Die neue Einsamkeit. Diana Kinnert

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Die neue Einsamkeit - Diana Kinnert


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zum Teilen. Isobel und ich brechen die in Backpapier gewickelten Brote, dippen damit in Pasten und Soßen. Franka winkt ab. Sie bestellt einen separaten Teller. Bevor sie zu essen beginnt, legt sie ihr Telefon neben ihrem Besteck ab. Nach einem Griff zur Handtasche landet ein Stapel Visitenkarten auf dem Tisch. Isobel schaut rüber. »Ich muss schnell noch ein paar Mails schreiben«, sagt Franka. Ein schnelles Follow-up auf die Veranstaltung und den Kampagnenstart eben. Die Ägypterin schwebt am Tisch vorbei. Alles in Ordnung, alles gut. Franka sagt: »Hochkarätige Kunden, gut für unser Netzwerk. Solche Mails erledige ich immer gleich, morgen kann ich die Namen und Gesichter den Gesprächen nicht mehr zuordnen.«

      Isobel und Franka, die Tänzerin und die Vermarkterin. Kurz prallen zwei Welten aufeinander. Warum schreibt man Menschen, an die man sich am Morgen nicht mehr erinnert? Isobel schaut Franka an. Franka holt Luft. Ich bestelle noch eine Runde Getränke, Wein, eine Flasche Wasser. Isobel steht auf, sagt: »Ich muss los, zur Arbeit.« Franka versucht zu lächeln. »Ganz viel Spaß.«

      Isobel, die Tänzerin, stapelt auf einmal Münztürme neben Visitenkarten. Kleingeld, das sich häuft. Kupfer, Aluminium, Zink und Zinn. Isobel macht das ganz ruhig und nimmt sich demonstrativ eine Minute Zeit. Dann wirft sie ihren hauchzarten Schal über die Schultern und schreitet von dannen. Franka ignoriert die Türme, tippt ihre Mails.

      Wieder Blick auf das Telefon. Leila fragt, wann wir mit dem Essen beginnen. Ihre Nachrichten kommen in Blöcken, angedeuteten weißen Sprechblasen, manchmal liegen zwei Minuten zwischen den Nachrichten, manchmal fünf Sekunden. Ich habe auf stumm geschaltet. Die nächsten Zeilen von Leila lassen wissen: Ihr Mitbewohner hat gerade gekocht, außerdem vermutet sie, dass die Straßen draußen noch immer verstopft sind. Feierabendverkehr, alles rot. Leila sagt ab. Ein federleichtes Manöver.

      Es ist nach 20 Uhr.

      Ich nehme noch vom Hummus, betrachte das Brot. Franka ist noch bei ihren Karten, ich höre ihre Stimme nicht, als sie kurz etwas über den Tisch zu mir sagt, ohne mich anzuschauen. Leilas Absage verstimmt mich. Ich finde das unzuverlässig, ungehobelt, unkameradschaftlich. Für einen Moment flammt Ärger auf. Ich muss an ein Wort denken: Multioptionsattitüde. Es nervt.

      Betül scheint immer noch auf dem Weg zu sein. Ich klicke ihren geteilten Standort an. Die App lokalisiert sie unweit des Yafo vor einer Weinbar um die Ecke. »Kommst du?«, schreibe ich. »Gleich«, blinkt es binnen Sekunden zurück: »Spontan alten Freund getroffen.« Lange werde ich meinen Unmut nicht mehr verbergen können. Eine Umarmung von hinten reißt mich aus den Gedanken. Shani strahlt mir entgegen, strahlt übers ganze Gesicht.

      »Was ist mit deinem Tisch los?«, fragt sie.

      »Kommen gleich«, sage ich.

      »Dann stelle ich dich schnell zwei Freunden vor.«

      Shani, die Betreiberin, zerrt mich von meinem Platz. Franka schaut kurz auf. Ich entschuldige mich, folge Shani.

      An der Bar stehen zwei junge Männer in Unterhemden. »Schulfreunde aus Tel Aviv«, sagt Shani. Wir begrüßen uns, dann trinken wir eine Runde Schnaps. Was sie nach Berlin verschlagen habe, frage ich die beiden. »Abenteuer, Nachtclubs, Frauen«, sagt einer der zwei, der andere schmunzelt, sieht zu Boden. Die zwei beginnen, Zigaretten zu drehen, werfen sich hebräische Wortfetzen zu. Shani vermittelt mir derweil unauffällig, dass beide verheiratet sind. Sie rollt mit den Augen. Sie sagt drei Worte: Tinder, Bumble, OkCupid.

      Als die beiden Männer zum Rauchen vor die Tür wollen, stolpern Cassandra und Betül rein. Wir gehen aufeinander zu, navigieren zwischen den Tischen hindurch, umarmen uns. »Elisabeth ist auch schon da, sie raucht draußen nur noch schnell eine.« Cassandra sagt das. Es ist 20:15 Uhr. Ich denke: Ephemerkultur, Regime der Leichtigkeit, Scheißdraufzeiten. Wir gehen zu unserem Tisch. Franka, von mir alleingelassen, isst inzwischen mit Gabel und Messer. Elisabeth stiebt jetzt in den Raum, segelt mitten durchs Lokal auf uns zu. Ein Abend unter Freunden, es ist zwanzig nach acht inmitten dieser Zeiten.

