Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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haben Sie Recht. Und wie ist es bei Ihnen?«

      »Ich denke, bei mir würde das Gegentheil stattfinden. Ich würde die Liebe nicht hinunterstürzen, sondern sie langsam trinken und nippen, bis der süße Rausch so ganz mein Herr geworden wäre.«

      »Das geht zu langsam! Trinken Sie! Trinken Sie!«

      Ihre Augen funkelten. Sie hielt ihm ihr Weinglas entgegen, um mit ihm anzustoßen. Es kam ganz fremd und eigenartig über ihn. War es der Wein oder waren es die Gluthblicke aus den Augen des schönen Mädchens. Er stieß mit ihr an und antwortete:

      »Ja, trinken wir!«

      »Wein oder Liebe?«

      »Beides!«

      »Ja, richtig!« jubelte sie. »Beides! Beides!«

      Sie legte den vollen Arm auf seine Schulter, näherte ihr Gesicht dem seinigen und fragte:

      »Wie denken Sie von mir? Wie gefalle ich Ihnen?«

      »Bei Ihrem Anblicke denke ich an die Worte des Dichters:

      Füll den Pokal mit Schiraswein;

      Entfess'le Deiner Locken Quell!«

      »Soll ich ihn entfesseln?«

      Ihr Athem streifte heißt seine Wange, und ihr Arm legte sich fester um seine Schulter. Er hatte sich noch nie in einer solchen Versuchung befunden. Er wußte nicht, was er antworten sollte.

      »Noch nicht! Noch nicht!« sagte er, um doch Etwas zu sagen.

      »Aber später doch? Gut! Wir verstehen uns. Und das ist kein Wunder. Sind wir doch Collegen.«

      »Collegen?« fragte er lächelnd.

      »Ja. Ich bin auch Dichterin. Das heißt, ich dichte.«

      »Für sich selbst oder für einen Verleger?«

      »Für mich allein.«

      »Hm! Das ist Jedermann gestattet. Nur soll man das Nest sehr sorgfältig in Acht nehmen und behüten.«

      »Das Nest? Wieso? Was soll das heißen?«

      »Das Wespennest der Gedichte. Man soll dieselben hübsch daheim behalten im Kasten und sie nicht hinausfliegen lassen, wo sie allerlei Unheil anrichten.«

      »Oho! Glauben Sie, meine Gedichte taugen nichts?«

      Er blickte ihr vergnügt in das Angesicht und fragte dabei:

      »Es sind doch lyrische, nicht wahr?«

      »Ja.«

      »Dachte es mir. Ich glaube nicht an weibliche Schriftstellerinnen und noch weniger an weibliche Dichterinnen oder gar Lyrikerinnen.«

      »Soll ich Ihnen etwa eine Probe zeigen?«

      »Sehr verbunden! Danke aber!«

      »Was? Sie wollen nicht?«

      »Nein.«

      »Welch eine Unhöflichkeit!«

      »Es ist eine ebenso große Unhöflichkeit, mir ein ›Lyrisches‹ zeigen zu wollen. Wir sind also quitt. Um Ihnen aber zu zeigen, daß ich eine Ausnahme machen kann, ersuche ich Sie um eins, aber um ein einziges!«

      »Gut! Ich werde Sie bestrafen!«

      »Womit?«

      »Damit, daß ich Ihnen mein bestes Gedicht vorlese und Sie zwinge, zu sagen, daß es gut ist.«

      »Schön! Ich gestatte Ihnen das!«

      Sie nahm von einem Nipptischchen ein kleines Album herüber, schlug dasselbe auf und las:

      »Still und einsam blühst Du Rose;

      Ach, Dein Duft ist nur für mich

      Und die Pracht der zarten Farben.

      Rose, Dich nur liebe ich!

      Herrlich prangt des Thaues Perle

      Auf dem Blatt im Sonnenschein:

      Einer Venus Strahlenauge.

      Holde Rose, wärst Du mein!

      Ziehe nicht des Kelches Falten

      In Verschämung spröde zu!

      Willst Du Dich nicht mir ergeben?

