Florentiner Novellen. Isolde Kurz
Читать онлайн книгу.zu essen, und auch dieser Befehl fand augenblicklich Folge. Er freute sich, daß ihm die Sprache so wenig Schwierigkeit bereite. Als er aber mit dem Essen fertig war und sich, durch den Wein zur Geselligkeit angeregt, mit dem Wirt in ein längeres Gespräch einlassen wollte, da erkannte er zu seinem Verdruß, daß dieser der schwäbischen Laute nicht Meister war.
Doch winkte der gefällige Florentiner ihm verheißungsvoll zu und entfernte sich eilig, um in Bälde mit einem wunderlichen Menschengebilde zurückzukommen, lang und schwank wie ein Haselrohr, aber so gebrechlich, daß man fürchten mußte, es zerknicke bei der ersten Berührung in der Mitte, wo es am schwächsten schien. Dünnes rotes Haar, mit Weiß gemischt, hing schlaff um ein fahles, bartloses Gesicht, eines jener Gesichter, die nie zur Mannheit ausreifen, sondern in die späteren Jahre eine welke Jugendlichkeit hinübernehmen. Jede seiner Bewegungen war unnatürlich, von den schmachtenden Wendungen des mageren Halses zu dem gezierten Gang, der im Tanzschritt ansetzte und den Boden unter den Füßen zu verschmähen schien. Nur ein paar blaue Augen, die ehrlich und wohlwollend aus fast unbewimperten Lidern hervorsahen, versöhnten ein wenig mit der dürftig-anspruchsvollen Erscheinung.
Dieses seltsame Wesen kam unter Verbeugungen heran und fragte den Schwaben in schlechtem Deutsch, was des Herrn Landsmanns Begehr sei, und es war possierlich anzusehen, wie sich beim Sprechen seine Ellbogen zu einer flügelschlagenden Bewegung erhoben und das Gewand wedelte, als wollte die ganze luftige Gestalt zum Himmel entflattern.
Der Kriegsknecht sah den Roten verdutzt an, denn er wußte nicht, was er aus ihm machen sollte, und fuhr mit der Hand nach der Mütze, besann sich aber auf halbem Wege anders und kratzte sich nur am Kopf.
Er sei kein Herr, stotterte er verlegen, sondern nur der Peter von Lorch, im Dienst des Edlen Veit von Rechberg-Stauffeneck, eines der besten Ritter im Schwabenland. Die Erwähnung seines Herrn stärkte sein Selbstgefühl, denn er gewann nun die Kühnheit, auch den Roten nach Stamm und Namen zu fragen, wobei er jedoch geflissentlich die direkte Anrede vermied, um ihm weder zu viel noch zu wenig Ehre zu geben.
Er heiße Lucius Rufus, antwortete der andere mit seiner hohen und dünnen Stimme, die die ganze Erscheinung wunderbar vollendete, und sei Majordomus in dem schönen Palaste gegenüber. Auch er dürfe sich eines Gebieters rühmen, der hinter keinem Mann der Erde zurückstehe, denn ganz Florenz kenne den edlen Herrn Bernardo Rucellai als Urbild aller Bürgertugend und als den wahren Vater der Weisheit.
»So«, entgegnete Peter mit breitem Lachen. »Ich habe wohl zuweilen unseren Pfarrer sagen hören, Vorsicht sei die Mutter der Weisheit, aber daß der Herr Rutschel ihr Vater ist, war mir nicht bekannt.«
Der Rote belächelte herablassend diesen Witz und setzte sich neben dem Landsmann nieder, während der Wirt eilig auch ihm ein Glas vollschenkte. Bald kamen noch andere von den schwäbischen Kriegsknechten nach, die ihre Pferde gleichfalls im Stall der »Drei Mohren« unterstellten und vom Wirt dienstbeflissen zu dem Paar am Marmortisch geführt wurden. Doch sie wußten sich schlecht in die Unterhaltung zu finden und sprachen in ihrer Verlegenheit um so mehr dem Weine zu, denn der Rote, dem es ein Vergnügen machte, seine barbarischen Landsleute zu verblüffen, flößte ihnen durch geschraubte fremdländische Redensarten eine gewisse Scheu ein.
Soeben erzählte er, daß er aus Augsburg gebürtig sei – Augusta Vindelicorum – wie er erläuternd hinzusetzte, und wenn sein Stammbaum nicht verloren wäre, so ließe sich leichtlich nachweisen, daß er von einem gewissen Lucius Rufus abstamme, der Unterbefehlshaber im Heere des Kaisers Augustus gewesen und der die Stadt habe gründen helfen. Er selbst habe vormals den Beruf eines Haar- und Bartkünstlers in seiner Vaterstadt geübt und sei den Mitbürgern nur als der rote Lutz bekannt gewesen, denn die Nacht der Unwissenheit habe noch schwer auf ihm gelastet. Erst in Florenz habe er den Namen seines Ahnherrn wieder angenommen und sei »antik« geworden.
»Was ist das?« fragten alle wie aus einem Mund.
Der Rote leuchtete auf, denn er war jetzt ganz in seinem Fahrwasser, und er bemühte sich, seinen Zuhörern eine faßliche Erklärung des Wortes zu geben.
