Wilderer. Tom Franklin

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Wilderer - Tom  Franklin


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zu schlagen.

       Als Jeff den Hang heruntergerannt kam, hatte ich schon mit meinem ersten feldmäßigen Aufbrechen begonnen. Es war – und ist nach wie vor – der größte Bock, den jemals irgendwer aus meiner Familie geschossen hat; er wog über 220 Pfund, siebzig Pfund mehr, als ich damals wog.

      Später, als wir den Bock an dem Baum hochzogen, den wir zum Aus-der-Decke-Schlagen benutzten, be­merkte Dad die Löcher in der Seite des Tiers. »Respekt, Jungs«, sagte er, »das war ein guter Schuss.« Mit meinem Messer hatte ich eine Reihe von Einschnitten an den Hinterläufen des Stücks vorgenommen, und Jeff und Dad halfen mir, dem Bock das Fell abzuziehen – ein Geräusch wie von einem Klettverschluss —, sodass der fast lilafarbene Körper darunter zum Vorschein kam.

      Die Nacht war hereingebrochen, und Dad betrachtete mit einer Taschenlampe den Rumpf des Bocks. Er bückte sich, untersuchte ihn eingehender, fuhr mit dem Finger in einen der Messerschlitze. Dann starrte er mich an, bis ich den Blick abwandte.

      »Junge«, sagte er, »ist es das, was ich glaube?«

      Ich gab keine Antwort.

      Er griff nach dem Kopf des Tiers und hob ihn an dem riesigen, beschädigten Geweih mit den acht Enden an, einem Geweih, das so groß war, dass ich zwischen den Stangen mühelos Platz gehabt hätte. Er packte mich im Kreuz und stieß mich gegen meinen toten Bock. Er richtete das Geweih auf meinen Bauch und drückte die Spitzen so kräftig dagegen, dass es wehtat.

      »Weißt du, was ›ausweiden‹ heißt?«, fragte er mich.

      Jetzt, am Blowout, nähert sich mir der Jäger auf der Bockbrücke. Ich rechne damit, dass es einer der Wiggins-Brüder ist, und wieder stehe ich ohne Gewehr da, voller Schuldgefühle und lächerlich, als hielte ich eine Puppe in der Hand. Doch während der Mann, eine Büchse mit Zielfernrohr in der Armbeuge, näher kommt, erkenne ich an seinem teuren Tarnanzug, seinem leuchtend orangefarbenen Hut und seiner Tarnschminke, dass er nicht von hier ist. Die Männer, die in dieser Gegend leben, jagen in Arbeitskleidung, alten Stiefeln und ausgeblich­enen Feldjacken, die von ihren Vätern oder Großvätern auf sie übergegangen sind. Als ich noch jagte, hatte ich immer eine solche Kopfbedeckung in der Tasche, falls ich einem Wildhüter über den Weg liefe, doch die meisten Jäger, die ich in meiner Kindheit und Jugend bewunderte, liefen schlichtweg niemals einem Wildhüter über den Weg. Diese Männer züchten ihre Hunde für die Waschbär- und Eichhörnchenjagd selbst. Die Schäfte ihrer Gewehre sind mit Isolierband umwickelt. Obwohl sie oft außerhalb der Saison oder nachts jagen, essen sie normalerweise, was sie schießen. Ich bewundere sie und verspüre deshalb eine leichte Abneigung gegen diesen Außenseiter.

      »Hallo«, sage ich zu dem Mann, wahrscheinlich einem Anwalt aus Mobile. »Was geschossen?«

      »Verschwinden Sie von hier«, sagt er.

      Ich lege den Kopf schräg. »Wie bitte?«

      »Sie haben mich schon verstanden. Das hier ist Privatbesitz. Sie betreten unbefugt das Gelände unseres Jagdclubs.« Er schwenkt den Gewehrlauf nach rechts in Richtung Wald, als deutete er auf seine Freunde, die mit grün und schwarz bemalten Gesichtern und Zweigen im Haar im Schatten lauern und mit teuren Gewehren auf meinen Kopf zielen.

