Die schönsten Kinderbücher (Illustriert). Гарриет Бичер-Стоу
Читать онлайн книгу.weiß, daß sie die innigste und reinste Liebe verdient, die ein Mann ihr bieten kann, und ich weiß auch, daß ihre zärtliche Hingebung eine nicht gewöhnliche, sondern eine tiefe und dauernde Gegenliebe fordert. Wüßte ich nicht, daß ein verändertes Benehmen desjenigen, den sie liebt, ihr Herz brechen müßte, so würde mir meine Aufgabe nicht so schwierig vorkommen."
"Mutter, hältst du mich denn noch immer für einen Knaben, der sich selbst nicht kennt?"
"Ich glaube, lieber Harry, daß die Jugend viele edle Gefühle hegt, die aber häufig nicht von Dauer sind und ganz schwinden, wenn sie befriedigt sind. Und dann glaube ich, daß ein feuriger, ehrgeiziger, junger Mann, wenn er im Besitze eines Weibes ist, auf deren Namen – wenn auch ohne ihre Schuld – ein Makel haftet, eines Tages die eingegangene Verbindung bereuen dürfte, besonders wenn er eine glänzende Laufbahn erfolgreich eingeschlagen hat, und die Welt seiner Frau und ihm den Makel zum Vorwurf und Gegenstand ihres Spottes macht."
"Mutter, nur ein erbärmlicher Egoist könnte so handeln!"
"So denkst du jetzt, Harry!"
"Und werde immer so denken. Die Herzensnot, welche ich während der beiden letzten Tage erlitten habe, ringt mir das Geständnis einer Liebe ab, die, wie du wohl weißt, nicht von gestern stammt und nicht leichtfertig und vorübergehend ist. An Rosa, dem süßen, holden Mädchen hängt mein Herz so innig, wie nur je das Herz eines Mannes an dem eines Weibes. Ich habe keine Gedanken, keine Zukunft, keine Lebenshoffnung außer ihr; und wenn du mir zu diesem heißersehnten Ziele in den Weg trittst, so zerstörst du mein Glück für immer. Mutter, denke besser von mir und überlege noch einmal, verkenne die heiße Liebe nicht, die du so gering anzuschlagen scheinst!"
"Harry, weil ich so hoch von edlen und gefühlvollen Herzen denke, möchte ich ihnen Enttäuschungen und Wunden ersparen. Doch wir haben jetzt genug und übergenug von der Sache gesprochen."
"So laß Rosa entscheiden. Du wirst mir doch mit deinen überstrengen Ansichten nicht Hindernisse in den Weg legen?"
"Gewiß nicht, aber ich möchte, daß du gut überlegst."
"Ich habe überlegt – jahrelang – seit ich überhaupt zu denken und überlegen fähig war. Meine Gefühle sind unverändert geblieben und werden es auch bleiben. Und warum soll ich die Qual des Aufschiebens erdulden, ohne daß es einen vernünftigen Sinn hat. Nein, Rosa muß mich anhören, ehe ich wieder abreise."
"Sie soll es!"
"Du sprichst in einer Weise, Mutter, als ob du andeuten wolltest, daß sie mich kalt anhören wird."
"Gewiß nicht kalt, weit entfernt davon."
"Sie liebt doch keinen anderen?"
"Nein, ich müßte mich sehr täuschen, wenn du nicht bereits einen tiefen Eindruck auf sie gemacht hast. – Ich wollte dir aber noch das eine sagen, ehe du dein Schicksal herausforderst, das dich auf den Gipfel des Glückes tragen soll – denke, lieber Harry, einige Augenblicke über Rosas Lebensgeschichte nach und erwäge reiflich, welchen Eindruck das Bewußtsein ihrer zweifelhaften Herkunft auf ihre Entscheidung üben muß. Ziehe dabei ihr edles, aufopferndes Herz in Betracht, wie sie es bei allen Gelegenheiten gezeigt hat."
"Was willst du damit sagen?"
"Das mußt du selbst herausfinden. – Doch ich muß jetzt zu Rosa zurück!"
"Ich sehe dich doch heute abend noch?"
"Wenn ich von Rosa abkommen kann!"
"Wirst du ihr sagen, daß ich hier bin?"
»Natürlich!"
"Und ihr sagen, welche Angst ich um sie ausgestanden hätte, und wie ich mich sehne, sie zu sehen? Das kannst du mir nicht abschlagen, Mutter?"
"Nein, ich will's ihr sagen."
Die alte Dame drückte ihrem Sohne zärtlich die Hand und eilte aus dem Zimmer.
Während dieses flüchtigen Gespräches standen Herr Losberne und Oliver an der anderen Seite des Gemachs.
Der Doktor begrüßte jetzt Harry durch Handschlag und erstattete ihm einen ausführlichen Bericht über die Krankheit und das Befinden der Patientin. Herr Giles, der sich an dem Gepäck zu schaffen machte, hörte gespannt zu.
