Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Cyrus gab mich frei; erklärte mich aber für ehrlos. So verdanke ich denn Deinem Vater mein Leben; dennoch konnte ich nicht in Persien bleiben, denn die Ehrlosigkeit lastete zu schwer auf mir. Ein smyrnäisches Schiff brachte mich nach Cypern. Dort nahm ich wieder Kriegsdienste, lernte Griechisch und Aegyptisch, kämpfte gegen Amasis und wurde von Phanes als Kriegsgefangener hierher gebracht. Ich hatte stets als Reiter gedient. Man gesellte mich zu den Sklaven, welche die Pferde des Königs besorgen. Ich zeichnete mich aus und wurde nach sechs Jahren Stallaufseher. Ich habe niemals Deines Vaters und des Dankes, den ich ihm schulde, vergessen; jetzt kommt die Reihe an mich, ihm eine Wohlthat zu erweisen.«
»Es handelt sich um meinen Vater? – So sprich, rede, theile mit!«
»Sogleich. Hat Krösus den Thronerben Psamtik beleidigt?«
»Ich wüßte nicht.«
»Dein Vater ist heut Abend bei Rhodopis zu Naukratis?«
»Woher weißt Du das?«
»Ich hab’ es von ihm selbst gehört, denn ich folgte ihm heute Morgen zur Barke, um mich ihm zu Füßen zu werfen.«
»Hast Du Deinen Zweck erreicht?«
»Ja. Er schenkte mir auch einige gnädige Worte; aber er konnte mich nicht lange hören, denn seine Gefährten hatten schon in dem Schiffe Platz genommen, als er kam. In der Eile sagte mir sein Sklave Sandon, den ich kenne, nur noch, daß es nach Naukratis ginge und daß das hellenische Weib, das sie Rhodopis nennen, einen Besuch erhalten solle.«
»Er sagte die Wahrheit.«
»So ist schnelle Rettung nöthig. Als der Markt voll war203, sind zehn Wagen und zwei Barken mit äthiopischen Kriegern unter Führung eines ägyptischen Hauptmanns heimlich nach Naukratis gefahren, um in der Nacht das Haus der Rhodopis zu umstellen und ihre Gäste gefangen zu nehmen!«
»Ha, Verrath!« rief Gyges.
»Aber was mögen sie Deinem Vater anthun wollen?« fragte Darius. »Sie wissen doch, daß die Rache des Kambyses – –«
»Ich weiß nichts,« wiederholte Bubares, »als daß das Landhaus der Rhodopis, in welchem sich auch Dein Vater befindet, heute Nacht von äthiopischen Kriegern umstellt werden soll. Ich selber habe die Bespannung ihrer Wagen besorgt und wohl vernommen, daß der Fächerträger des Thronerben dem Hauptmanne Pentaur die Worte zurief: ›Halte Ohren und Augen offen, laß das Haus der Rhodopis umstellen, damit er nicht aus der Hinterthür entkomme. Schont sein Leben, wenn es möglich ist, und tödtet ihn nur, wenn er Widerstand leisten sollte. Bringt ihr ihn lebendig nach Sais zurück, so sollt ihr zwanzig Ringe Gold204 erhalten!‹«
»Könnte dieß wirklich meinem Vater gelten?«
»Nimmermehr!« rief Darius.
»Man weiß nicht,« murmelte Bubares, »in diesem Lande ist Alles möglich.«
»Wie lange braucht ein schnelles Roß, um Naukratis zu erreichen?«
»Drei Stunden, wenn es den Lauf aushält und der Nil die Straße nicht zu hoch überfluthet.«
»In zweien bin ich dort!«
»Ich reite mit Dir,« rief Darius.
»Nein, Du mußt mit Zopyrus zu Bartja’s Schutz hier bleiben. Befiehl unsern Dienern, sich bereit zu halten.«
»Aber Gyges –«
»Du bleibst hier und entschuldigst mich bei Amasis. Du sagst, ich, ich könne wegen Kopf- oder Magen- oder Zahnweh das Gelage nicht theilen; hörst Du? Ich reite das nisäische Roß des Bartja; – Du, Bubares, folgst mir auf dem des Darius; Du leihst es mir doch, mein Bruder?«
»Wenn ich zehntausend hätte, sie gehörten Dir.«
»Kennst Du den Weg nach Naukratis, Bubares?«
»Wie meine Augen!«
»So gehe hin, Darius, und befiehl, daß man Dein und Bartja’s Roß bereit halte! Jedes Zaudern ist Verbrechen! Lebe wohl, Darius, vielleicht auf immer! Schütze Bartja! Lebe wohl!«
Achtes Kapitel
Zwei Stunden vor Mitternacht drangen fröhliche Worte und helle Lichtstrahlen aus den offenen Fenstern des Hauses der Rhodopis.
