Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Hingabe für die Liebe bezweifelt werden bei Völkern, die um eines schönen Weibes willen furchtbare Kriege mit bitterer Hartnäckigkeit führen? Die Griechen hatten eine Schmach zu rächen, die Trojaner aber kämpften für den Besitz der Helena, denn die Greise von Ilion sind bereit, »um solchen Weibes willen lange Zeit Leiden zu tragen«1. Und wird nicht endlich die ganze Frage erledigt durch das einzige Gedicht des Theokrit, die Zauberin, welches Rückert uns Deutschen durch seine herrliche Uebersetzung ganz zu eigen machte? Da hockt das arme verlassene Mädchen mit ihrer alten Magd Thestylis am Feuer, über dem in seinem Rade der Wendehalsvogel sitzt, dem die Kraft beiwohnen soll, den treulosen Delphis zurückzuführen. Ein Assyrer hat die Simaitha genug der Zaubermittel gelehrt, und sie versucht sie alle und vergißt keines. Das ferne Brausen des Meeres. das rauchende Feuer, die in der Gasse heulenden Hunde, der gequälte, unruhige Vogel, die alte Magd, das in sich zerrissene Mädchen, die schauervollen Zaubermittel gesellen sich zu einem finsteren Nachtstücke, dessen Wirkung erhöht wird durch den ruhig und kalt vom Himmel glänzenden Mondschein. Nun verläßt die Alte das Mädchen, und Simaitha hält sogleich mit dem Zauber inne und läßt ihre Thränen fließen und hebt ihre Blicke zu Selene, der stillen Vertrauten der Liebenden, dem Monde empor und vertraut ihr Alles, was geschehen: wie sie den schönen Delphis zuerst gesehen, und wie ihr Herz in Liebe für ihn erglühte. Nichts mehr sah sie vom Auszuge der Jünglinge, »noch«, so läßt sie der Dichter klagen:
»noch wie ich nach Hause gekommen,
. . . Wußt’ ich, aber ein Fieber, ein hitziges setzte mir heftig
Zu; zehen Tage nun lag ich zu Bett und zehen der Nächte.
Merke, woher mir die Liebe gekommen ist, hohe Selene!«
Und als Delphis endlich zum ersten Male über ihre Schwelle trat, da überzog sie Frost und Hitze:
»Aber zu reden vermocht’ ich nicht, nicht auch nur so viel als
Lallend reden im Schlaf aufwimmernde Kinder zur Mutter;
Sondern starr wie die Puppe von Wachs war der blühende Leib mir.
Merke, woher mir die Liebe gekommen ist, hohe Selene.«
Woher sie gekommen ist? Daher, woher sie uns heute kommt! Die Liebe der Kreatur zu ihrem Schöpfer, der Menschheit zur Gottheit sind die erhabenen und doch holden Geschenke des Christenthums. Mit seinem Gebote, den Nächsten zu lieben, schuf es den Begriff der Menschenliebe und der Menschheit überhaupt, der den heidnischen Nationen fremd war, die als fernstes Lebensziel nur ihre Heimathstadt und ihr Vaterland kannten. Freilich hat das Christenthum auch auf die Liebe von Mann und Weib verklärend eingewirkt; aber es ist wohl denkbar, daß ein griechisches Herz ebenso zart empfunden und sehnsüchtig geschlagen habe, als ein christliches. Die tiefere Glut der Leidenschaft ist ohnehin den Alten nicht abzusprechen. Fand die Liebe bei den letzteren aber auch ähnlichen Ausdruck wie bei uns? Wer kennt nicht den schönen Rundgesang:
»Liebe, scherze, trink’ und schwärme
Und bekränze Dich mit mir,
Härme Dich, wenn ich mich härme
Und sei wieder froh mit mir!«
Aber kein Dichter unserer Zeit hat ihn gesungen, er entstammt vielmehr der Dichterin Praxilla, die im fünften Jahrhunderte v. Chr. lebte. Hört man es dem folgenden Rückert’schen Liedchen an, daß es eine Nachbildung von Versen ist, die schon vor der Zeit unsrer Erzählung gesungen worden sind:
»O süße Mutter
Ich kann nicht spinnen,
Ich kann nicht sitzen
Im Stübchen innen
Im engen Haus;
Es stockt das Rädchen,
Es reißt das Fädchen:
O, süße Mutter
Ich muß hinaus!«
Ich könnte, wäre mir der Raum nicht so knapp zugemessen, vieles Aehnliche mittheilen. Nur Eins sei mir noch zu sagen gestattet. Bei den Alten wie bei uns gab sich das in sehnsüchtiger Liebe schlagende Herz zu gleicher Zeit wärmer und inniger der Natur hin. Der Mond war und ist der Vertraute der Liebenden, und ich möchte gern eine moderne Dichtung kennen lernen, in der der geheimnißvolle Reiz der Sommernacht und die Zauber, die den quellenerfüllten Garten in der Schlummerzeit umwehen, herrlicher geschildert würde, als in folgenden Versen, wiederum der Sappho, von denen Eichendorff gelernt zu haben scheint, und die uns zwingen langsamer zu athmen »kühl bis an’s Herz hinan«.
