Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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nicht! Wer ist der andere Herr?«

      »O, der zählt jetzt nicht mit! Ich habe ihn in einer Strafproceßsache zu transportiren.«

      »Donnerwetter! Also ein Gefangener! Schöne Gesellschaft!«

      »Ich hoffe, daß Sie Ihre Einwilligung nicht zurücknehmen.«

      »Eigentlich sollte ich! Aber weil ich stets gern ein Mann von Wort bin, so mag es dabei bleihen. Aber Sie nehmen wohl ein geschlossenes Coupee?«

      »Ich muß!«

      »Na, mir auch recht. Wer einmal A gesagt hat, muß auch B sagen; das ist so der Welt Lauf.«

      Als sie später im Coupee beisammen saßen, wünschte sich der Schmied im Stillen Glück. Er hatte erst den Plan gehabt, ein nahes Coupee zu nehmen und während der Fahrt durch das Tunnel mittelst des Trittbrettes in das gegenwärtige zu gelangen. Im Finstern, hatte er gehofft, war der Wachtmeister ja sehr leicht zu übermannen. Jetzt war es ihm leichter gemacht. Er ahnte, daß der Wachtmeister eine heimliche Furcht vor dem Gefangenen habe und daher auf den Gedanken gekommen sei, einen kräftigen Passagier zu sich herein zu laden.

      »Das heißt den Bock zum Gärtner gemacht!« brummte er vergnügt in sich hinein.

      Da der Tag noch nicht angebrochen war, befand sich eine Lampe in dem Wagen, welche einen matten Schimmer um sich warf. Bei diesem unzulänglichen Scheine betrachtete Brandt den Fremden. Die Stimme desselben war ihm so bekannt, so heimathlich vorgekommen, aber er mochte sinnen, wie er wollte, er kam nicht auf die richtige Spur.

      Erst als es Tag geworden war und auch Kleinigkeiten besser gesehen werden konnten, betrachteten sich die drei Passagiere genauer. Der Schmied hatte sich kluger Weise neben den Wachtmeister gesetzt, dessen Auge also nicht für stets auf ihn gerichtet sein konnte. Er sah, daß das Auge des Gefangenen nachdenklich und immer nachdenklicher wurde. Er ahnte, daß er ihm bekannt vorkomme, und beschloß, ihm einen Wink zu geben. Er wartete einen Augenblick ab, an welchem der Wachtmeister sich abgewendet hatte, um zum Fenster hinauszublicken, und sagte, allerdings unhörbar, aber so, daß ihm die langsam construirten Worte von den Lippen gelesen werden konnten:

      »Wolf – der – Schmied!«

      Brandt hatte ihn scharf angesehen und die Worte deutlich von dem Munde des Sprechers weggenommen. War es möglich? Wolf, der Schmied aus Helfenstein? Was für eine Absicht hatte ihn herbei geführt? Der obere Theil des Gesichtes war allerdings demjenigen des Schmiedes ähnlich, aber die andere Hälfte wurde von einem langen, starken Vollbarte verdeckt, während Wolf keinen Bart trug. Auch das Haar dieses Viehhändlers war lang, während der Schmied das seinige ganz kurz abgeschoren zu tragen pflegte.

      Ein Kennzeichen aber gab es doch. Brandt erinnerte sich aus seiner Jugendzeit, daß der Schmied sich einst mit dem großen Schlaghammer auf den Daumen getroffen habe. Der Finger war so verstümmelt gewesen, daß der Nagel verloren ging, ohne durch einen Neuwuchs ersetzt zu werden. Er blickte nach der Hand des Viehhändlers. Ja, dort am rechten Daumen fehlte der Nagel – er war es!

      Warum aber diese Verkleidung? Wollte er ihn retten? Seine Seele jauchzte auf. Er machte einen Versuch, es zu erfahren, indem er an einem unbeobachteten Augenblicke mit dem Kopfe nach dem Fenster nickte. Der Schmied nickte zustimmend und ballte die Faust. Das war genug gesagt.

      Was aber hatte ihn veranlaßt, ein solches Abenteuer zu unternehmen? So fragte sich Brandt. Er hatte wohl öfters davon sprechen hören, daß Wolf vielleicht ein Schmuggler sei. Das aber konnte doch nicht die Veranlassung dazu sein, grad Denjenigen zu befreien, welcher damals die großartige Pascherei gestört und so werthvolle Güter confiscirt hatte.

      Da fuhr der Zug in Brandenau ein. Als er diese Station verließ, setzte sich der Wachtmeister zu Brandt auf die gegenüberliegende Bank.

      »Warum dorthin?« fragte der Schmied.

