Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May
Читать онлайн книгу.er erfüllt mich sogar mit inniger Freude, mit Entzücken. Aber –«
Sie wartete, daß er fortfahren solle, als er jedoch schwieg, fragte sie in schmeichelndem Tone:
»Soll ich mich mit diesem Aber zufriedengeben?«
»Ist es denn möglich, Sie allein bei mir zu empfangen?«
»Ich soll also die Einzige sein, der Sie Ihr Sesam öffnen?«
»Es giebt allerdings nur eine allereinzige Person, der ich eine Ausnahme gestatte, und diese Person sind Sie.«
»Und Sie meinen, daß ich diese Erlaubniß nicht benützen kann?«
»Die Dehors –«
Da legte sie ihm auch die andere Hand auf die Schulter, neigte sich zu ihm, der auf dem Stuhle saß, nieder und fragte:
»Kennt die Liebe eine Dehors? Nein! Sie hat ihre eigenen Gesetze und denen gehorcht sie, ohne zu fragen, ob sie nach den kalten Regeln der Convenienz handelt. Darf ich kommen?«
Er that, als ob er nur ihrem liebevollen Drängen weiche:
»Ja, Ella.«
»Wann?«
»Wollen Sie das nicht selbst bestimmen?«
»Gut! Heute?«
»Ah, heute bereits?«
Er that, als ob er beinahe erschrocken sei. Sie stieß ein kurzes, goldenes Lachen aus und fragte:
»Sind Sie bereits für anderwärts engagirt?«
»Nein. Ich werde während des ganzen Abends zu Hause sein.«
»Gut, so komme ich!«
»Aber – der Baron!«
»Der Baron? Mein Mann? Pah! Er wird sehen und bemerken, daß ich ausfahre, weiter nichts. Er ist rücksichtslos gegen mich und so bin ich ihm keine Rechenschaft schuldig.«
»So werde ich Sie also erwarten.«
»Aber nicht für kurze Zeit. Ich lasse meinen Wagen wieder zurückgehen. Sie werden die Güte haben, mich dann nach Hause fahren zu lassen. Ich quartiere mich förmlich bei Ihnen ein. Ich muß mich ganz genau bei Ihnen umsehen, um zu wissen, in welche Umgebung ich Sie zu versetzen habe, wenn ich an Sie denke und von Ihnen träume. Ist Ihnen das unangenehm?«
»Wollen Sie mich kränken, gnädige Frau?«
»Gnädige Frau! Wie kalt!«
»Und doch bediene ich mich dieses Ausdruckes mit vollem Rechte. Ich bedarf Ihrer Gnade. Ich werde für einen ganzen Abend dem Eindrucke Ihrer Schönheit vollständig schutzlos preisgegeben sein.«
»Nun, so wird es auf Sie selbst ankommen, ob ich Gnade walten lasse. Für jetzt fühle ich keinen Beruf dazu.«
Er fühlte, daß sie im Begriffe stand, sich inniger an ihn zu schmiegen; darum erhob er sich rasch und trat einen Schritt zurück.
»Ich hoffe doch nicht, daß Sie bereits wieder aufbrechen wollen!« sagte sie, indem ihr Gesicht den Ausdruck der Enttäuschung zeigte.
»Ich bin leider dazu gezwungen. Da ich so glücklich sein werde, Sie den ganzen Abend bei mir zu sehen, muß ich die kurze Zeit bis dahin den Geschäften widmen, welche nöthig sind.«
Er sah, daß sie eine Liebkosung, einen Abschiedskuß erwartete, aber es gelang ihm doch, mit einer bloßen Verbeugung zu entkommen. Hätte er gewußt, daß sie von Seidelmann geküßt worden war, so wäre seine Abscheu gegen sie noch viel größer gewesen. Vielleicht hätte er in diesem Falle sogar auf ihren Besuch verzichtet.
