Die Löwenskölds. Selma Lagerlöf

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Die Löwenskölds - Selma Lagerlöf


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einen guten Posten zu verscherzen. Deshalb machte sie einen Knicks vor der Baronin, dankte für die Warnung und versicherte, sie würde sich gewiss nicht ins Bockshorn jagen lassen.

      »Ja, wir begreifen selbst ganz und gar nicht, warum er hier umgeht«, fuhr die Hausfrau fort. »Meine Töchter meinen, er sehe dem Vater meines Mannes ähnlich, dem General Löwensköld, den die Jungfer dort auf dem Gemälde sieht, und sie nennen die Erscheinung darum den General. Aber die Jungfer wird begreifen, dass niemand damit sagen will, es sei der General selbst, der hier spukt – denn der soll ein ganz vorzüglicher Mann gewesen sein. Wir alle begreifen nichts von der ganzen Sache. Und falls die Dienstboten nun mit irgendwelchen Anspielungen daherkommen sollten, dann hoffe ich, dass Sie, Jungfer Spaak, Verstand genug hat, sich nicht darauf einzulassen.«

      Jungfer Spaak verneigte sich noch einmal und versicherte, sie lasse sich mit den Dienstboten niemals auf irgendeinen Klatsch über die Herrschaften ein, und damit war die Audienz zu Ende.

      Die Jungfer war allerdings bloß eine arme Haushälterin; da sie aber besserer Leute Kind war, durfte sie wie der Inspektor und die Erzieherin mit am Herrschaftstisch essen. Sie war übrigens ordentlich und hübsch, hatte eine kleine zarte Gestalt, helles Haar und rosenrote Wangen, und so war sie durchaus keine Unzier für den Herrschaftstisch. Alle fanden in ihr ein herzensgutes Geschöpf, das sich auf jede Weise nützlich zu machen verstand; und so war sie auch allgemein beliebt.

      Sie merkte auch bald, dass dieser ihr von der Baronin mitgeteilte Spuk der beständige Gesprächsstoff bei den Mahlzeiten war. Bald war es eines der jungen Fräulein, bald die Erzieherin, die erklärte: »Heut hab ich den General gesehen«, wie wenn das etwas wäre, worauf man Wert legte und dessen man sich rühmte.

      Kaum ein Tag verging, ohne dass jemand sie fragte, ob sie das Gespenst noch nicht gesehen habe, und da sie immerfort mit einem Nein antworten musste, merkte sie allmählich, dass dies eine gewisse Geringschätzung verursachte. Es war, als sei sie weniger als die Erzieherin und der Inspektor, die beide den General schon unzählige Male gesehen hatten.

      Jungfer Spaak hatte es allerdings noch nie erlebt, dass man sich einem Gespenst gegenüber so ungezwungen benahm, und vom ersten Augenblick an hatte sie das Gefühl, dies werde eines Tages ein Ende mit Schrecken nehmen. Sie sagte sich, wenn die Erscheinung, die sich zeigte, wirklich ein Wesen aus einer andern Welt wäre, müsste es sicher ein unseliger Geist sein, der von den Lebenden Hilfe brauche, um Ruhe in seinem Grabe zu finden. Sie gehörte zu den tatkräftigen Naturen, und wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte man ernstliche Nachforschungen angestellt, um der Sache auf den Grund zu kommen, anstatt sie als einen Gesprächsstoff beim Mittagsmahl zu verwenden.

      Die Jungfer aber wusste, was ihre Stellung verlangte, und ein tadelndes Wort über das Betragen der Herrschaft konnte nie über ihre Lippen kommen. Für ihre eigene Person hütete sie sich wohl, an den Scherzen über das Gespenst teilzunehmen, und ihre schlimmen Ahnungen behielt sie für sich.

      Jungfer Spaak war schon einen ganzen Monat auf Hedeby, ehe sie das Gespenst zu Gesicht bekam. Eines Vormittags jedoch, als sie auf dem Bodenraum gewesen war, um Weißzeug für die Wäsche zu zählen, begegnete ihr plötzlich auf der Treppe ein Mann, der rasch zur Seite trat, um sie vorbeizulassen. Es war mitten am hellen Tag, und sie dachte ganz und gar nicht an Geisterspuk. Sie fragte sich nur, was so ein fremder Mann wohl auf dem Bodenraum zu tun haben könne, und drehte sich um, ihn nach seinem Auftrag zu fragen. Auf der ganzen Treppe aber war kein Mann zu sehen; die Jungfer eilte hastig wieder die Treppe hinauf, schaute in den Bodenraum hinein, untersuchte alle dunklen Winkel, ganz bereit, einen Dieb festzunehmen. Da sie aber nirgends ein menschliches Wesen entdeckte, wurde ihr plötzlich klar, wie alles zusammenhing.

      »Wie dumm ich doch bin«, rief sie, »diese Erscheinung war natürlich niemand anders als der General!«

      Ja, gewiss! Ja, gewiss! Der Mann hatte ja einen blauen Rock angehabt und ebenso ungeheure Stulpstiefel wie der General auf dem Bild. Das Gesicht hatte sie nicht deutlich erkennen können, es hatte etwas Graues gehabt, etwas wie eine Art Nebel über den Zügen.