      Ich spucke aus. Ich sage ihm nicht, dass dieses Land einmal meiner Familie gehört hat, dass ich Rotwild über eben dieses Gleis gezerrt und Stunden auf dieser gottverdammten Brücke zugebracht habe. Stattdessen sage ich: »Die Eisenbahn ist kein Privatgelände.«

      »Von wegen«, sagt er. Und hebt das Gewehr, richtet es auf mich.

      Wir fixieren einander. Bald wird es dunkel, und von der linken Seite des Gleises ertönt das ferne Knurren einer Holzfällersäge. Ich versuche, mich mit den Augen des Jägers zu sehen: meine abgerissenen Jeans, meine Lederjacke und meine Wanderstiefel. Für ihn sehe ich wahrscheinlich wie ein Hippie aus, das Letzte, worauf man hier draußen zu stoßen erwartet.

      Unterdessen wird der Jäger nervös, blickt sich nach dem Wald um. »Ich sage es Ihnen nicht nochmal«, sagt er.

      Die Säge verstummt rasselnd, dann dreht sie wieder hoch.

      »Hören Sie das?«, frage ich. »Das ruiniert Ihnen gründ­licher die Jagd als ich.«

      Ich weiß, ich sollte gehen, doch stattdessen setze ich mich auf das kalte Gleis, wende den Blick von dem Jäger ab und richte ihn auf den Wald. Ich entsinne mich einer Geschichte, die mir mein Vater einmal erzählt hat. Eines Sonntagmorgens war er hier in aller Frühe auf Truthahnjagd. Während er dahinschlich, hörte er eine bebende Stimme, die ihm unheimlich war. Er folgte ihr zwischen den Bäumen hindurch, bis er in der Ferne einen alten schwarzen Prediger sah, der auf einem Baumstumpf stand und seine Predigt probte. In der einen Hand hatte er eine riesige weiße Bibel und in der anderen ein rotes Taschentuch zum Gesichtabwischen. Trotz der nur knapp über null liegenden Temperatur hatte er die Hemdsärmel hochgekrempelt. Dad blieb stehen, und während er der zitternden Stimme des Mannes lauschte, war ihm klar, dass jeder Truthahn im Umkreis von Kilometern fort, dass ihm die Jagd verdorben war. Er konnte genauso gut nach Hause gehen. Als ich ihn fragte, ob er wütend gewesen sei, sagte er, nein, bloß unheimlich sei ihm zumute gewesen.

      Ich drehe mich um und schaue dem Jäger in das be­malte Gesicht. »Haben Sie schon mal Truthähne gejagt?«

      »Scheren Sie sich zum Teufel«, sagt er und geht weg. Er blickt sich nicht um, sondern stiefelt einfach in den Wald hinein. Als er verschwunden ist, stehe ich auf und mache meine Jacke zu. Werfe einen langen letzten Blick auf den Blowout und steige dann vorsichtig die Bö­schung neben dem Gleis hinunter. Ich ducke mich unter den dunkler werdenden Magnolienästen auf der anderen Seite hindurch und mache mich auf den Rückweg zur Holzabfuhrstraße.

      Im Gehen wird mir klar, dass ich nicht der Anwalt mit bemaltem Gesicht, neuem Tarnanzug und schickem Ge­wehr bin, aber ich bin auch nicht der passionierte einheimische Jäger, für den ich mich all die Jahre ausgegeben habe. Wenn ich jetzt hierher, nach Dickinson, zu­rück­kehre, dann als eine Art Fremder – schließlich bin ich von hier weggegangen, habe eine Bildung genossen, etwas von meinem gedehnten Tonfall abgelegt. Ich habe sogar eine Yankee-Frau geheiratet. Und so zurückzukommen, auf der Jagd nach Details für meine Geschichten, fühlt sich ein bisschen so an, als wilderte ich auf Land, das einmal mir gehört hat. Doch ich habe nie das Bedürfnis verloren, von meinem Alabama zu erzählen, es zu zeigen, üppig, grün und voller Tod. Also kehre ich zurück, im Bewusstsein dessen, was ich gelernt habe. Ich komme dorthin zurück, wo das Leben langsam stirbt, und wildere nach Geschichten. Ich wildere, weil ich die Pfade wiederfinden will, solange noch Zeit ist, ehe die letzten Langholzlaster hindurchrumpeln und die alten, dunklen Wege schließlich für immer zerhauen sind.

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