"Haben Sie in der letzten Zeit nichts Besonderes geschossen, Giles?" fragte der Doktor, nachdem er Harry alles erzählt hatte.
"Nein, Herr Doktor, nichts Besonderes", erwiderte Giles und wurde bis über die Ohren rot.
"Auch keine Einbrecher gefangen oder Diebe erwischt?" fuhr Herr Losberne boshaft fort.
"Keins von beiden", versetzte Giles mit vieler Würde.
"Nun, das tut mir leid; in derartigen Dingen besitzen Sie doch eine große Geschicklichkeit. Was macht denn Brittles?"
"Dem Jungen geht's gut und läßt sich Ihnen gehorsamst empfehlen, Herr Doktor."
"Danke. übrigens, da fällt mir ein, daß ich Ihnen noch etwas von Ihrer Herrschaft zu bestellen habe, was ich am Tage, als ich so schnell fort mußte, nicht mehr ausführen konnte. Kommen Sie mal bitte mit mir in jene Ecke!"
Herr Giles begab sich mit dem Doktor dahin und nach einem kurzen Geflüster ging er unter vielen Verbeugungen aus dem Zimmer. Der Gegenstand des Gespräches wurde im Zimmer weiter nicht erörtert, aber ohne Verzug in der Küche ausposaunt. Denn Herr Giles begab sich sofort dahin, ließ sich ein Glas Bier geben und verkündete mit großer Feierlichkeit, die ihren Eindruck nicht verfehlte, daß es der gnädigen Frau gefallen habe, die Summe von fünfundzwanzig Pfund für ihn bei der städtischem Sparkasse einzuzahlen. Als Anerkennung für sein mutiges Benehmen bei dem Einbruch. Auf diese Mitteilung erhoben die Köchin und das Dienstmädchen Augen und Hände und meinten, Herr Giles werde wohl nun anfangen, mächtig stolz zu werden, worauf dieser, an seiner Halsschleife zupfend, erwiderte, das sei ausgeschlossen. Er würde ihnen danken, wenn sie ihn dann darauf aufmerksam machten, falls er sich einmal hochmütig gegen Untergebene gäbe.
Oben verging der Abend in heiterster Stimmung, denn Herr Losberne war äußerst gut gelaunt; und wie ermüdet und nachdenklich Harry Maylie auch anfangs sein mochte, so konnte er doch dem Humor des Doktors nicht widerstehen. Dieser gab eine Anzahl von lustigen Erlebnissen aus seiner Praxis zum besten, und Oliver glaubte, nie etwas Drolligeres gehört zu haben. So mußte er zur großen Freude des Doktors fortwährend lachen, und dieser lachte mit. Da Lachen ansteckend wirkt, so stimmte schließlich auch Harry in das allgemeine Gelächter ein. Kurz, die Gesellschaft war so vergnügt, als sie den Umständen nach sein konnte. Es war bereits spät, als man sich trennte und zur Ruhe ging, deren sie alle nach den Aufregungen der letzten Tage so sehr bedurften.
Oliver stand am anderen Morgen viel fröhlicher auf und ging mit größerer Lust an seine gewöhnliche Beschäftigung als sonst. Er pflückte die schönsten Blumen des Feldes, um Rosa eine Freude zu bereiten. Die Melancholie, die von ihm Besitz genommen hatte, war wie durch Zauberei verschwunden. Der Tau schien ihm blendender im Grase zu funkeln und der Himmel im herrlicheren Blau zu leuchten. Solchen Einfluß übt unsere Stimmung auf Außendinge. Die Menschen, die in der Natur und an ihren Nächsten alles trübe und düster sehen, haben recht; aber diese dunklen Farben sind nur der Widerschein ihrer kranken Seele.
Oliver brauchte seine Morgenspaziergänge nicht mehr allein zu machen. Nachdem Harry Maylie ihn am ersten Tage mit seiner Ladung hatte heimkehren sehen, faßte der junge Mann eine solche Leidenschaft für Blumen und entwickelte einen so feinen Geschmack in der Anordnung derselben, daß er seinen jungen Freund weit hinter sich ließ. Mochte aber Oliver in dieser Hinsicht im Nachteil sein, so wußte er dafür die Stellen, wo die schönsten zu finden waren. Alle Morgen durchstreiften sie miteinander die Umgegend und brachten stets das Schönste, was auf den Feldern und Wiesen stand, nach Hause.
Die Fenster in Rosas Zimmer wurden jetzt weit geöffnet, denn die duftige Sonnenluft tat der Patientin wohl. In einem Fenster stand jeden Morgen ein frischer Blumenstrauß, und es entging Oliver nicht, daß die welken Blumen nie weggeworfen wurden. Er bemerkte auch, daß der Doktor, wenn er in den Garten kam,