Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May
Читать онлайн книгу.öfters ohne Hilfe ihres Mädchens zu entkleiden, und so hatte die Zofe die Erlaubniß erhalten, sich zurückziehen zu dürfen. Die Herrin wollte träumen.
Sie dachte an Fanny von Hellenbach, welche ihr so lieb und sympathisch war, ferner an – an, nun ja, an diesen räthselhaften Fremdling, den Fürsten von Befour. Was an ihm war es doch nur, was ihr Herz hatte lauter klopfen lassen, so oft ihre Augen sich auf ihn richteten? War es sein Auge, seine Stimme, sein Gang oder was sonst? Sie wußte es selbst nicht, aber sie fühlte, daß dieser Mann einen Eindruck auf sie gemacht hatte, von welchem sie sich selbst keine Rechnung abzulegen vermochte.
So saß sie da, nicht in geordnete Gedanken versunken, sondern halb sinnend und halb träumend, bis ihr Blick auf die Uhr fiel. Es fehlten nur noch wenige Minuten an Mitternacht.
Sie erhob sich, um Schlaftoilette zu machen. Sie legte ihr jetziges Gewand ab und ein dünnes, blütenweißes Negligée an. Dann löste sie ihr herrliches, blondes Haar auf, um es unter ein Häubchen zu bringen. Indem sie mit dem silbernen Kamme durch die langen, reichen Wogen strich, erinnerte sie an jene feenhafte Loreley, welche ein junger Maler fertigte, um dann, in den Anblick seines Bildes versunken, infolge der Schönheit desselben wahnsinnig zu werden.
Alma war eigentlich nicht älter geworden, obgleich gegen zwanzig Jahre zwischen jetzt und früher lagen. Sie gehörte zu denjenigen Damen, welche der Zeit bis in das späteste Alter Widerstand leisten. Ihre Taille war ein ganz, ganz klein Wenig stärker, ihre Figur vollkommener geworden, aber trotz ihrer achtunddreißig Jahre hätte man sie noch gut für in den Zwanzigern stehend halten können.
Ihr Gesicht mit dem kindlich frommen Ausdrucke hatte einen Zug von Schwermuth angenommen, welcher nur anziehen konnte. Ihre Stirn war ohne Falten und von einer vollständig reinen Weiße. Ihre Wangen zeigten einen Anflug von Incarnat, welchen selbst die Schwermuth nicht auszulöschen vermocht hatte. Das Blau ihrer Augen glich noch immer demjenigen des Himmels. Ihr Nacken, ihre Schultern und ihre vollen, schönen Arme, jetzt bei dem leichten Nachtkleide entblößt, hatten einen gedämpften, schneeigen Glanz, und ihre Taille, von keinem Mieder gehalten, zeigte noch immer jene Plastik, welche man an Perserinnen und den Mädchen der Hindu bewundern kann.
So stand sie da, rein, keusch und hell, umflossen von der Fluth ihres goldig glänzenden Haares. Hätte Gustav Brandt, ihr Milchbruder und Jugendgespiele sie gesehen, er hätte ausgerufen:
»Mein Sonnenstrahl, mein lieber, süßer Sonnenstrahl!«
Noch glitten ihre rosigen Finger durch das leuchtende Haar, noch stand sie da vor dem Spiegel in der ganzen Pracht ihrer fast unverhüllten Schönheit, da klopfte es erst leise und dann etwas lauter an die Thür.
»Ja! Herein!« rief sie.
Sie glaubte, die Zofe sei es. Aber als nun die Thür sich öffnete, da flog sie einige Schritte zurück; sie wurde erst blaß, dann glühend roth; sie streckte die Arme abwehrend von sich; sie öffnete den Mund, um zu sprechen, vielleicht einen Hilferuf auszustoßen, aber die Stimme versagte ihr. Sie hatte vor Schreck und Scham sogar für Augenblicke die Bewegung verloren.
Der Fürst von Befour stand unter der Thür.
Er zog dieselbe langsam hinter sich zu, verbeugte sich in ehrerbietigster Weise tief vor ihr, ergriff einen nahe liegenden Pudermantel, hing ihn ihr um die herrlichen, eine fast fühlbare Wärme ausstrahlenden Schultern und sagte dann lächelnd:
»Sie sehen, verehrte Baronesse, wir Indier kommen und gehen, ohne um Erlaubniß zu fragen. Keine Mauer ist uns zu dick und kein Schloß zu fest. Wir sind imponderabil.«
Erst jetzt fand sie die Sprache und Bewegung wieder. Sie hüllte sich dicht in den Mantel, zog die Stirn krauß und antwortete:
»Das scheint in Indien gebräuchlich zu sein, Durchlaucht; doch bitte ich, zu bedenken, daß Sie sich gegenwärtig nicht mehr im Oriente befinden.«
Er verbeugte sich abermals und antwortete dann:
»Ich habe das bedacht, Baronesse. Sie können sich denken, daß mich nur eine ganz außergewöhnliche Veranlassung zu einem so ungewöhnlichen Schritte getrieben haben kann. Ich komme, Ihnen meinen Schutz anzubieten.«
»Ihren Schutz?« fragte sie erstaunt.