Das Antike, bedeutete er sie, sei die schöne Manier in Sprache und Gebärden, die von den Alten stamme und in Florenz zur Bildung und guten Sitte unentbehrlich sei. Dazu gehöre vor allem auch eine Hauseinrichtung im Stile der alten Römer, und nun beschrieb er den sprachlos dasitzenden Kriegsknechten die Gastmähler seines Herrn, wobei die Geladenen mit bekränztem Haupt sich nicht zu Tische setzten, sondern legten, während er nach dem Takt der Musik das Essen auftrage und das Fleisch zerschneide; denn so verlange es der römische Brauch. Ehe das Mahl beginne, sprenge sein Herr eine Schale vom besten Wein auf den Boden, als Weiheguß für die alten Götter, die in Marmor herumstünden, und spreche einen lateinischen Vers dazu, und das alles, wenn es mit der schönen Art gemacht sei, nenne man antik.
Die Knechte stießen sich heimlich mit den Ellbogen an, und Peter sagte, sich bekreuzend: »Straf mich Gott! Das ist ja heidnisch; seid ihr denn keine Christen?«
Lucius entgegnete mit nachsichtigem Lächeln: »Freilich; aber die heilige Jungfrau und den Bambino in Ehren, diese Gebete an die alten Götter gehören zum Ganzen, zum Stil und zur Einrichtung, mit einem Wort zum Antiken, und selbst der Heilige Vater hält es nicht anders.«
Nun fuhr er in seiner Lebensgeschichte fort und erzählte, wie in seine Barbierstube häufig ein fahrender Schüler gekommen sei, der unter dem Seifenschaum lateinische Verse zu deklamieren pflegte, und wie er auf diese Weise ein schön Stück Latein und viele Verse aus einem Gedicht kennengelernt habe, das von den Irrfahrten des Trojerhelden Äneas handle. Da sei die Wanderlust so mächtig in ihm geworden, daß er sein Handwerk an den Nagel hängte und in Diensten eines Kaufmanns nach der Levante zog. Dort geriet er aber durch den Tod seines Herrn in großes Elend, so daß er wieder zu seinem früheren Handwerk greifen und viele Türkenbärte scheren mußte, bis ihm eines Tages ein welscher Bart unter die Hände kam, der einem edlen Florentiner angehörte. Dieser erkannte aus der blumenreichen, von Zitaten wimmelnden Sprache seines Barbiers, daß solch ein Mann zu etwas Höherem geboren sei, und nahm ihn von der Baderstube weg in seine Dienste. Der Florentiner war nach dem Fall von Konstantinopel in die Levante gekommen, um in kleinasiatischen und griechischen Klöstern auf alte Manuskripte zu fahnden, und da sich Lucius ebensowohl auf die türkische wie auf die fränkische Sprache verstand, mußte er bei diesen Unterhandlungen den Dolmetsch machen. Sein Herr richtete ihn mit der Zeit auf alte Klassiker ab, wie einen Falken auf den Reiherfang.
Als sie nun schon einige hundert Bände gesammelt hatten und mit der kostbaren Fracht die Rückreise nach dem Abendland antreten wollten, litten sie im Ägäischen Meere Schiffbruch und mußten es ansehen, daß all die kostbaren Bücher, die ein ganzes Vermögen verschlungen hatten, in den Wellen versanken.
Bettelarm kehrte der Florentiner in seine Heimat zurück und starb da an gebrochenem Herzen, hatte aber zuvor noch den getreuen Lucius bei Bernardo Rucellai, seinem besten Freunde, untergebracht.
Dies alles berichtete der Rothaarige seinen Zechgenossen mit manchen Ausschmückungen und großem Schwulst, zuweilen seine Rede mit einem lateinischen Spruch durchflechtend. Auch machte er viel Rühmens von dem Ansehen und Reichtum seines Herrn und vor allem von den unermeßlichen Bücherschätzen, um deretwillen aus der ganzen Welt viel vornehme und gelehrte Männer im Hause Rucellai zusammenströmten, und er suchte dem stumpfsinnig dreinblickenden Peter den Wert solcher Sammlungen begreiflich zu machen.
Dem aber war der ungewohnte welsche Wein zu Kopf gestiegen, und die Ruhmredigkeit des Roten begann ihn zu verdrießen. Er schlug auf den Tisch und rief herausfordernd: »Und mein Herr ist doch noch ein viel größerer Herr, das sag ich. Der schlägt mit der gepanzerten Faust einen Ochsen nieder, und den stärksten Ritter hebt er aus dem Sattel, als ob es ein Strohmann wäre. Acht Wölfe hat er einmal an einem Tag erlegt, und die Dienste, die er dem Hause Württemberg bei der Mühlhäuser Fehde geleistet, wird ihm der Graf gewiß zeitlebens nicht vergessen. Und was den Reichtum betrifft, so brauche ich nur die Burg Stauffeneck zu nennen, mit Dörfern, Wäldern und Äckern, und die Herrschaften im Oberland, gar nicht zu reden von den kleineren Höfen und Weilern zwischen Staufen und Rechberg, die ihm zinspflichtig sind. Es lebt kein besserer Ritter im ganzen römischen Reich, und wer’s nicht glaubt, der hat mit mir zu tun.«
Die