Der veruntreute Himmel. Franz Werfel

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Der veruntreute Himmel - Franz Werfel


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traumhaften Parks am Fuße eines der eigenartigsten österreichischen Gebirgsstöcke – so wars keine Erwerbung, sondern ein Erbgut.

      In diesem Hause besaß ich eines der Fremdenzimmer. Ich sage ›besaß‹, denn man hatte es ausdrücklich und ausschließlich mir eingeräumt, und niemand sonst durfte darin wohnen. Da ich seit Jahren schon meiner langen Reisen wegen keinen Wohnsitz hatte, auch in der Hauptstadt nicht, so war das Zimmer in Grafenegg der einzige Raum, den ich mein eigen nennen konnte, und ich hatte ihn auch mit all meinen Sachen vollgeräumt, wie sie im Laufe der Zeit zusammengewachsen waren. Dort lagen meine Bücher und Handschriften aufgestapelt, all die abgeschlossenen und unterbrochenen Arbeiten, von den vielen Anfängen, Entwürfen, Skizzen und dem heillosen Zettelwerk ganz zu schweigen, das sich innerhalb eines Jahrzehnts in den Schubladen eines Schriftstellers beängstigend ansammelt. Es ist möglich, daß sich diese Menge in qualvollen und enthusiastischen Nächten beschriebenen Papiers noch immer an Ort und Stelle befindet, denn wie ich höre, ist der Besitz in Grafenegg bis zu dieser Stunde weder enteignet worden, noch auch hat er einen Käufer gefunden. Mag mit dem Niedergeschriebenen geschehen, was da will. Der Verlust ist verschmerzt. Ich empfinde das Exil als einen Schicksalsruf zur Erneuerung. An alle Verbannten und Emigranten ergeht ja der Auftrag zum erbarmungslosen Neubeginn, gleichgültig welche frühe oder späte Stunde das eigene Leben geschlagen hat. Diesem Auftrag kann sich keiner entziehen, und von Tag zu Tag wirds für unsereins klarer, wie sehr alles Gewesene und Erworbene verwirkt ist. Dennoch will ich die Wehmut nicht verleugnen, die mich jetzt und hier erfaßt, wenn ich an das Haus zu Grafenegg denke und an mein schönes eigenes Zimmer dort. Es ist wirklich nicht der materielle Verlust meiner Manuskripte, der mich verstört, es ist vielmehr das von mir abgespaltene Leben, es sind die aus meinem Innern hervorgetretenen Geister, die ich dort in einem unbefriedigt-zwielichtigen Zustand umgehen fühle. Ich arbeite im allgemeinen sehr schwer. Welche Mühsal hatte es gekostet, welchen Aufwand an Glauben, Zweifel, schlechtem und gutem Gewissen, um diese ganze Gesellschaft heraufzubeschwören, die nun an meinem Fenster lehnt und über die hohe Rotbuche hinweg auf den höchsten Gipfel des Toten Gebirges starrt, auf den Großen Priel. Es sind meine Geister, so zugehörig mir wie mein eigener Schlaf. Alljährlich im Frühling, wenn ich zur Arbeit nach Grafenegg kam – lange bevor die Hausleute einrückten, – wurde ich beim Betreten des Zimmers von meinen selbeigenen, sich fleißig mehrenden Geistern empfangen. Eine sonderbar behagliche, ja kreuzgemütliche erste Stunde war das jedesmal. Ich schlenderte im Raum umher, begrüßte den und jenen, nahm dies und das in die Hand, las hier einen Satz und dort einen Vers, naschte gleichsam im Vollgefühl meines Reichtums an mir selbst. In dieser ersten Stunde hing ich nicht mehr vereinsamt in der Luft, sondern besaß zahlreiche Verwandtschaft, nahe und ferne, die mir äußerst ergeben war und auf den Wink parierte. Nein, ich war nicht zu beklagen und zweifelte nicht, es müsse so weitergehen und diese alljährliche Begrüßung werde sich wiederholen ungezählte Male, bis ich einst als behäbiger Urvater meiner Geistgeschöpfe sanft erlöschen würde, wills Gott in diesem Zimmer, das mir meine Freunde Argan auf Lebenszeit eingeräumt hatten. Dann erst, bevor ich mich an die neue Arbeit machte, stieg ich herab in die unteren Wohnräume des Hauses und begrüßte die weit froheren Geister von Livia und Leopold, von Philipp und Doris; die lebten hier als der lachende Nachklang ihrer schönen Stimmen vom vorigen Sommer, der zugleich ein glücklicher Vorklang des künftigen war.

