Der Stechlin. Theodor Fontane

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Der Stechlin - Theodor Fontane


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Glaskugel, erreichte das Paar die Bank unter dem Pflaumenbaumzweige. Die Schmargendorf hatte schon lange vorher nach zwei grossen, dicht zusammensitzenden Pflaumen hinübergeblickt und sagte, während sie jetzt ihre Hand danach ausstreckte: „Nun wollen wir aber ein Vielliebchen essen, Herr Hauptmann; wo, wie hier, zwei zusammensitzen, da ist immer ein Vielliebchen.“

      „Eine Definition, der ich mich durchaus anschliesse. Aber mein gnädigstes Fräulein, wenn ich vorschlagen dürfte, mit dieser herrlichen Gabe Gottes doch lieber bis zum Dessert zu warten. Das ist ja doch auch die eigentliche Zeit für Vielliebchen.“

      „Nun, wie Sie wollen, Herr Hauptmann. Und ich werde diese zwei bis dahin für uns aufheben. Aber diese dritte hier, die nicht mehr so ganz dazugehört, die werd’ ich essen. Ich esse so gern Pflaumen. Und Sie werden sie mir auch gönnen.“

      „Alles, alles. Eine Welt.“

      Es schien fast, als ob sich Czako noch weiter über dies Pflaumenthema, namentlich auch über die sich darin bergenden Wagnisse, verbreiten wollte, kam aber nicht dazu, weil eben jetzt ein Diener in weissen Baumwollhandschuhen, augenscheinlich eine Gesetzenheitsschöpfung, in der Hoftür sichtbar wurde. Dies war das mit der Domina verabredete Zeichen, dass der Tisch gedeckt sei. Die Schmargendorf, ebenfalls eingeweiht in diese zu raschen Entschlüssen drängende Zeichensprache, bückte sich deshalb, um von einem der Gemüsebeete rasch noch ein grosses Kohlblatt abzubrechen, auf das sie sorglich die beiden rotgetüpfelten Pflaumen legte. Gleich danach aber aufs neue des Hauptmanns Arm nehmend, schritt sie, unter Vorantritt der Domina, auf Hof und Flur und ganz zuletzt auf den Salon zu, der sich inzwischen in manchem Stücke verändert hatte, vor allem darin, dass neben demn Kamin eine zweite Konventualin stand, in dunkler Seide, mit Kopfschleifen und tiefliegenden, starren Kakaduaugen, die in das Wesen aller Dinge einzudringen schienen.

      „Ah, meine Liebste“, sagte die Domina, auf diese zweite Konventualin zuschreitend, „es freut mich herzlich, dass Sie sich, trotz Migräne, noch herausgemacht haben; wir wären sonst ohne dritte Tischdame geblieben. Erlauben Sie mir vorzustellen: Herr von Rex, Herr von Czako . . . Fräulein von Triglaff aus dem Hause Triglaff.“

      Rex und Czako verbeugten sich, während Woldemar, dem sie keine Fremde war, an die Konventualin herantrat, um ein Wort der Begrüssung an sie zu richten. Czako, die Triglaff unwillkürlich musternd, war sofort von einer ihn frappierenden Ähnlichkeit betroffen und flüsterte gleich danach dem sein Monokel wiederholentlich in Angriff nehmenden Rex leise zu: „Krippenstapel, weibliche Linie.“

      Rex nickte.

      Während dieser Vorstellung hatte der im Hintergrunde stehende Diener den oberen und unteren Türriegel mit einer gewissen Ostentation zurückgezogen; einen Augenblick noch, und beide Flügel zu dem neben dem Salon gelegenen Esszimmer taten sich mit einer stillen Feierlichkeit auf.

      „Herr von Rex“, sagte die Domina, „darf ich um Ihren Arm bitten?“

      Im Nu war Rex an ihrer Seite, und gleich danach traten alle drei Paare in den Nebenraum ein, auf dessen gastlicher und nicht ohne Geschick hergerichteter Tafel zwei Blumenvasen und zwei silberne Doppelleuchter standen. Auch der Diener war schon in Aktion; er hatte sich inzwischen am Büfett in Front einer Meissner Suppenterrine aufgestellt, und indem er den Deckel (mit einem abgestossenen Engel obenauf) abnahm, stieg der Wrasen wie Opferrauch in die Höhe.