»Vor der hellen Scheibe des Mondes bergen
Wieder ihren leuchtenden Glanz die Sterne,
Wenn er voll im silbernen Lichte strahlet
Ueber den Erdenkreis.«
und:
»Es plätschert
Durch die Quittenzweige das heil’ge kühle
Wasser, und beim Beben der Blätter fließet
Schlummer hernieder«2.
Diese Worte glaubte ich denen schuldig zu sein, die eine Liebe wie die der Sappho und des Bartja im Alterthume für unmöglich erklärt halben. Daß so zarte Empfindungen in vorchristlicher Zeit noch weit entschiedener als heute zu den Ausnahmen gezählt werden müssen, ist selbstverständlich. Schließlich gesteh’ ich ein, daß ich doch wohl für das besprochene Paar zu warme Farben verwendet habe. Aber warum durfte ich nicht, als ich poetisch gestaltete, die Freiheit des Dichters für mich in Anspruch nehmen?
Wie wenig ich mir diese Freiheit sonst zu Nutzen machte, das sollen die Anmerkungen am Ende eines jeden Bandes beweisen3. Auch erschienen diese nöthig, theils um dem Leser weniger bekannte Namen und Zustände zu erläutern, theils um den Verfasser, den Gelehrten gegenüber, zu rechtfertigen. Möge sich der Laie nicht von ihnen abschrecken lassen. Der Text ist auch ohne Erklärungen für jeden Gebildeten leicht lesbar.
Jena, den 28. November 1888.
Dr. Georg Ebers.
Vorrede zur vierten Auflage
Zwei und ein halbes Jahr nach dem Erscheinen der dritten ist diese vierte Auflage der ägyptischen Königstochter nothwendig geworden. Hinter mir liegt längst die neue Reise an den Nil, zu der ich mich während der Correctur der dritten Edition vorbereitete, und auf die ich wohl mit besonderer Befriedigung zurücksehen darf. Denn während meines Aufenthaltes in Aegypten 1872–73 ließ mich ein freundliches Ungefähr mancherlei Neues finden und darunter einen Schatz von unvergleichlichem Werthe, das große hieratische Manuscript, welches nunmehr in der Leipziger Universitäts-Bibliothek conservirt wird, das meinen Namen trägt und dessen Veröffentlichung jetzt schon vollendet vorliegt.
Der Papyrus Ebers, die zweitgrößte und am besten erhaltene von allen aus dem gesammten ägyptischen Alterthum bis auf uns gekommenen Handschriften, ist im 16. Jahrhundert v. Chr. geschrieben worden und enthält auf 110 Seiten das auch den alexandrinischen Griechen bekannte hermetische Buch über die Arzneimittel der alten Aegypter. Der Gott Toth (Hermes) wird »der Führer« des Arztes genannt und die verschiedenen Schriften und Traktate, aus denen das Buch zusammengesetzt ist, sind von ihm ausgehende Offenbarungen. Es werden in der ehrwürdigen Rolle Diagnosen gestellt, und Heilmittel gegen die inneren und äußeren Krankheiten der meisten Theile des menschlichen Körpers vorgeschlagen. Neben den verordneten Droguen stehen die Zahlen, nach denen sie mit Gewichten zu wägen und mit Hohlmaßen zu messen sind, und als Begleiter der Recepte finden sich die frommen Sprüche verzeichnet, welche der Arzt bei ihrer Bereitung, und während er sie dem Patienten reichte, herzusagen hatte. In der zweiten Zeile der ersten Seite unserer