Friedrich Engels // Im Widerspruch denken. Группа авторов

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Friedrich Engels // Im Widerspruch denken - Группа авторов


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wenn man solch einen Menschen, gebückten Ganges, in einem langen, langen Rock, das Haar auf Pietistenart gescheitelt, über die Straße gehen sieht. Aber wer dies Geschlecht wahrhaft kennen will, der muss in eine pietistische Schmiede- oder Schusterwerkstatt eintreten. Da sitzt der Meister, rechts neben ihm die Bibel, links, wenigstens sehr häufig – der Branntwein. Von Arbeiten ist da nicht viel zu sehen; der Meister liest fast immer in der Bibel, trinkt mitunter eins und stimmt zuweilen mit dem Chore der Gesellen ein geistlich Lied an; aber die Hauptsache ist immer das Verdammen des lieben Nächsten. Man sieht, diese Richtung ist hier dieselbe wie überall. Ihre Bekehrungswut bleibt auch nicht ohne Früchte. Besonders werden viele gottlose Säufer etc. bekehrt, meist auf wunderbare Weise. Aber das hat sich wohl; diese Proselyten sind alle entnervte, geistlosen Menschen, die zu überzeugen eine Kleinigkeit ist; diese bekehren sich, lassen sich jede Woche mehrere Male an Tränen rühren und treiben ihr ehemaliges Leben im Geheimen fort.

       (MEW 1, 413–419)

      SELBSTVERSCHACHERUNG DES MENSCHEN UND DER ERDE

       Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie

       1844

      »Friedrich Engels, mit dem ich seit dem Erscheinen seiner genialen Skizze zur Kritik der ökonomischen Kategorien einen steten schriftlichen Ideenaustausch unterhielt, war auf anderm Wege […] mit mir zu demselben Resultat gelangt …« (MEW 13, 10). Noch im Jahr 1859 spricht Karl Marx in einer kleinen Rechenschaft über seinen bisherigen intellektuellen Werdegang dieser Schrift aus Engels’ Feder solch hohes Lob aus. Tatsächlich waren die »Umrisse« der unmittelbare Anlass für die wohl außergewöhnlichste und fruchtbarste Freundschaft in der abendländischen Geistesgeschichte.

      Nach dem endgültigen Verbot der Rheinischen Zeitung hatte Marx mit Arnold Ruge zusammen in Paris, das heißt außer Reichweite der preußischen Zensur, das ehrgeizige Projekt der Deutsch-Französischen Jahrbücher begründet. Es sollte ein Flop werden. Zunächst gelang es nicht, wie beabsichtigt, prominente französische Autoren dafür zu gewinnen. So mancher zog seine ursprüngliche Zusage wieder zurück, weil er mit den »deutschen Atheisten« nichts zu tun haben mochte. Letztlich erschien nur eine Doppelnummer. Bei der Auslieferung nach Deutschland wurden die meisten Exemplare davon beschlagnahmt, und im österreichischen Herrschaftsgebiet stellte Fürst Metternich den Verkauf in den Buchhandlungen unter Strafe. Gegen Karl Marx wurde ein Haftbefehl ausgesprochen, der vollstreckt worden wäre, sobald er preußischen Boden betreten hätte. Allerdings: Diese eine Doppelnummer hatte es in sich: Sie enthielt zwei äußerst bedeutsame Aufsätze von Karl Marx selbst, nämlich Zur Judenfrage, jener Schrift, in der er die wichtige Unterscheidung zwischen politischer und allgemein menschlicher Emanzipation traf, und Vorwort zur Kritik der Hegel’schen Rechtsphilosophie. Hier begründet Marx die besondere Rolle des Proletariats für die gesellschaftliche Transformation, und auch die klassische Passage zur Religionskritik findet sich in diesem Text (vgl. TS, 53–89). Neben diesen gewichtigen Texten enthielt die Nummer auch jene »geniale Skizze«, durch die Marx erneut – nach einer ersten kurzen Begegnung in Köln – auf Friedrich Engels aufmerksam wurde. Der Stil verrate – so meinen manche Interpreten – die redaktionelle Bearbeitung durch Karl Marx. Andererseits aber könne man Marx’ gesamte spätere Arbeiten zur Ökonomie als den Versuch verstehen, diese frühe Skizze seines Freundes Engels konkret und im Detail auszuarbeiten (Hirsch 1968, 33).