Heute war die Tafel der Greisin zu Ehren des Krösus besonders reich geschmückt.
Auf den Polstern lagen, bekränzt mit Pappelzweigen und Rosen, die uns bekannten Gäste der Rhodopis: Theodorus, Ibykus, Phanes, Aristomachus, der Kaufmann Theopompus von Milet, Krösus und mehrere andere Männer.
»Ja, dieß Aegypten,« sagte Theodorus, der Bildhauer, »kommt mir vor wie ein Mädchen, welches einen goldenen Schuh besitzt, den es, wenn er sie auch schmerzt und drückt, nicht ablegen mag, obgleich schöne, bequeme Sohlen vor ihr stehen, nach denen sie nur zu greifen hätte, um sich auf einmal frei und zwanglos fortbewegen zu können.«
»Du meinst das starre Festhalten der Aegypter an ihren althergebrachten Formen und Gewohnheiten?« fragte Krösus.
»Freilich,« antwortete der Bildhauer. »Noch vor zwei Jahrhunderten war Aegypten unbestreitbar das erste Land der Welt. Seine Kunst und sein Wissen übertrafen Alles, was wir leisten konnten. Wir sahen ihnen die Handgriffe ab, vervollkommneten, gaben den starren Formen Freiheit und Schönheit205, hielten uns an kein bestimmtes Maß, sondern an das Vorbild des Natürlichen, und haben jetzt den Meister weit hinter uns gelassen. Wie war das möglich? – Lediglich dadurch, daß der Lehrer, von unerbittlichen Gesetzen gezwungen, auf dem alten Platze stehen bleiben mußte; wir aber nach Kraft und Lust im weiten Stadium der Kunst fortlaufen durften.«
»Aber wie kann man den Künstler zwingen, seine Bildwerke, welche doch immer Verschiedenes darstellen, gleichmäßig zu gestalten?«
»Das ist in diesem Falle schnell erklärt. Die Aegypter theilen den ganzem menschlichen Körper in 21¼ Theile206 und bemessen hiernach die Verhältnisse der einzelnen Glieder zu einander. An diesen Zahlen halten sie fest und opfern ihnen die höheren Forderungen der Kunst. Ich selber habe dem Amasis, in Gegenwart des ersten ägyptischen Bildhauers, eines Priesters von Theben, die Wette angeboten, meinem Bruder Telekles nach Ephesus zu schreiben, ihm Größe, Verhältniß und Stellung nach ägyptischer Weise anzugeben und mit ihm zusammen eine Bildsäule zu verfertigen, welche wie von einer Hand und aus einem Stücke gearbeitet aussehen muß, obgleich Telekles ihren unteren Theil zu Ephesus ausführen soll, ich aber den oberen Theil zu Sais, unter den Augen des Amasis, herzustellen bereit bin.«
»Und würdest Du Deine Wette gewinnen?«
»Unbedingt. Ich bin schon im Begriffe, dieses Kunststück auszuführen; ein Kunstwerk wird es freilich nicht werden, so wenig, als irgend eine ägyptische Statue diesen hohen Namen verdient.«
»Dennoch sind einzelne Bildwerke, die zum Beispiel, welche Amasis jetzt eben dem Polykrates als Geschenk nach Samos schickt, vortrefflich gearbeitet. Ich sah sogar zu Memphis eine Statue, die an dreitausend Jahre alt sein und einen König darstellen207 soll, der die eine große Pyramide erbaute, und welche in jeder Beziehung meine Bewunderung erregte. Wie sicher ist der ungemein harte Stein bearbeitet, wie sauber ausgeführt ist die Muskulatur, namentlich der Brust, der Beine und Füße, wie verständig zeigt sich überall die Behandlungsweise, wie sicher gezeichnet sind die Umrisse, wie vollkommen erscheint auch bei anderen Statuen die Harmonie der Züge des Angesichts.«
»Ohne Frage.