Maigret, Lognon und die Gangster. Georges Simenon
Читать онлайн книгу.Kommissar!«
»Glauben Sie etwa schon, dass man Sie verfolgt?«
»Ich bitte um Verzeihung.«
»Ziehen Sie nicht immer die Schultern ein und gucken in die Ecke. Schön! Und jetzt reden Sie mal wie ein Mann.«
Lognon weinte nicht, doch von seinem Schnupfen hatte er feuchte Augen, und es war nervtötend, dass er sich dauernd mit dem Taschentuch ins Gesicht fuhr.
»Also los, ich höre.«
»Es war in der Nacht von Montag auf Dienstag.«
»Sie hatten Dienst?«
»Ja. Es war ungefähr um eins. Ich musste jemand beschatten.«
»Wo?«
»Bei Notre-Dame-de-Lorette, direkt vor dem Gitter der Kirche, Ecke Rue Fléchier.«
»Sie waren also nicht in Ihrem Gebiet?«
»Auf der Grenze. Die Rue Fléchier ist im dritten Bezirk, aber überwacht habe ich die kleine Bar an der Ecke Rue des Martyrs, und die gehört zu meinem Sektor. Man hatte mir den Tipp gegeben, dass nachts hier manchmal ein Kerl auftaucht und Kokain verkauft. Die Rue Fléchier ist finster, so spät fast immer ganz leer. Ich stand ganz dicht an dem Gitter, das um die Kirche läuft. Plötzlich ist ein Auto um die Ecke Rue de Châteaudun gebogen, hat gebremst und angehalten, keine zehn Meter vor mir.
Die Leute drin haben mich nicht bemerkt. Die Wagentür ging auf, und ein Körper flog auf den Gehsteig; dann ist das Auto weg durch die Rue Saint-Lazare.«
»Haben Sie die Nummer?«
»Ja. Ich bin erst schnell rüber zu dem Körper. Und ich würde fast schwören, der Mann war tot, aber sicher bin ich nicht. Im Dunkeln habe ich mit der Hand seine Brust berührt, und danach war sie ganz nass von warmem Blut.«
Mit gerunzelter Stirn murmelte Maigret:
»Im Tagesbericht stand nichts davon.«
»Ich weiß.«
»Passiert ist das Rue Fléchier, also auf dem Gehsteig im dritten Bezirk?«
»Ja.«
»Wie kommt es, dass …«
»Ich werde es Ihnen sagen. Ich sehe ein, es war ein Fehler von mir. Sie werden mir wohl nicht glauben.«
»Was ist mit dem Mann geschehen?«
»Eben. Das kommt jetzt. Es war kein Streifenpolizist zu sehen. Die kleine Bar hatte offen, kaum hundert Meter weiter. Ich bin hinübergegangen zum Telefonieren.«
»Mit wem?«
»Mit dem Kommissariat vom dritten Bezirk.«
»Und, haben Sie?«
»Ich habe am Tresen nach einem Jeton gefragt. Ich habe automatisch auf die Straße geschaut, da habe ich ein zweites Auto gesehen, es kam aus der Rue Fléchier und bog in die Rue Notre-Dame-de-Lorette. Es hat gehalten, nicht weit von der Stelle, wo ich den Mann liegen gelassen hatte. Ich bin dann raus aus der Bar und wollte die Nummer sehen, aber das Auto war schon zu weit weg.«
»Ein Taxi?«
»Glaube ich nicht. Alles ist sehr schnell gegangen. Ich habe was geahnt. Ich bin zur Kirche gerannt. Der Mann lag nicht mehr da, an dem Gitter.«
»Sie haben keinen Alarm gegeben?«
»Nein.«
»Sie hatten nicht die Idee, die Nummer des ersten Autos durchzusagen, damit die Polizei es vielleicht noch stoppen kann?«
»Ich habe dran gedacht. Aber dann habe ich mir gesagt, die Leute, die so was machen, sind nicht so dumm und fahren noch lange mit demselben Auto herum.«
»Sie haben keinen Bericht geschrieben?«
Maigret hatte verstanden, das war klar. Jahr um Jahr wartete der arme Lognon auf den großen Fall, und der machte ihn dann endlich zum Star. Tatsächlich, man konnte glauben, er ziehe das Unglück geradezu an. Sein Sektor war einer von denen mit den meisten Verbrechen. Doch jedes Mal, wenn etwas geschah, war er entweder nicht im Dienst, oder aus diesem oder jenem Grund nahm die Sonderabteilung die Sache in die Hand.