      Tatsächlich können die »Umrisse« in ihrer Bedeutung für das spätere Gesamtwerk von Karl Marx gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Zum ersten Mal wird hier die kapitalistische Produktionsweise als dynamisches System begriffen. Keiner der klassischen Ökonomen vorher hat dies in dieser Weise beschrieben. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln ist die zentrale Kategorie. Aus ihm entspringt das Konkurrenzverhältnis, die Anarchie profitorientierter Einzelkapitalien, aus der sich alle Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaft, ihre periodischen Krisen der Überproduktion und die daraus resultierende Verelendung, ableiten lassen. Einzig die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln selbst kann den Krisen, dem Elend und der Ausbeutung ein Ende setzen. Die Anarchie kapitalistischer Einzelinteressen muss durch eine planmäßig organisierte Produktion ersetzt werden, um die soziale Ungleichheit und vor allem die absurde Situation zu beseitigen, dass gerade der Überfluss an Gütern Elend verursacht. Von diesem Ausgangspunkt her analysiert Engels die zentralen ökonomischen Begriffe wie Arbeitslohn, Wert, Preis, Geld usw. In brillanter Formulierung nimmt er viele Elemente vorweg, die Marx später präzise analysieren sollte. Die begriffliche Erfassung der Arbeitskraft als Ware etwa bereitet der späteren Marx’schen Mehrwerttheorie den Boden. In seiner Beschreibung des bewusstlosen, unkoordinierten Zusammenwirkens der Menschen innerhalb der kapitalistischen Ökonomie klingt bereits der von Marx später sogenannte »Fetischcharakter« an, der für ihn das Hauptcharakteristikum des Kapitalismus überhaupt bildet: Was den Köpfen und Händen der Produzenten selbst entspringt, verselbstständigt sich, verwandelt sich in ein von ihnen unabhängiges, von ihnen nicht mehr kontrollierbares Produkt, dem sie schließlich völlig unterworfen sind (vgl. Kern 2017 b, 109–111).

      Mit diesem Aufsatz also begann die Freundschaft zwischen Marx und Engels, ohne die das Marx’sche Werk nie zustande gekommen wäre.

      … Das achtzehnte Jahrhundert, das Jahrhundert der Revolution, revolutionierte auch die Ökonomie; aber wie alle Revolutionen dieses Jahrhunderts einseitig waren und im Gegensatz steckenblieben, wie dem abstrakten Spiritualismus der abstrakte Materialismus, der Monarchie die Republik, dem göttlichen Recht der soziale Kontrakt entgegengesetzt wurde, so kam auch die ökonomische Revolution nicht über den Gegensatz hinaus. Die Voraussetzungen blieben überall bestehen; der Materialismus griff die christliche Verachtung und Erniedrigung des Menschen nicht an und stellte nur statt des christlichen Gottes die Natur dem Menschen als Absolutes gegenüber; die Politik dachte nicht daran, die Voraussetzungen des Staates an und für sich zu prüfen; die Ökonomie ließ sich nicht einfallen, nach der Berechtigung des Privateigentums zu fragen. Darum war die neue Ökonomie nur ein halber Fortschritt; sie war genötigt, ihre eigenen Voraussetzungen zu verraten und zu verleugnen, Sophistik und Heuchelei zu Hülfe zu nehmen, um die Widersprüche, in die sie sich verwickelte, zu verdecken, um zu den Schlüssen zu kommen, zu denen sie, nicht durch ihre Voraussetzungen, sondern durch den humanen Geist des Jahrhunderts getrieben wurde. So nahm die Ökonomie einen menschenfreundlichen Charakter an; sie entzog ihre Gunst den Produzenten und wandte sie den Konsumenten zu; sie affektierte einen heiligen Abscheu gegen die blutigen Schrecken des Merkantilsystems und erklärte den Handel für ein Band der Freundschaft und Einigung zwischen Nationen wie zwischen Individuen. Es war alles lauter Pracht und Herrlichkeit – aber die Voraussetzungen machten sich bald genug wieder geltend und erzeugten im Gegensatz zu dieser gleißenden Philanthropie die Malthus’sche Bevölkerungstheorie, das raueste barbarischste System, das je existierte, ein System der Verzweiflung, das alle jene schönen Redensarten von Menschenliebe und Weltbürgertum zu Boden schlug; sie erzeugten und hoben das Fabriksystem und die moderne Sklaverei, die der alten nichts nachgibt an Unmenschlichkeit und Grausamkeit. Die neue Ökonomie, das auf Adam Smiths »Wealth of Nations« gegründete System der Handelsfreiheit, erweist sich als dieselbe Heuchelei, Inkonsequenz und Unsittlichkeit, die jetzt auf allen Gebieten der freien Menschlichkeit gegenübersteht. […]

      Der einzige positive Fortschritt, den die liberale Ökonomie gemacht hat, ist die Entwicklung der Gesetze des Privateigentums. Diese sind allerdings in ihr enthalten, wenn auch noch nicht bis zur letzten Konsequenz entwickelt und klar ausgesprochen. Hieraus folgt, dass in allen Punkten, wo es auf die Entscheidung über die kürzeste Manier, reich zu werden, ankommt, also in allen strikt ökonomischen Kontroversen, die Verteidiger der Handelsfreiheit das Recht auf ihrer Seite haben. Wohlverstanden – in Kontroversen mit den Monopolisten, nicht mit den Gegnern des Privateigentums, denn dass diese imstande sind, in ökonomischen Fragen auch ökonomisch richtiger zu entscheiden, haben die englischen Sozialisten längst praktisch und theoretisch bewiesen. […]

      Die Wissenschaft sollte unter den jetzigen Verhältnissen Privatökonomie heißen, denn ihre öffentlichen Beziehungen sind nur um des Privateigentums willen da. […]

      Smith hatte recht, wenn er den Handel als human pries.


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