      Shani bringt flambierte Aprikosen, Yehonathan wechselt die Musik. Balkanpop. Die beiden stoßen mit uns an. Elisabeth spricht von Kathmandu, liest aus ihrem letzten Chat vor. Betül recherchiert. Der alte Freund von der Weinbar scheint inzwischen in Berlin zu wohnen, vorzeigbare Karriere, Reisemarkierungen im Profil, Szeneprominenz im Freundeskreis. Franka hilft bei der Analyse auf Instagram, so nesteln sie an einem Psychogramm der Pixel, forschen nach der großen offenen Frage. Ob er könnte, wenn sie wollte, ob er würde, falls sie es wagt. Ich überlege: Konditionalherrschaft, Möglichkeitssucht. Der Algorithmus der Sehnsucht. Betül hatte gesagt, sie mochte ihn schon immer, nicht erst vorhin, an diesem heißen Berliner Abend.

      Ich wende mich Cassandra zu. »Wie geht es den Zwillingen?«

      »Schlafen nicht durch«, sagt die taufrische Mutter, stützt den Kopf ab. »Hilft nicht wirklich beim Promovieren.«

      »Das wird schon«, sage ich, ohne zu wissen, wovon ich spreche.

      »Nein, wird es nicht«, sagt Franka. Sie schaltet sich kurz ein, gerade als die Datteln gereicht werden, es folgt ein Impromptu über die Belastungen junger Familien, Franka rät zu devotem Partner und teurer Kinderbetreuung. Cassandra antwortet kaum hörbar. Betül schreit auf. Der alte Freund von der Weinbar will sie noch auf ein Getränk einladen. Drüben, nicht hier. Ihr Mobiltelefon blinkt kurz, dann ein zweites Mal. Es dauert nun noch eine Weile, die Musik im Yafo wird lauter, aber lange dauert es nicht. Der Aufgeregtheit in Betüls Augen ist nichts entgegenzusetzen. »Ich hab sowieso schon gegessen«, sagt sie. Und wie sie das sagt. Leicht, federleicht. Sie nimmt einen weiteren Schluck Wein, während stolpernden Takts die Displays unserer Telefone auf dem Tisch aufleuchten. Dann entlässt die Gruppe Betül. Sie nimmt ihre Tasche, ihre dünne Jacke, geht durch die Tür, weg ist sie.

      Die zwei verheirateten Israelis steuern durchs Lokal, treten an unseren Tisch. Ihre Frage ist international, gehoben. »May we sit with you?« Nun, es ist mehr Ankündigung als Frage. Sie stellen sich meinen Freundinnen vor, reihum. Auf Elisabeth scheinen sie ein Auge geworfen zu haben. Diese geht bald nach draußen, sie müsse telefonieren. Franka sagt, fast krakeelend in die Musik: »Sie ist lesbisch, sie hat eine Freundin.«

      Die Gespräche sind zäh. Cassandra gibt wenig preis, zwischen den Israelis und Franka springt der Funke nicht über. Fuckboys treffen aufstrebende Spießerin. Die Moderation strengt mich an. Mein Telefon vibriert, mein Kumpel Mick ist dran. »Seid ihr noch im Yafo?«, fragt er. »Ich bin mit zwei Freunden unterwegs, wir würden jetzt kommen.« Mir fällt prompt ein: Mick war eigentlich Teil unserer Einladungsrunde. Gast Nummer sieben. Doch der geniale Gründer jettet routiniert um die Welt, ist mal hier, mal da, nirgends für länger. Die Erinnerung an ihn löst sich darum manchmal auf. Mick, der modernste aller modernen Geister. Agil, aber ohne Zuhause.

      Der Abend dreht sich inzwischen. Shani kommt abermals hinzu, entlockt den beiden Israelis hitzig Promotionsthemen, erfolgreiche Kampagnen; Cassandra und Franka ganz Ohr. Elisabeth kommt zurück von ihrer kurzen Raucherpausenamnesie, trinkt sich mit Granatapfel in Hochprozentigem milde. Wie spät ist es? Die Tür geht auf, geht zu, geht auf, nur einen Augenblick später streunt Mick herein, Mick plus zwei, und bald sitzt das halbe Yafo an unserem Tisch. Mick winkt zu den anderen Tischen, die anderen Tische winken herüber, und so geht es ab jetzt kopflos in die Nacht, in dieser Blase, in der alles geht und alle dürfen, in diesem warmen Showroom, in dem alle wollen und doch nicht können.

      Von hinten, scheinbar aus dem Off, werde ich plötzlich angesprochen. Ein Andockmanöver in der beginnenden Nacht. Drei Studenten kennen mich von politischen Berichten, sie wollen reden, plaudern, dieses und jenes erörtern. Sie sind freundlich, interessiert, offen. Ich wechsele die Frequenz, bin im Nu nicht mehr bei meinen Freunden, sondern bei den Studenten, um uns alle herum das dampfende Yafo. In den hintersten Ecken meines Schädels denke ich: Seelenzäune. Absentierungsobsession. Lonely Cowgirls.

      Es ist weit nach Mitternacht, als ich beschließe, nach Hause zu gehen. Die Nacht ist immer noch hellwach, einige sind schon verschwunden, viele werden ihr verhaftet bleiben. Am Tresen werden Drinks gereicht, hinten in den Sesseln liegen Köpfe auf Schultern, Ohrringe blitzen. Als Letztes höre ich noch Yehonathans Stimme, die sagt, dass Nachbarn sich beschwert hätten. Zu laut, zu voll. Viel zu schrecklich laut und vergnügsam ist diese Nacht nahe der Torstraße.


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