»Ja, Baronesse, meinen Schutz. Ich hoffe, er wird ausreichen.«
»Durchlaucht, ich begreife nicht. Ich kenne keine Gefahr, in welcher ich mich befinden könnte.«
»Ich weiß, daß Sie keine Ahnung haben, ich aber habe das Glück gehabt, diese Gefahr bereits in ihrem Entstehen zu erkennen und dann zu verfolgen.«
»Dann bitte, sprechen Sie.«
»Man hat Nachschlüssel zu allen Schlössern Ihrer Wohnung angefertigt, um –«
»Nachschlüssel?« unterbrach sie ihn. »Gott, will man einbrechen? Will man mich bestehlen?«
»Ja. Man hat in Erfahrung gebracht, daß Sie gegenwärtig eine bedeutende Summe Geldes bei sich liegen haben.«
»Das ist wahr. Aber wie hat man dies erfahren können?«
»Ich weiß es nicht, doch ist sicher, daß der ›Hauptmann‹ seine Spione in allen Kreisen der Gesellschaft hat.«
War sie bereits vorhin auf das Tiefste erschrocken, so fühlte sie jetzt eine ganz entsetzliche Angst.
»Der Hauptmann,« hauchte sie mit fast ersterbender Stimme.
»Ja. Seine Leute stehen bereits unten vor dem Hause. Sie warten nur, bis Sie Ihr Licht verlöscht haben, um dann ihre Arbeit zu beginnen.«
»Einbrechen! Einbrechen! Vielleicht gar noch mehr, noch mehr.«
»Allerdings, Baronesse. Sie sollen ermordet werden.«
»Ermordet? Gott, mein Gott!«
Es wurde ihr schwarz vor den Augen, und vor ihren Ohren summte es. Sie begann zu wanken. Er trat rasch hinzu und nahm sie in seine Arme. Einige Augenblicke lang lag ihr Kopf mit all' der Herrlichkeit der goldenen Haareswogen an seiner Schulter; einige Augenblicke lang fühlte er ihren Busen an seinem Herzen, dann aber übermannte er die auf ihn einstürmenden Gefühle und ließ sie in die Kissen des nahen Sophas gleiten.
Sie war nicht ohnmächtig, es war nur eine vorübergehende Schwäche, in Folge des Schreckes über das plötzliche, räthselhafte Erscheinen dieses Mannes und über seine Unglücksbotschaft.
»Ich danke,« hauchte sie. »Ist es wahr, was Sie mir mittheilen?«
»Ja,« antwortete er, auf einem Stuhle Platz nehmend. »Aber ich bitte Sie, nichts zu besorgen. Zunächst sind Sie jetzt noch vollständig sicher. So lange diese Flammen noch brennen, wird keiner der Räuber es wagen, das Haus zu betreten.«
Das wirkte augenblicklich. Sie bat:
»Bitte, geben Sie mir dort von dem Wasser.«
Er goß aus einer Karaffe Wasser in ein Glas, zog aus seiner Tasche eine kleine Phiole, ließ einen kleinen Tropfen hineinfallen und reichte ihr das Glas. Ein wunderbar feiner und ebenso wunderbar lieblicher Duft durchzog das Gemach. Sie nahm einen Schluck und fühlte sich augenblicklich gestärkt und erquickt.
»Was ist das für ein Odeur?« fragte sie.
»Der Orientale nennt ihn Nefs et tschisek, das heißt auf deutsch Blumenseele.«
»Er ist herrlich. Ich danke Ihnen! Aber ich habe nicht an die Seele der Blume, sondern an meine eigene zu denken! Sie wissen wirklich genau, daß man mich überfallen will?«
»Unzweifelhaft! Ich habe diese Menschen sogar gesehen.«
»Haben Sie nach Polizei gesandt?«
»Nein.«
»Mein Gott, das war doch das Allernächste! Bedarf man im Orient in solchen Fällen nicht der Polizei?«
»In grad einem solchen Falle allerdings nicht.«
»Sie meinen, daß es meiner Dienerschaft gelingen werde, den Anschlag zu verhüten?«