»Welch' schöner Mann!« flüsterte sie, als er fort war. »Ich möchte fast glauben, daß ich ohne ihn nicht zu leben vermag. Ich liebe ihn, ich liebe, liebe, liebe ihn! Ich könnte für ihn Alles, Alles, Alles thun! Ich könnte stehlen, morden – ich könnte sogar meinen Mann, diesen – ah! – verrathen!«
Und er, der Fürst, als er nach der Treppe schritt, schüttelte sich und flüsterte leise:
»Gemeines Weib! Sie besucht mich, des Abends, allein! Ich verachte sie mit jeder Faser meines Herzens; aber ich darf sie nicht von mir weisen, wenn ich siegen will.«
Als er unten einstieg, flüsterte ihm der Diener zu:
»Ein anderes Arrangement mit der Zofe getroffen!«
»Wieso?«
»Wir gehen nicht zum Ball.«
»Schön! Ihr werdet allein sein. Die Baronin besucht mich für den Abend. Das Uebrige nachher!«
Er fand die Familie des Obersten allein. Sie fühlten sich Alle durch seinen Besuch im höchsten Grade geehrt und geschmeichelt. Natürlich war der Einbruch der alleinige Gegenstand des Gespräches. Der Oberst zeigte sich sehr befriedigt, daß man die Rücksicht gehabt hatte, seine Tochter nicht an Gerichtsstelle zu verhören. Der Assessor war selbst gekommen, um ihre Aussage zu Protocoll zu nehmen. Grad als man noch darüber sprach, trat der Diener ein und meldete:
»Herr Assessor von Schubert.«
»Ah, jedenfalls etwas Neues und Wichtiges!« meinte der Oberst. »Der Herr mag eintreten.«
Der junge Untersuchungsrichter folgte der Einladung und wurde dem Fürsten vorgestellt, vor dem er sich respectvoll verbeugte.
»Ich habe sehr um Verzeihung zu bitten, daß ich Zutritt nehme,« sagte er, »zumal es eigentlich nichts Zwingendes ist, was mich dazu veranlaßt. Ich komme, um Ihnen, gnädiger Herr, eine Bitte oder vielmehr zunächst eine Frage vorzutragen.«
»Ich stehe gern zur Verfügung,« antwortete der Oberst.
Und als der Assessor einen halben fragenden Blick auf den Fürsten warf, fuhr der Oberst fort:
»Ist der Gegenstand Ihres Besuches ein Amtsgeheimniß?«
»Allerdings nein.«
»So werden Durchlaucht gestatten, Sie zu hören«
»Gewiß!« antwortete der Genannte. »Ich nehme so aufrichtig Theil an den Schicksalen Ihrer lieben Familie, daß ich mich für dieselben ebenso interessire wie für meine eigenen Angelegenheiten. Natürlich setze ich voraus, daß meine Anwesenheit dem Herrn Assessor nicht störend erscheint.«
»Nicht im Geringsten,« antwortete der Beamte. »Es handelt sich um den angeschuldigten Bertram –«
»Ah!« meinte der Fürst. »Der junge Mann ist der Gegenstand des allgemeinen Stadtgespräches. Man kann sich nicht denken, wie der Riese sich mit ihm verbinden konnte.«
»Das ist auch mir ein Räthsel.«
»Hat er gestanden?«
»Kein Wort. Ich habe überhaupt noch kein Verhör mit ihm vornehmen können. Er liegt entweder in vollständiger Lethargie, oder er phantasirt. Er scheint krank zu sein.«
»Oder zu simuliren!« bemerkte der Oberst.
»Der Untersuchungsrichter ist gezwungen, dies zunächst anzunehmen; in der Folge aber bin ich beinahe zu der festen Ueberzeugung gekommen, daß von einer Verstellung keine Rede ist.«
»Nun, wenn er in Wirklichkeit phantasirt, so läßt sich aus seinen Reden vielleicht auf den Gegenstand der Untersuchung schließen?«
»Nicht im geringsten. Er ruft immer: ›O Nacht, Nacht, Nacht!‹ oder er declamirt Verse.«
»Bekannte Verse?«
»Das eine Gedicht hat die Fee des Meeres zum Gegenstande, und das andere ist die Nacht des Südens aus der Gedichtsammlung des Hadschi Omanah.«
»Sonderbar!«
»Höchst sonderbar! Er scheint körperliche Schmerzen zu leiden. Er hat sein Lager zerstört und zerrissen, vielleicht unter dem Eindrucke dieses Schmerzes. Heut haben wir ihn zur Leiche seines Vaters geführt. Wir glaubten, ihn zum Sprechen zu bringen, aber vergebens. Und morgen