Katharina II. Russische Hofgeschichten. Leopold von Sacher-Masoch

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Katharina II. Russische Hofgeschichten - Leopold von Sacher-Masoch


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Zeiger der Uhr gab zuletzt den Ausschlag. Er nahm seinen Mantel, drückte den Hut tief in die Stirne und verließ das Haus. Die Nacht war sternenlos finster.

      Dichte Nebel wallten um die Kirche von Kasan.

      Als Mirowitsch dem Portale nahte, trat der dunkle Wagen beinahe gespenstisch hervor, die schwarzen Pferde scharrten ungeduldig den Boden. Zwei Vermummte empfingen ihn, legten ihm schweigend leichte Hand- und Fußschellen an und verbanden ihm die Augen mit einem weißen Tuche.

      Derlei Abenteuer waren in Petersburg zur Zeit des Frauenregiments unter drei Zarinnen — Anna — Elisabeth — Katharina — so gewöhnlich, daß kaum ein Vorübergehender über die geheimnisvolle Prozedur erstaunt gewesen wäre.

      Es ging aber niemand vorüber. Mirowitsch wurde in den Wagen gehoben, der Schlag geschlossen und fort ging es im rasenden Laufe.

      Als das unheimliche Fuhrwerk hielt, und Mirowitsch wieder festen Boden unter den Füßen fühlte, wehte eine scharfe, schneidende Luft um ihn, er war offenbar im Freien.

      Man führte ihn breite Steintreppen empor, durch einen Korridor, eine Reihe von Zimmern. Jetzt war er allein. Ein Lichtschimmer drang durch das Tuch.

      Noch einen Augenblick, dann sprach eine angenehme weibliche Stimme: „Besorgen Sie nichts, Mirowitsch, Sie sind in guten Händen.“ Ein Frauengewand rauschte, zwei zarte Hände bemühten sich, den Knoten des Tuches zu lösen, die Bande fiel. Er sah sich in einem kleinen, mit orientalischem Luxus eingerichteten Gemache und wie er den Kopf wendete, erblickte er eine kleine zarte Frau in einem dunklen Ueberrock, eine schwarze Samtlarve vor dem Gesichte.

      „Geduld, ich muß Sie vorerst von Ihren Fesseln befreien.“ Sie nahm ihm die Handschellen ab. „Nun lösen Sie selbst den Rest Ihrer Ketten.“ Mirowitsch gehorchte.

      Eine kleine zitternde Hand faßte die seine und zog ihn auf eine Ottomane nieder.

      „Verzeihen Sie meine Seltsamkeit“, sprach die Dame mit der Maske, „aber ein Kavalier darf sich von seiner Dame schon etwas gefallen lassen. Ich habe wichtige Gründe, mich mit Geheimnissen zu umgeben, aber nichts soll mich hindern, Ihnen zu nahen, Sie zu lieben, Sie mein zu nennen. Ich liebe Sie, Mirowitsch!“ Sie lehnte sich an seine Schulter und schlang den Arm um seinen Hals. Mirowitsch fühlte sein Herz stärker schlagen, er faßte die Hand der geheimnisvollen Freundin, führte sie an die Lippen und sprach beinahe verschämt: „Vergeben Sie, daß ich Ihnen nicht von Liebe spreche, Madame, daß ich Sie bitte, mich sofort zu entlassen. Sie haben meinen Mut herausgefordert und mich so gezwungen, vor Ihnen zu erscheinen, aber ich kann Sie nicht lieben. Mein Geständnis kann Sie nicht verletzen, noch kenne ich Sie nicht, noch habe ich Ihre Züge nicht gesehen.“

      „Sie sollen sie sehen.“

      „Um Gotteswillen — nein!“

      Die Dame antwortete mit einem mutwilligen Lachen und nahm die Maske herab. Es war ein fremdes, aber reizendes Gesichtchen, zwei große dunkle Augen schmachteten Mirowitsch entgegen, zwei rote Lippen boten sich den seinen zum Kusse.

      „Nun, gefalle ich Ihnen nicht?“

      Mirowitsch warf sich der reizenden Frau zu Füßen.

      „Lachen Sie über mich, Madame, Sie verdienen, daß man Sie anbetet, daß man sich töten läßt, aber mein Herz verbietet es mir, Sie zu lieben, meine Ehre — Sie zu täuschen.“

      „Sie lieben!“ rief die Schöne überrascht.

      „Ja, Madame“, entgegnete Mirowitsch, indem er sich erhob.

      „Eine andere.“

      „Ja — eine andere.“

      „Und man sagte mir doch —“, murmelte die Dame.