      Jungfer Spaak blieb eine gute Weile auf dem Bodenraum, um sich wieder zu fassen. Ihre Zähne schlugen aufeinander, und ihre Beine wollten sie nicht recht tragen. Wenn sie nicht an das Mittagessen zu denken gehabt hätte, wäre sie die Bodentreppe nicht mehr hinuntergekommen. Sie beschloss auch gleich, was sie gesehen hatte, für sich zu behalten, und sich nicht von den andern damit necken zu lassen.

      Sie konnte den General aber nicht aus ihren Gedanken verbannen, und man musste ihr doch etwas Sonderbares angesehen haben; denn man hatte sich kaum am Mittagstisch niedergelassen, als auch schon der neunzehnjährige Sohn des Hauses, der eben von Uppsala zu den Weihnachtsferien nach Hause gekommen war, sich an sie wendete und sagte: »Heute hat die Jungfer Spaak den General gesehen.«

      Bei dieser plötzlichen Anrede war sie nicht imstande, es zu leugnen. Und mit einem Male war die Jungfer die Hauptperson am Tisch. Alle richteten Fragen an sie, die von ihr jedoch so einsilbig wie möglich beantwortet wurden. Unglücklicherweise konnte sie nicht leugnen, dass sie ein wenig erschrocken war, und das rief allgemeine Heiterkeit hervor: Vor dem General erschrecken! Das konnte doch niemand einfallen!

      Jungfer Spaak hatte indes schon vorher wahrgenommen, dass sich der Herr und die Frau Baronin nie an den Scherzen über den General beteiligten. Sie ließen die andern nur gewähren, ohne sie darin zu stören.

      Und jetzt bemerkte Jungfer Spaak auch noch etwas! Der junge Student nahm die Sache viel ernster als die übrigen jungen Leute.

      »Was mich betrifft«, sagte er, »so beneide ich alle, die den General zu sehen bekommen. Ich möchte ihm gern helfen; aber mir ist er noch nie erschienen.«

      Er sagte dies mit wirklichem Bedauern und mit einem sehr schönen Ausdruck; Jungfer Spaak bat unwillkürlich Gott in ihrem Herzen, er möge ihm diesen seinen Wunsch doch bald erfüllen. Der junge Baron würde sich gewiss des armen Geistes erbarmen und ihm die Ruhe des Grabes wiederschenken.

      In der nächsten Zeit schien Jungfer Spaak mehr als einer von den andern der Gegenstand der Aufmerksamkeit des Geistes zu sein. Sie sah ihn jetzt so oft, dass sie sich beinah an ihn gewöhnte. Es war ein plötzliches augenblickliches Auftauchen, bald auf der Treppe, bald im Flur, bald in einer dunklen Ecke der Küche. Wie aber konnte man den geringsten Anlass für den Spuk ausfindig machen? Jungfer Spaak wurde oft von dem Gedanken verfolgt, dass es vielleicht im Hause etwas gäbe, dem der Geist nachspürte. Da er aber in derselben Sekunde verschwand, wo ein menschliches Auge ihn wahrnahm, konnte sie zu keiner Klarheit kommen.

      Den Aussagen der Baronin zum Trotz merkte Jungfer Spaak wohl, wie sehr die ganze Jugend auf Hedeby fest davon überzeugt war, dass es der alte General Löwensköld war, der im Hause umging.

      »Er ist unglücklich in seinem Grabe«, sagten die jungen Fräulein. »Und es ist ihm wichtig, zu wissen, was wir hier auf Hedeby treiben. Und dies kleine Vergnügen darf man ihm nicht verübeln.«

      Jungfer Spaak, die sich, sooft sie den General gesehen hatte, in die Speisekammer begeben musste, um sich unbehelligt von den Scherzen der Mägde mit zitternden Knien und klappernden Zähnen wieder zu fassen, wäre es viel lieber gewesen, der General hätte sich nicht so sehr für Hedeby interessiert. Die übrige Familie aber hätte ihn recht vermisst, das begriff sie wohl.

      Man saß zum Beispiel einen ganzen Abend lang bei einer Handarbeit. Man spann oder nähte, das Lesen und Vorlesen wurde einem manchmal zu viel, und der Gesprächsstoff ging ebenfalls aus. Da ließ plötzlich eines der Fräulein einen Schrei hören. Sie hatte draußen dicht an der Fensterscheibe ein Gesicht gesehen, nein, eigentlich nur zwei Reihen blinkender Zähne. Dann zündete man rasch eine Laterne an, öffnete die Flurtür, alle weiblichen Wesen, die Baronin an der Spitze, eilten hinaus, um den Friedensstörer zu finden; aber natürlich konnte man nichts entdecken. Man ging wieder hinein, verschloss die Fensterläden, zuckte die Schultern und sagte, es sei wohl niemand anders als der General gewesen. Indessen aber war man wieder hellwach geworden. Jetzt hatte man etwas, worüber man eifrig reden konnte. Die Spinnräder drehten sich mit neuem Schwung, ein lebhaftes Gespräch kam in Gang. Von einem war die ganze Familie fest überzeugt: Sobald man am Abend den Speisesaal verlassen hatte, nahm der General


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