      »Ich muß neben meinem Gefangenen sitzen, um ihn an der Hand zu haben. Er will entweichen, und wir werden sogleich an das Tunnel kommen. Wollen Sie mir nicht die Gefälligkeit erweisen, sich an seine andere Seite zu setzen?«

      Da stieß der Schmied ein lustiges Lachen aus und antwortete:

      »Haben Sie mich zum Gesellschafter gewählt, damit ich Ihnen helfen soll, den Gefangenen zu bewachen?«

      »Ja. Ich will es eingestehen.«

      »Hm! Aber haben Sie denn für den Fall der Noth gar keine Waffe bei sich?«

      »Nein.«

      »Welch eine Unvorsichtigkeit, dies zu unterlassen und es auch einzugestehen. Sehen Sie, da bin ich vorsichtiger!«

      Er griff in die Tasche und zog ein geladenes Doppelterzerol hervor.

      »Das ist gut! Nun kann er nichts anfangen!« meinte erfreut der Wachtmeister.

      »Ja, das ist wahr! So ein Terzerol ist nicht nur vortrefflich zum Schießen, sondern auch vortrefflich zum Schlagen. Sehen Sie, ungefähr so!«

      Er nahm die Läufe in die Hand und schlug den Kolben dem Beamten, ehe dieser es sich versah, in der Weise gegen die Schläfe, daß der Getroffene sofort besinnungslos in die Ecke des Sitzes sank.

      »So!« sagte er. »Dem ist einstweilen geholfen. Aber vor allen Dingen, bitte, mein Lieber, keinen Namen nennen. Das Erste, was zu thun ist, wir müssen Ihnen diese verdammten Handschellen abnehmen. Der Kerl wird den Schlüssel dazu wohl in der Tasche haben. Suchen wir!«

      Er durchsuchte die Taschen des Besinnungslosen und fand den Schlüssel, der sehr klein war, im Portemonnai. Er nahm den Ersteren und steckte das Letztere unversehrt wieder in die Tasche zurück.

      »Zunächst auch weg mit der Leine! So!« sagte er. »Und nun geben Sie Ihre Hände her!«

      Brandt folgte der Aufforderung und war in einigen Secunden wieder im freien Besitze seiner Arme und Hände. Er wollte sprechen, aber die innere Aufregung machte ihm jedes Wort zur Unmöglichkeit. Der Schmied aber befand sich ganz in seinem Elemente.

      »Kommen Sie!« lachte er. »Jetzt wollen wir diesem guten Manne die Handschellen anlegen, damit er auch einmal merkt, wie hübsch ein solcher Schmuck ist. Helfen Sie!«

      Brandt gehorchte ihm. Dann zog der Schmied das Taschentuch des Gefesselten hervor, steckte es ihm als Knebel in den Mund und band ihm dann auch die Ellenbogen nach hinten und die Kniee und die Fußknöchel mit der Leine zusammen.

      »So!« sagte er darauf. »Gerade zur rechten Zeit, denn da kommt das Tunnel!«

      Sie brausten in die Finsterniß hinein. Als sie wieder an das Tageslicht kamen, hatte Brandt endlich Worte gefunden.

      »Aber sagen Sie mir um Gottes willen,« fragte er. »Was veranlaßt Sie denn, sich meiner in dieser Weise anzunehmen?«

      »Still! Darüber jetzt kein Wort! In fünf Minuten wird der Zug anhalten, dann müssen wir ausspringen. Wir rennen gerade in den Wald hinein, Sie immer scharf hinter mir her. Aber nehmen Sie sich in Acht, daß sie nicht stürzen oder gar noch ergriffen werden!«

      »Warum sollte der Zug mitten im Walde halten?«

      »Ich habe dafür gesorgt. Ich bin nämlich nicht allein hier, sondern wir haben noch einen Kameraden, welcher den Zug anhalten wird. Ah, hören Sie! Jetzt!«

      Die Dampfpfeife stieß das bekannte, schrille, markerschütternde Warnungssignal aus. Sofort kreischten die Bremsen und Räder, und der Zug kam nach und nach zum Stehen. Der Maschinist hatte den Stein keinen Augenblick zu früh gesehen, denn er lag kaum drei Fuß von den Vorderrädern der Locomotive entfernt auf der Schiene.

      »Was ist's? Was giebt's? Was ist geschehen?« schrie, rief und fragte es aus den Fenstern, welche alle geöffnet wurden. Die Schaffner konnten es nicht verhindern, daß sich die Passagiere die Thüren selbst öffneten und aus den Wagen sprangen. Der Zug hatte sich in der Zeit von einer halben Minute entleert.

      Alles eilte nach vorn. Niemand gab Acht auf die beiden Männer, die zunächst ganz dieselbe Richtung einschlugen.

      Der Schmied hatte


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