Der arme Jack. Фредерик Марриет
Читать онлайн книгу.pflegt. „Sounders,“ konnte sie ausrufen, „bist Du nicht der grösste Narr, der je auf zwei Beinen gegangen ist, dass Du Dir so viel auf Deinen langen Haarzopf einbildest? Könnte man doch glauben, ich hätte einen Affen, einen Orangutang geheiratet statt eines Mannes. So, jetzt habe ich Dir die Galle ein wenig aufgeregt! Man kann nicht einmal den Mund aufthun.“
Meine Mutter wusste wohl, wo sie anklopfen musste, und dieser Angriff auf den Zopf war mit Sicherheit darauf berechnet, meinen Vater aufzubringen, der dann nicht gerade in höflichen Reden antwortete, bis endlich auch sie in Ärger und dann halb kreischend hinaussang —
„Heididel, heididel, die Katz und die Fidel,
Die Kuh sprang über den Mond“ u. s. w.
Und so quiekste sie fort, bis sich ihr Zorn abgekühlt hatte.
Die Folgen ihrer ehelichen Verbindung mit einem Beischiffsführer wurden bald sichtbar. Sechs Monate nach ihrer Verheiratung erklärte Lady Herkules das Aussehen meiner Mutter für ganz unanständig und durchaus nicht mehr geeignet, sich in dem Dienste einer Dame von ihrem grossen Zartgefühl zu präsentieren. Mrs. Sounders, die noch obendrein mit jedem Tage träger wurde, erhielt daher ihre Aufkündigung, packte nach Ablauf des Monates in grossem Zorne ihre Schachteln auf, schlug, als sie das Haus verliess, die Thüre hinter sich zu und sang im allerhöchsten Schlüssel ihrer Stimme:
„Dikori Dikori Dock
Die Maus lief hinauf zu der Glock“ u. s. w.
Mein Vater wünschte, dass sie an Bord der Fregatte wohne, aber dazu wollte sie ihre Einwilligung nicht geben, indem sie erklärte, es sei zwar wahr, dass sie sich und ihre Familie durch eine Heirat mit einem Beischiffsführer herabgewürdigt habe, aber so weit wolle sie sich denn doch nicht erniedrigen, dass sie sich unter die gemeinen Kreaturen an Bord mische. In diesem Entschlusse hatte meine Mutter, wie ich glaube, recht; aber ihrer Entlassung und Ungnade folgte der weitere Umstand, dass mein Vater seine Stelle verlor und dem grossen Mars zugeteilt wurde — aus keinem anderen Grunde, als weil es so der Wille und Befehl von Lady Herkules war.
Die gnädige Frau zog in Betracht, dass sie durch meines Vaters Dazwischenkunft eine gute Dienerin verloren hatte, und fasste daher einen solchen Widerwillen gegen ihn, dass sie ihn nicht wie gewöhnlich als Beischiffsführer ins Haus kommen lassen wollte; auch war sie ferner der Ansicht, wenn er die Funktion nicht mehr versehe, so sei er auch nicht zu den Rationen berechtigt. Nach kaum sieben Monaten war also meinem Vater die Heirat zu einer Quelle bitteren Verdrusses geworden: er gehörte nicht länger zu den Unteroffizieren und hatte auch von seinem Solde eingebüsst. Der Stolz meiner Mutter war verletzt, und wenn sie schon nicht als die Gattin von des Kapitäns Beischiffsführer an Bord bleiben mochte, so hatte sie jetzt noch weniger Lust dazu, nachdem er zu einem gemeinen Matrosen degradiert war. Was meinen Vater betrifft, so war er das leibhaftige Bild des Elends, denn jetzt hatte er keinen anderen Trost mehr, als dass er sein Tabaksröllchen im Munde umherwarf und seinen Zopf band.
Doch alles in der Welt ist dem Wechsel unterworfen, und so trat denn auch für die Fregatte ein Wechsel des Stationsplatzes ein, da sie ins Ausland kommandiert wurde. Sir Herkules verabschiedete sich von seiner gnädigen Dame, welche sich nun nach Tonbridge-Wells zurückzog, und mein Vater von meiner Mutter, die sich nach Woolwich begab. Sie hatte sich in ihrem Dienste einiges Geld erspart, und mein Vater händigte ihr allen Sold ein, den er erhielt, als die Schiffsmannschaft vor der Ausfahrt der Fregatte bezahlt wurde. Ich muss Sir Herkules die Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass er, sobald er die Soundings und den Einfluss seiner Frau im Rücken hatte, meinen Vater wieder in sein früheres Amt einsetzte. Sounders war übrigens in der That der hübscheste und beste Matrose im Schiffe und verstand sich vortrefflich auf seinen Dienst, hatte auch ausserdem unter Rodney gefochten und die Belagerung von Gibraltar mitgemacht.