»Ich weiß sehr gut, das war ein Fehler. Ich habe es fast sofort gemerkt, aber weil ich keinen Alarm gegeben hatte, war es dann schon zu spät.«
»Haben Sie das Auto gefunden?«
»Morgens bin ich rübergegangen zum Präsidium, habe die Listen überprüft und gesehen, das Auto gehört einer Werkstatt an der Porte Maillot. Ich bin hingefahren. Die Werkstatt vermietet Autos ohne Chauffeur pro Tag oder pro Monat.«
»War das Auto zurück?«
»Nein. Jemand hatte es zwei Tage vorher gemietet, für unbestimmte Zeit. Ich habe mir das Formular angeschaut, ein gewisser Bill Larner, amerikanischer Staatsbürger, wohnhaft im Hôtel Wagram, Avenue de Wagram.«
»Haben Sie Larner gefunden?«
»Er hatte das Hotel gegen vier Uhr früh verlassen.«
»Wollen Sie damit sagen, er war bis vier Uhr früh in seinem Zimmer?«
»Ja.«
»Er saß also nicht im Auto?«
»Sicher nicht. Der Nachtportier hat ihn kommen sehen, gegen Mitternacht. Um halb vier erhielt Larner einen Anruf und ist gleich darauf weg.«
»Mit Gepäck?«
»Nein. Er hat im Vorbeigehen gesagt, er wolle zum Bahnhof, einen Freund abholen, und er sei zum Frühstück wieder da.«
»Natürlich ist er nicht zurückgekommen.«
»Nein.«
»Und das Auto?«
»Am Vormittag wurde es gefunden, nicht weit von der Gare du Nord.«
Lognon schnäuzte sich wieder, beobachtete Maigret mit zerknirschtem Blick.
»Es war ein Fehler, ich sag es noch einmal. Heute ist Donnerstag, seit Dienstag versuche ich klarzusehen. Ich war nicht mal zu Hause.«
»Warum nicht?«
»Meine Frau hat Ihnen sicher erzählt, dass sie da waren, Dienstag, kurz nachdem ich weggegangen bin. Das ist ein Zeichen, oder?«
Maigret ließ ihn reden.
»Meiner Meinung nach heißt das, nachdem sie den Mann auf den Gehsteig geworfen haben, haben die mich da gesehen, im Dunkeln. Sicher glaubten sie, ich hätte mir die Autonummer notiert. Ich spreche natürlich von dem ersten Auto, es waren ja zwei. Sie haben es schnell irgendwo stehen lassen. Dann haben sie Bill Larner angerufen und gesagt, man komme ihm durch das Formular der Werkstatt wahrscheinlich rasch auf die Spur.«
Maigret malte beim Zuhören auf seiner Schreibunterlage.
»Und weiter?«
»Ich weiß nicht. Ich habe nur Vermutungen. Die haben sicher alle Zeitungen durchgeblättert und festgestellt, dass keiner die Sache erwähnt.«
»Haben Sie eine Idee, wie die auf Ihre Spur gekommen sind?«
»Ich habe nur eine Erklärung, und das würde beweisen, diese Leute sind hart, das sind Profis. Sie haben sich bei der Werkstatt versteckt und mich gesehen, als ich nachgefragt habe, dann sind sie mir gefolgt. Ich bin zum Essen nach Hause, und als ich wieder gegangen bin, sind sie hinauf in die Wohnung.«
»Weil sie gehofft haben, sie finden da den Mann?«
»Denken Sie das auch?«
»Ich weiß nicht … Warum sind Sie inzwischen nicht mehr nach Hause gegangen?«
»Weil ich glaube, sie überwachen das Gebäude.«
»Angst, Lognon?«
Lognons Wangen wurden so rot wie seine Knollennase.
»Ich