      „Was Madame?“

      „Daß Sie keine Liaison haben, noch keine Liaison gehabt haben.“

      „Man sagte Ihnen die Wahrheit.“

      „Wie versteh’ ich das?“

      „O Madame, Sie sind schön, Sie sind vornehm, wenn Sie lieben, lieben Sie glücklich. Können Sie eine Liebe verstehen, wie die meine, eine Liebe ohne Glück, ohne Hoffnung, eine Liebe, die vor sich selbst erschrickt?“

      „Ich verstehe Sie, Sie lieben eine Frau, die Ihnen unerreichbar scheint. Törichtes Kind, wer sagt Ihnen, daß für die Liebe etwas unerreichbar ist. Es wäre denn die Mutter Gottes von Kasan.“

      „Es kommt beinahe auf dasselbe hinaus, Madame.“

      „Sie lieben —?“ rief die Dame heiter.

      „Meine Kaiserin! Der Untertan seine Monarchin, der Sklave seine Herrin!“

      In diesem Augenblicke bewegte sich der Vorhang, welcher das Fenster des Gemaches von oben bis unten schloß.

      „Das ist freilich schlimm“, sprach die Dame, „aber ich habe ein gutes Herz, ich will Ihnen helfen, so gut ich kann. Ich habe eine Freundin, Mirowitsch, welche die Gestalt der Kaiserin —“

      „Nein, Madame, Sie verstehen mich nicht. Ich beschwöre Sie, entlassen Sie mich“, rief Mirowitsch.

      „So sehen Sie sie doch nur an — es ist ganz Ihr Geschmack. Da ist sie.“

      Der Vorhang teilte sich und eine hohe üppige Frau in einem schweren blauen Seidenkleide, das vorne nach der Mode viereckig ausgeschnitten ihre herrliche Brust unverhüllt zeigte, eine schwarze Samtlarve vor dem Gesichte, näherte sich dem überraschten Offizier. Ein Wink von ihr entfernte ihre Freundin, sie machte zugleich eine Bewegung nach dem Divan und lud Mirowitsch mit der Hand ein, sich zu ihr zu setzen.

      Dem jungen Offizier stand das Herz still. Diese Frau hatte etwas Wollüstiges in ihrer Erscheinung, das ihn berauschte, etwas Herrisches in ihrem Wesen, das ihn vollständig unterwarf. Nachdem sie, die Arme auf der Brust gekreuzt, ihn eine Weile angesehen hatte, lachte sie und fragte mit einer Stimme, bei der ihn ein tiefer, wollüstiger Schauer überkam: „Wirst du mich lieben können, Mirowitsch?“

      „Nein.“

      Sie lachte wieder. „Du liebst also deine Kaiserin?“

      „Ich liebe sie so leidenschaftlich, so wahnsinnig, daß eine Dame Ihres Standes dies nicht verstehen kann“, rief Mirowitsch.

      „Warum nicht?“

      Mirowitsch sprang auf und ging im Gemache auf und ab.

      „Beruhigen Sie sich. Man sagt, daß die Kaiserin sehr verliebt ist und galante Abenteuer liebt. Vielleicht finden Sie Gnade vor ihren Augen.“

      Mirowitsch blieb stehen und sah die üppige Schöne beinahe erschreckt an.

      „Ich glaube, Sie würden sich vor Ihrem Glücke fürchten?“

      Mirowitsch trat einen Schritt zurück, er war bis in die Lippen bleich geworden und bebte am ganzen Leibe. Jetzt kannte er diese wollüstige Stimme, er sank in die Knie und mit dem Antlitz zur Erde.

      „Hast du den Mut, deine Kaiserin zu lieben?“ rief sie und riß die Maske herab. Vor ihm stand Katharina II. gebieterisch in hinreißender Schönheit.

      „Komm!“ Sie hob ihn auf — „du bist mein. Ich liebe dich.“ Die üppigen Arme der Despotin schlangen sich um ihn und zogen ihn an ihre leidenschaftlich wogende Brust. Mirowitsch fieberte.

      Katharina II. stampfte mit dem Fuße.

      „Mut, Mirowitsch, du sollst mich lieben, ich will es. Du bist mein Sklave, sans phrase. Es gibt Stunden, wo ich ein Kind bin und ein Spielzeug brauche. Komm, ich will mit dir spielen.“

      Das war zu viel.

      Mirowitsch riß seinen Degen aus der Koppel und warf ihn zu Boden, dann faßte er die Zarin leidenschaftlich in seine Arme. Sie lag an seiner Brust, ihre Lippen sogen ihm die Seele aus, seine Hände wühlten in ihren Locken, daß der Puder wie ein leichter Reif auf seine Schultern fiel.


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