Unheimlich. Ursula Isbel-Dotzler
Читать онлайн книгу.die nach Mottenpulver riechen. Wahrscheinlich hängen sie schon seit zwanzig Jahren da. Meinem Vater gehören sie jedenfalls nicht.“
Auch der Raum neben dem Zimmer mit dem ächzenden Schrank war unbewohnt. Er stand leer bis auf zwei alte Stühle und einen schiefen Tisch.
„Nichts“, sagte Kristin enttäuscht. „Aber vielleicht sollten wir mal die Wände abklopfen, was meinst du? Womöglich gibt’s hier ein Priesterversteck.“
Tatsächlich war das ganze Zimmer mit Holz getäfelt, während im anderen Raum, den wir uns vorher angesehen haten, nur alte Tapeten an den Wänden waren. Trotzdem hatte ich keine Hoffnung, daß wir hier des Rätsels Lösung finden würden.
Kristin gab ihre Klopfversuche auch bald auf. Sie sagte: „Ohne einen richtigen Anhaltspunkt geht das nicht. Wenn nur irgendwo wenigstens eine mickrige Verzierung wäre! In Verzierungen sind immer irgendwelche Knöpfe versteckt, auf die man bloß zu drükken braucht, damit sich die Geheimtüren automatisch öffnen. Das kann man in jedem Abenteuerroman lesen.“
Da die Wandvertäfelung im Pfarrhaus völlig glatt und ohne jeden Zierat war, konnten wir nicht nachprüfen, ob solche Romane mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Falls es hier tatsächlich eine Geheimtür zu einem Wandversteck gab, mußte sie schon höchst geschickt getarnt sein, denn mit bloßem Auge bemerkten wir nirgends auch nur die geringste Besonderheit oder Abweichung.
„Das bringt nichts“, entschied Kristin. „Komm, Frankie, jetzt gehen wir in den Keller!“
Ich hatte überhaupt keine Lust, mir auch noch den Keller anzusehen. Viel lieber wäre ich aus dem Haus gegangen, in den Wald oder nach Lilletorp, irgendwohin. Doch Kristin war wild entschlossen, weiterzusuchen; ich kannte diesen Gesichtsausdruck nur zu gut an ihr.
„Und hinterher sehen wir uns auch noch den Dachboden an“, sagte sie.
Diesmal widersprach ich energisch. „Unsinn!“ erwiderte ich. „Was willst du denn da oben? Die Geräusche, die ich gehört habe, kamen eindeutig von unten.“
„Man kann nicht immer beurteilen, ob Geräusche von oben oder von unten kommen“, sagte Kristin. „Bei uns zu Hause weiß man auch nie, ob die Leute über uns oder unter uns sich streiten, oder ob der Nachbar rechts oder links sein Badewasser einläßt – vor allem nachts nicht.“
Ich gab keine Antwort, obwohl ich keinen Augenblick daran zweifelte, daß die Geräusche wirklich von unten gekommen waren. Gemeinsam gingen wir den Flur zurück; und als wir vor der Hintertür standen, kamen wir plötzlich darauf, daß wir keine Ahnung hatten, wo der Zugang zum Keller war.
„Vielleicht hat das Haus gar keinen Keller“, sagte Kristin. „Nicht alle alten Häuser sind unterkellert.“
Spontan sagte ich: „Es muß einen Keller geben!“ Und ich wunderte mich selbst, mit welcher Sicherheit ich das behauptete.
Kristin sah mich erstaunt an. „Woher weißt du das? Hat mein Vater den Keller mal erwähnt?“
„Nein“, sagte ich. „Ich weiß es auch gar nicht. Es… Es war nur so ein Gefühl.“
Wir suchten fast zehn Minuten lang, bis wir den Zugang zum Keller fanden. Es war eine schmale, unauffällige Tür im Abstellraum, nicht weit von der Küche. Sie war nur mit einem einfachen hölzernen Schnappriegel verschlossen.
Kristin hob den Riegel und öffnete die Tür. Dahinter führte eine Treppe in die Dunkelheit.
„Wo ist der Lichtschalter?“ fragte sie und tastete über die Mauer. „Scheint keiner da zu sein. So was – ein Keller ohne elektrisches Licht!“
Wir sahen uns an. „Wir müssen eine Kerze holen“, sagte Kristin schließlich.
Ich starrte auf die dunklen Stufen. Ein Gefühl tiefen Unbehagens erfüllte mich, so, als sei ich diese Treppe schon einmal hinuntergegangen und als wäre mir hier etwas Schlimmes widerfahren.
Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück. Ich hörte Kristin sagen: „Warte hier auf mich, Frankie. Ich gehe in die Küche. Da habe ich Kerzen auf einem Regal gesehen.“
„Ich komme mit“, erwiderte ich rasch, denn alles in mir sträubte sich, allein bei der Kellertreppe zurückzubleiben. Der Gang in die Küche erschien mir wie ein Aufschub, eine Gnadenfrist.
Doch schon wenige Minuten später waren wir wieder an der Treppe, mit einer Kerze in einem altmodischen Leuchter und einem Päckchen Streichhölzer. Ich hätte Kristin am liebsten gebeten, diese sinnlose Suche aufzugeben oder wenigstens allein in den Keller zu gehen und mich mit all dem zu verschonen, doch ich sagte kein Wort. Wenn sie mich schon für abergläubisch und überängstlich hielt, für feige sollte sie mich nicht auch noch halten.
Mit zusammengebissenen Zähnen stieg ich hinter ihr die Stufen hinunter. Der Kerzenschein huschte flackernd über die rohen Ziegelwände. Ein dumpfer Geruch lag in der Luft, der mich an eine Gruft erinnerte.
„Hier stinkt’s!“ sagte Kristin.
Meine Füße waren wie Blei. Ich spürte ganz deutlich, daß sie sich weigern wollten, weiterzugehen – mein ganzer Körper widersetzte sich, wollte umkehren, weglaufen…
Kristin blieb stehen und hob die Kerze. Ich sah, daß sie vor einer zweiten Tür haltgemacht hatte. Es war eine schwere Holztür mit alten, eisernen Beschlägen. Ein Kreuz war mit roter Farbe auf die Mitte der Tür gemalt.
Mein Blick blieb auf dem Kreuz haften; mein Herz tat ein paar wilde Schläge. Ich konnte es nicht glauben, was ich da im flackernden Schein der Kerze sah: Es war jene Tür, durch die die Frau mit dem Kind verschwunden war – die Tür aus meinem Traum.
11
„Aber Frankie!“ sagte Kristin. „Das kann doch nicht sein! Du hast die Kellertür nie zuvor gesehen und konntest deshalb auch nicht wissen, wie sie aussieht. Wir sind ja vorher noch nie dort unten gewesen; wir wußten nicht einmal genau, ob es hier einen Keller gibt!“
Sie stockte und sah mich an. „Du hast es gewußt“, sagte sie dann.
Wir saßen im Garten des Pfarrhauses im Gras unter einem Baum, die Vögel sangen, die Blätter rauschten sacht im Wind, doch mir war schrecklich elend. Ich zitterte am ganzen Körper.
„Gewußt nicht“, sagte ich schwach. „Es war… es war mehr eine Ahnung, Kristin.“
Sie stöhnte. „Aber das gibt es doch alles gar nicht! Erst glaubst du, daß es im Pfarrhaus echte Gespenster gibt, und dann hast du auch noch Vorahnungen oder Traumgesichte oder wie man das nennt!“
„Ich weiß, es klingt verrückt“, erwiderte ich mit verzweifelter Stimme. „Aber ich kann’s nicht ändern. Ich wollte, es wäre nicht so! Ich habe diese Tür ganz deutlich im Traum gesehen, mit den gleichen Eisenbeschlägen und dem Kreuz darauf. Es war die Tür, durch die die Frau verschwunden ist – die Frau mit dem Kind.“
„Und vorher hast du sie im Traum auf den Stufen sitzen sehen? War das die Kellertreppe? Hast du die Treppe auch wiedererkannt?“
Kristins Stimme war voller Zweifel; natürlich glaubte sie mir nicht. Wie hätte sie mir auch glauben sollen!
„Sie saß auf einer Treppenstufe, ja. Aber es war so finster da – auch im Traum. Genauso finster wie in Wirklichkeit. Nur… wir hatten vorher eine Kerze dabei. Im Traum war kein Licht. Ich habe nur ihren Schatten gesehen – einen dunklen Umriß.“
Kristin sagte: „Herrje, Frankie, das macht mich ganz verrückt! Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich glauben soll. Ich bin richtig durchgedreht.“ Sie fuhr sich mit gespreizten Fingern durchs Haar.
„Was meinst du, wie mir zumute ist?“ erwiderte ich bitter. „Ich möchte am liebsten weglaufen und mich irgendwo verstecken!“
Ich verbarg mein Gesicht in beiden Händen und schloß die Augen. Ja, ich wollte weglaufen, am liebsten vor mir selbst, wenn das nur möglich