue. Sie lebt sehr zurückgezogen, singt in Konzerten und fährt täglich um fünf Uhr aus, um sieben kehrt sie dann zum Essen zurück. Zu anderer Tageszeit verläßt sie selten das Haus. Sie empfängt nur die häufigen Besuche eines brünetten und auffallend hübschen Herrn. Er kommt täglich ein-, ja auch zweimal und ist ein Herr Godfroy Norton aus dem ›Inner Temple‹. Da siehst du, welch einen Vorteil es bringt, Kutscher zu Vertrauten zu haben! Sie hatten ihn mindestens ein dutzendmal nach Hause gefahren und waren genau über ihn orientiert. Als ihr Redefluß versiegt war, wanderte ich langsam in der Nähe auf und ab und entwarf meinen Feldzugsplan.

      »Dieser Herr Norton war entschieden ein nicht zu unterschätzender Faktor in dieser Angelegenheit. Er ist Jurist, das klang fatal. Welche Beziehungen bestanden zwischen diesen beiden und welchen Grund hatte er zu seinen häufigen Besuchen? War sie seine Klientin, Freundin oder seine Geliebte? Im ersteren Falle hatte sie ihm wahrscheinlich das Bild in Verwahrung gegeben, im letzteren war das weniger zu befürchten. Hiervon hing es aber doch ab, ob ich in der Villa meine Nachforschungen fortsetzen oder das Feld meiner Tätigkeit in die Wohnung des Herrn verlegen mußte. Das war ein sehr knifflicher Punkt und machte die ganze Sache weit verwickelter. Ich fürchte, diese Details langweilen dich, aber zum weiteren Verständnis der Situation sind sie durchaus notwendig.«

      »Ich folge dir sehr aufmerksam«, antwortete ich.

      »Ich war mit der Geschichte noch nicht im klaren, als ein Wagen sich näherte und vor der Villa hielt. Ein auffallend hübscher Mann, mit einer Adlernase in seinem bärtigen Gesicht, sprang heraus, zweifellos derselbe, der mir beschrieben wurde. Er schien große Eile zu haben, befahl dem Fahrer zu warten und eilte an dem öffnenden Mädchen mit der Miene eines Mannes vorüber, der sich völlig zu Hause fühlt. Sein Aufenthalt dauerte ungefähr eine halbe Stunde, ich konnte ihn zuweilen durch das Fenster des Wohnzimmers erblicken, in dem er erregt sprechend und lebhaft gestikulierend auf und nieder schritt. Von ihr war keine Spur zu entdecken. Plötzlich kam er in verstärkter Aufregung wieder heraus. Bevor er einstieg, warf er einen Blick auf seine Uhr. ›Fahren Sie wie der Teufel‹, befahl er, ›zuerst zu Groß und Hankey in Regents Street und dann nach der Kirche St. Monica in Edgeware Road. Eine halbe Guinee, wenn die Fahrt nur sieben Minuten dauert!‹

      »Fort ging es, und ich überlegte eben, ob ich ihnen nicht folgen sollte, als ich einen hübschen, kleinen Viersitzer das Gäßchen heraufkommen sah. Der Fahrer hatte kaum vor der Türe gehalten und war noch nicht damit fertig, die Knöpfe seines Rockes zu schließen, als sie schon eilig aus der Haustür schlüpfte und selbst den Schlag aufriß. ›Nach der Kirche St. Monica, John‹, rief sie, ›und einen halben Sovereign, wenn du in sieben Minuten dort bist‹.

      »Ich sah sie nur ganz flüchtig, doch es genügte, um jede Torheit eines Mannes begreiflich zu finden. – Die Gelegenheit durfte ich mir nicht entgehen lassen, Watson. Glücklicherweise fand ich ein Fahrzeug in der Nähe, das mich aller Zweifel enthob, auf welche Weise ich dasselbe Ziel erreichen konnte. Der Fahrer wußte nicht recht, was er aus seinem schäbigen Fahrgast machen sollte, aber, ehe er noch Zeit zu irgendwelchen Einwendungen fand, saß ich schon im Wagen. ›Ein halber Sovereign, wenn Sie die Kirche von St. Monica in sieben Minuten erreichen!‹ Es fehlen noch zehn und eine halbe Minute an zwölf Uhr, und es lag klar auf der Hand, was vor sich gehen sollte. Mein Wagen fuhr sehr rasch, aber sie waren doch früher zur Stelle. Als ich ankam, hielten die beiden Wagen schon vor der Kirchtür. Ich bezahlte meinen Fahrer und ging schnell hinein. Außer den beiden Gesuchten und einem sehr bestürzt aussehenden Geistlichen, der eifrig auf sie einsprach, war keine Seele weiter dort zu sehen. Alle drei standen in einer dichten Gruppe vor dem Altar. Ich schlenderte mit der Miene eines Müßiggängers, der zufällig in eine Kirche geraten ist, durch das Seitenschiff. Zu meiner großen Überraschung richteten plötzlich die drei ihre Aufmerksamkeit auf mich, und Godfroy Norton schritt rasch auf mich zu.

      »Gott sei Dank«, rief er, »Sie können uns einen sehr großen Dienst erweisen. Kommen Sie schnell, schnell!«

      »Was soll ich denn?« fragte ich.

      »Kommen Sie nur, kommen Sie nur, es fehlen nur noch zwei Minuten, sonst ist die Sache ungültig.«

      »Ich wurde halb zum Altar geschleppt, und bevor ich recht wußte, was geschah, hörte ich mich Antworten murmeln, die in mein Ohr geflüstert wurden, und Dinge bezeugen, von denen ich keine Ahnung hatte, kurzum ich assistierte bei der feierlichen Verbindung von Jungfrau Irene Adler mit dem Junggesellen Godfroy Norton. Im Augenblick war alles vorüber, und dann dankte mir ein Herr rechts und eine Dame links, während mir der Prediger von vorn seine Zufriedenheit ausdrückte. Ich sage dir, ich habe mich nie in einer alberneren Lage befunden, und es war die Erinnerung daran, die mich vorhin so zum Lachen brachte. Mit dem Trauschein hatte es sicher einen Haken, und der Geistliche weigerte sich außerdem ganz entschieden, die Zeremonie ohne Zeugen vorzunehmen. Wäre ich nicht zufällig dort gewesen, so hätte sich der Bräutigam seinen Trauzeugen von der Straße holen müssen. Die Braut schenkte mir einen Sovereign, den ich zum Andenken an meiner Uhrkette tragen werde.«

      »Das ist ja eine sehr unerwartete Wendung«, sagte ich.


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