      8

      Tante Adelheid, wenn sich nichts geradezu Verstimmliches ereignete, War, von alten Zeiten her, eine gute Wirtin und besass neben anderm auch jene Direktoralaugen, die bei Tische soviel bedeuten; aber eine Gabe besass sie nicht, die, das Gespräch, wie’s in einem engsten Zirkel doch sein sollte, zusammenzufassen. So zerfiel denn die kleine Tafelrunde von Anfang an in drei Gruppen, von denen eine, wiewohl nicht absolut schweigsam, doch vorwiegend als Tafelornament wirkte. Dies war die Gruppe Woldemar-Triglaff. Und das konnte nicht wohl anders sein. Die Triglaff, wie sich das bei Kakadugesichtern so häufig findet, verband in sich den Ausdruck höchster Tiefsinnigkeit mit ganz ungewöhnlicher Umnachtung, und ein letzter Rest von Helle, der ihr vielleicht geblieben sein mochte, war ihr durch eine stupende Triglaffvorstellung schliesslich doch auch noch abhanden gekommen. Eine direkte Deszendenz von dem gleichnamigen Wendengotte, etwa wie Czako von Czako, war freilich nicht nachzuweisen, aber doch auch nicht ausgeschlossen, und wenn dergleichen überhaupt vorkommen oder nach stiller Übereinkunft auch nur allgemein angenommen werden konnte, so war nicht abzusehen, warum gerade sie leer ausgehen oder auf solche Möglichkeit verzichten sollte. Dieser hochgespannten, ganz im speziellen sich bewegenden Adelsvorstellung entsprach denn auch das gereizte Gefühl, das sie gegen den Zweig des Hauses Thadden unterhielt, der sich, nach seinem pommerschen Gute Triglaff, Thadden-Triglaff nannte — eine Zubenennung, die ihr, der einzig wirklichen Triglaff, einfach als ein Übergriff oder doch mindestens als eine Beeinträchtigung erschien. Woldemar, der dies alles kannte, war dagegen gefeit und wusste seinerseits seit lange, wie zu verfahren sei, wenn ihm die Triglaff als Tischnachbarin zufiel. Er hatte sich für diesen Fall, der übrigens öfter eintrat, als ihm lieb war, die Namen aller Konventualinnen auswendig gelernt, die während seiner Kinderzeit in Kloster Wutz gelebt hatten und von denen er recht gut wusste, dass sie seit lange tot waren. Er begann aber trotzdem regelmässig seine Fragen so zu stellen, als ob das Dasein dieser längst Abgeschiedenen immer noch einer Möglichkeit unterläge.

      „Da war ja hier früher, mein gnädigstes Fräulein, eine Drachenhausen, Aurelie von Drachenhausen, und übersiedelte dann, wenn ich nicht irre, nach Kloster Zehdenick. Es würde mich lebhaft interessieren, in Erfahrung zu bringen, ob sie noch lebt oder ob sie vielleicht schon tot ist.“

      Die Triglaff nickte.

      Czako, dieses Nicken beobachtend, sprach sich später gegen Rex dahin aus, dass das alles mit der Abstammung der Triglaff ganz natürlich zusammenhänge. „Götzen nicken bloss.“

      Um vieles lebendiger waren Rede und Gegenrede zwischen Tante Adelheid und dem Ministerialassessor, und das Gespräch beider, das nur sittliche Hebungsfragen berührte, hätte durchaus den Charakter einer gemütlichen, aber doch durch Ernst geweihten Synodalplauderei gehabt, wenn sich nicht die Gestalt des Rentmeisters Fix beständig eingedrängt hätte, dieses Dominaprotegés, von dem Rex unter Zurückhaltung seiner wahren Meinung immer aufs neue versicherte, „dass in diesem klösterlichen Beamten eine seltene Verquickung von Prinzipienstrenge mit Geschäftsgenie vorzuliegen scheine“.

      Das waren die zwei Paare, die den linken Flügel beziehungsweise die Mitte des Tisches bildeten. Die beiden Hauptfiguren waren aber doch Czako und die Schmargendorf, die ganz nach rechts hin sassen, in Nähe der dicken Fenstergardinen aus Wollstoff, in deren Falten denn auch vieles glücklicherweise verklang. An die Suppe hatte sich ein Fisch und an diesen ein Linsenpüree mit gebackenem Schinken gereiht, und nun wurden gespickte Rebhuhnflügel in einer pikanten Sosse, die zugleich Küchengeheimnis der Domina war, herumgereicht. Czako, trotzdem er schon dem gebackenen Schinken erheblich zugesprochen hatte, nahm ein zweites Mal auch noch von dem Rebhuhngericht und fühlte das Bedürfnis, dies zu motivieren.

      „Eine gesegnete Gegend, Ihre Grafschaft hier“, begann er. „Aber freilich heuer auch eine gesegnete Jahreszeit. Gestern abend bei Dubslav von Stechlin Krammetsvögelbrüste, heute bei Adelheid von Stechlin Rebhuhnflügel.“

      „Und was ziehen Sie vor?“ fragte die Schmargendorf.

      „Im allgemeinen, mein gnädigstes Fräulein, ist die Frage wohl zugunsten ersterer entschieden. Aber hier und speziell für mich ist doch wohl der Ausnahmefall gegeben.“

      „Warum ein Ausnahmefall?“

      „Sie haben recht, eine solche Frage zu stellen. Und ich antworte, so gut ich kann. Nun denn, in Brust und Flügel . . .“

      „Hihi.“

      „In Brust und Flügel schlummert, wie mir scheinen will, ein grossartiger Gegensatz von hüben und drüben; es gibt nichts Diesseitigeres als Brust, und es gibt nichts Jenseitigeres als Flügel. Der Flügel trägt uns, erhebt uns. Und deshalb, trotz aller nach der andern Seite hin liegenden Verlockung, möchte ich alles, was Flügel heisst, doch höher stellen.“

      Er hatte dies in einem möglichst gedämpften Tone


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