Ich muss jedoch zu meiner Mutter zurückkehren, welche sich nach der Abreise meines Vaters in einer Vorstadt von Woolwich einmietete. Von der abermaligen Standeserhöhung meines Vaters wusste sie nichts, und da sie nicht wünschte für die Gattin eines gemeinen Matrosen gehalten zu werden, so bezeichnete sie ihren Mann als den Kapitän eines Kauffahrers, welcher den Transport von Truppen nach Westindien übernommen habe. Diese Angabe verschaffte ihr Aufnahme in Gesellschaften, die über ihrer wahren Stellung standen, und da sie hiedurch genötigt war, mehr Geld auszugeben, als sie erschwingen konnte, so schwanden ihre Finanzen rasch dahin. Im Laufe der Zeit trat ich ans Licht — ein hübsches Bübchen, das aber zu nichts aufblicken konnte, als zu einer fast bettelarmen Mutter, einem abwesenden Vater (wenn er überhaupt noch am Leben war), dem Werkhause und dem Himmel.
Drittes Kapitel.
In welchem sich meine Mutter als ein zärtliches Weib beweist, zugleich aber auch ihren aufopfernden Patriotismus an den Tag legt.
Ich hatte mein zweites Lebensjahr zurückgelegt, ehe Nachrichten von meinem Vater einliefen. Alle Auskunft, die meine Mutter erlangen konnte, bestand darin, dass die Schiffsmannschaft der ‚Druide‘ auf eine andere Fregatte, namens ‚Melpomene‘ überpflanzt worden sei, da erstere für nicht mehr seewert erklärt und demgemäss zu Port-Royal ausser Dienst gestellt und abgebrochen worden war.
Briefe waren übrigens nicht von meinem Vater eingelaufen, denn er führte keinen sonderlichen Schulsack mit sich, da er zwar lesen, aber nicht schreiben konnte. Mittlerweile waren die Ersparnisse meiner Mutter aufgebraucht; sie kam sehr in Nöten, weil sie befürchten musste, die Täuschung, welche sie in betreff ihres Standes geübt hatte, möchte an den Tag kommen. In der That gingen bereits unterschiedliche Vermutungen über die Wahrheit ihrer Geschichte um, weil ihr Mann so lange abwesend blieb. Sie hatte bereits die letzte Guinee wechseln lassen, als ein Brief von meinem Vater einlief, der ihr von Portsmouth aus schreiben liess, das Schiff werde in einigen Tagen ausbezahlt, und dann „wolle er alle Segel aufklappen und unversehens an Bord seiner Alten sein.“
Meine Mutter war entzückt über den Inhalt des Schreibens, obgleich sie sich nicht wenig über die Titulatur „Alte“ ärgerte und die Beschimpfung bei einer passenden Gelegenheit zu ahnden beschloss. Sie erteilte daher eine freundliche Antwort, berichtete meinem Vater, mit welch’ einem hoffnungsvollen Kinde er gesegnet sei, und bedeutete ihm, er solle zu Greenwich mit ihr zusammentreffen; denn sie hatte sich vorgenommen, ihn nicht in Woolwich zu empfangen, damit ihre falschen Angaben nicht an den Tag kämen. Sie verabschiedete sich von allen ihren Freundinnen und teilte ihnen mit, ihr Gatte sei gesund und mit ansehnlichen Mitteln zurückgekehrt, habe ihr aber befohlen, nach Greenwich zu kommen. Nachdem sie sich, ihrer Ansicht nach so befriedigend, aus dieser kleinen Schwierigkeit geholfen hatte, packte sie auf und eilte nach dem genannten Orte, wo sie ihren angenommenen Rang fallen liess und sehr ungeduldig auf ihren Gatten wartete. Endlich langte er an: er sass mit vielen andern auf einem Landkutschen-Aussenplatz, den Hut mit Bändern geziert und in der einen Hand eine Pfeife, während er in der andern eine Zinnkanne schwang. Ich brauche kaum beizufügen, dass er mehr als halb betrunken war. Dennoch fand er eine gute Aufnahme; nachdem er sie mit Küssen fast erstickt hatte, nahm er mich auf seine Kniee, warf ihr alles noch übrige Geld in den Schoss und trank noch drei weitere Krüge Porter, worauf sie sich sehr friedlich und liebevoll zur Ruhe begaben.
Ich bedauere, sagen zu müssen, dass diese Freundschaft nicht von langer Dauer war. Die Manieren und die Sprache meines Vaters, welche vielleicht die Achtung vor Lady Herkules zur Zeit, als er meiner Mutter Bekanntschaft machte, gemildert hatte, waren jetzt weit roher, wie denn auch die nette Reinlichkeit, die er als Beischiffsführer eines verheirateten Kapitäns pflichtschuldig zeigen musste, durchaus an ihm vermisst wurde. Da er ausserdem jetzt nicht länger unter der Mannszucht stand, so war er fast jeden Abend betrunken — ein Zustand, in welchem er sich sehr störrisch zeigte und nicht auf die Mahnungen seiner Gattin achtete. Die Folge davon war, dass meine Mutter, nachdem sie von ihm fünfzig Pfund erhalten hatte, zuerst das Geld einschloss und dann „ihr Mundwerk gehen“ liess. Es gab nun stündlich Zank, und man konnte jetzt das „So — nun habe ich Dir die Galle aufgeregt“, und das „Heididil, Heididil“ vom Morgen bis in die Nacht hören.
Mein Vater pflegte in die Grogschenken zu gehen, um mit seinen Tischgenossen zu tanzen und zu zechen. Da ihn meine Mutter nicht nach so gemeinen Plätzen begleiten konnte, so ging er allein hin und kam nachts sehr spät oder gar nicht, jedenfalls