      Rose, ach, wie schön bist Du!«

      Sie schlug das Album zu, blickte ihn erwartungsvoll an und fragte:

      »Nun? Wie gefällt es Ihnen?«

      Er zuckte leise mit den Achseln auf und nieder, nickte ihr vertraulich zu und antwortete:

      »Nicht übel!«

      »Nicht übel!« rief sie entsetzt. »Giebt es kein anderes Urtheil?«

      »O doch! Es giebt zwei Urtheile. Das eine lautet: Nicht übel. Das andere jedoch heißt: Abscheulich!«

      Da nahmen ihre Züge plötzlich einen finsteren, zornigen Ausdruck an.

      »Erklären Sie sich näher!« sagte sie in befehlendem Tone.

      »Schön! Als Wespe im Kasten ist das Ding nicht übel. Aber als Wespe für Andere ist es abscheulich. Als Stylübung einer jungen Dame ist es psychologisch sogar interessant; aber als Gedicht, welches veröffentlicht werden soll, ist es geradezu unmöglich!«

      Sie war bleich geworden. Sein Verhalten war nicht nur grob, sondern sogar beleidigend. Er sah das, legte ihr begütigend die Hand auf den Arm und sagte:

      »Verzeihung! Es thut weh! Nicht wahr?«

      »Allerdings!«

      »Aber ich meine es gut. Sie verrathen in diesen Strophen Ihr ganzes Herz, Ihre Gedanken, all Ihr Sehnen. Sie denken sich einen Jüngling, der vor Ihnen steht. Was soll er bei Ihrem Anblicke empfinden? Dich nur liebe ich! Wie schön bist Du! Wärst Du mein! Ergieb Dich mir! Ist ein solcher Verrath nicht abscheulich?«

      Jetzt war sie noch bleicher als vorher. Sie vermochte nicht zu antworten. Sie hielt die Wimpern tief gesenkt, so daß er ihr nicht in die Augen blicken konnte. Da hob er ihr das Köpfchen empor. Jetzt war sie gezwungen, ihn anzublicken. Das vorher förmlich funkensprühende Auge war jetzt völlig glanzlos geworden.

      »Nicht wahr, Judith, ich habe Recht?«

      Er fragte das in einem so warmen, milden und eindringlichen Tone, daß sie plötzlich beide Arme um ihn schlang und ihn fest an sich riß.

      »Sie haben Recht!« antwortete sie. »Aber kann ich anders? Kann ich gegen das Feuer, welches in mir brennt? Kann ich gegen die Wünsche, welche in mir glühen? Ich bin eine Tochter des Orients!«

      Er wagte es nicht, sich gegen diese Umarmung zu sträuben.

      »Aber dichten dürfen Sie nicht, wenigstens nicht auf dem Papier. Sie selbst sind ein Gedicht, ein farbenprächtiges Tropenbild. Die Wogen Ihres Haares sind Reime, wie sie kein Freiligrath und kein Rittershaus volltönender komponiren könnte. Ihre herrlichen Schultern, Ihre entzückenden Arme, Ihr glühender Busen, das sind Strophen, denen kein Leser widerstehen kann. Ihre Augen sind Oden, begeisterte Oden, welche die Liebe auf sich selbst geschaffen hat. Dichten Sie, ja, dichten Sie. Aber dichten Sie nur durch den Klang Ihrer Stimme, durch die Macht Ihres Blickes, durch die anmuthsvollen Bewegungen Ihrer Hände, durch das verlockende Lächeln Ihres Mundes!«

      Ihr Gesicht war jetzt plötzlich ein ganz anderes geworden. Es erstrahlte in Glück und Freude.

      »Sagen Sie die Wahrheit?« fragte sie, indem ihr Athem ihm heiß und würzig entgegenströmte. »Ist das wirklich Ihre Meinung? Bin ich in Wahrheit ein solches Gedicht?«

      »In Wahrheit!« antwortete er.

      »O, dann bin ich glücklich! Bin ich ein Gedicht, so muß mich der Dichter lieben! Er muß mein werden, und ich bin sein!«

      Sie umschlang ihn so eng, daß er sich kaum zu bewegen


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