      In diesem Sommer zu Grafenegg, der schön war wie alle vorhergehenden, dem aber für mich kein künftiger hier mehr folgen sollte, hatte sich die Familie Argan schon früher eingestellt als sonst. Wir verlebten den Juni und halben Juli in guter Gemeinschaft. Um aber ganz aufrichtig zu sein, das Glück dieses Landaufenthalts war nicht mehr ganz so rein und voll wie früher. Wenn wir auch einer stillen Übereinkunft gemäß politische Unterhaltungen vermieden so gut es nur ging, so lastete das gegenwärtige und das herandrohende Weltgeschehen doch schwer auf unseren Gemütern: der spanische Bürgerkrieg und vor allem das ungewisse, zweideutige Schicksal unseres eigenen armen Landes. Alltäglich gegen vier Uhr, wenn der Briefträger, ein hinkender Bote dieses Weltgeschehens, mit den Morgenblättern der Hauptstadt vor dem Haustor auftauchte, hatten wir uns schon alle versammelt, und es begann regelmäßig ein heftiger Kampf um die Zeitungen. Auch das Radio wurde nicht so wie einst nur bemüht, um Konzerte und Opernübertragungen aus dem schwangeren Äther heranzulocken, sondern trotz Livias Protest drehte Philipp am Abend den Knopf, um die Hetz- und Lügenmeldungen der Despotien mit den allzu gleichmütigen Berichten der vorläufig noch freien Staaten zu vergleichen. Dabei waren wir alle in unserer Gesinnung und in unseren Wünschen bis auf leichte Schattierungen gleichgestimmt. Aber vorgestern hatte Doris einen Besuch in der Nachbarschaft abgestattet und dort Meinungen zu hören bekommen, die sie entsetzten, und gestern war Philipp in einem Wirtshaus der Ortschaft mit jugendlichen Rucksacktouristen ihres landfeindlichen Grußes wegen beinahe in tätlichen Streit geraten. Die Kinder kehrten von solchen Erlebnissen tief verstimmt heim, und der Druck legte sich dann auch auf uns Ältere. Dazu kamen noch Livias ständige Befürchtungen wegen Leopolds höchst entschiedener öffentlicher Stellungnahme. Obwohl schon seit zwei Jahren aus dem Amte geschieden, hatte er sich mehrmals in Wort und Schrift für die von außen und innen bedrängte Unabhängigkeit Österreichs auf das schärfste eingesetzt.

      Gegen Ende Juli verließen meine Freunde für eine Zeitlang das Haus in Grafenegg. Philipp und Doris waren auf ein Schloß in Tirol eingeladen. Dort gab es viel Jugend der konventionellen Art. Leopold meinte, es wäre für seine anspruchsvollen und sehr kritischen Kinder gar nicht von Übel, ein paar Tage unter harmlosem Allerweltskraut zu verbringen. Er selbst fuhr mit Livia nach Salzburg, um bei den Festspielen gewissen Opernaufführungen beizuwohnen. Seine Einladung, mit nach Salzburg zu kommen, lehnte ich ab. Bis zum zwölften August spätestens wollte alles wieder heimgekehrt sein, denn auf den Siebzehnten fiel Livias Geburtstag, der jedes Jahr spaßhaftfestlich mit einer Art Akademie begangen wurde. So blieb ich, wie schon so oft, allein in dem großen Haus, denn bis auf Teta, die Köchin, war auch das Personal beurlaubt worden. Die plötzliche Einsamkeit war mir anfangs gar nicht unlieb. Ich hatte mich nämlich in den letzten Monaten verbummelt, hatte Zeit um Zeit vertrödelt und war mit meinem Arbeitsplan in bedenklichen Rückstand geraten.

      Wenn eine künstlerische Arbeit ins Stocken kommt und nicht vorwärtsgehen will, so hat das jeweils seinen guten Grund. Zwar ist der Autor dann meist überzeugt, daß ihm die rechte Stimmung fehle oder daß der von ihm gewählte Stoff bockig sei und eigensinnigen Widerstand leiste. Mich aber hat die Erfahrung belehrt, daß es niemals an der Stimmung liegt und niemals am Stoff. Wenn die Stimmung fehlt, so stimmt etwas nicht. Und nicht der Stoff bockt, sondern die an irgendeinem Punkte verletzte Wahrheit. Ein einziger falscher Einschlag stellt das ganze Gewebe in Frage. In keiner anderen menschlichen Betätigung ist das formale Gelingen so unlöslich verknüpft mit Logik und Ethik wie im künstlerischen Schaffen, dieser sogenannten ›Welt des schönen Scheins‹. Ein alter, vielerfahrener Dichter sagte einst zu mir: »Gott darf unlogisch sein, das heißt ohne erkennbare Folgerichtigkeit, der Schriftsteller nicht.« Der Mann hatte recht. Nur wenn bei einer Erzählung alle Grade der Wahrheit in Ordnung sind, von der niedrigen Wahrscheinlichkeit angefangen, über die feinere Richtigkeit und Aufrichtigkeit hinaus bis zu den letzten Übereinstimmungen, nur dann erlebt ein Verfasser das seltene Wunder, daß gleichnisweise die Quellen des erfundenen Lebens wie von selbst zusammenströmen und einen epischen Wasserspiegel bilden, der ihn wie einen glücklichen Schwimmer hochhebt und trägt. Sein Eigengewicht scheint sich dann zu vermindern, und die elementare Wonne des Schöpfertums durchströmt ihn. In solchen Ausnahmefällen ist er Spieler und Zuschauer zugleich, und die Mühe des Schreibens besteht in einem atemlos raschen Ablesen dessen, was in ihm und um ihn schon fertig aufgezeichnet steht.

      Nie war ich von dem hier geschilderten Glückszustand weiter entfernt als in den Sommertagen nach der Abreise meiner Freunde. Die plötzliche Einsamkeit erzwang eine bestürzende Bilanz der Arbeit, an die ich schon fast ein Jahr gewandt hatte. Der historische Vorwurf meines Buches erschien mir mit einemmal ganz verstiegen, seine Menschen steif und ohne Leben, ihre Gespräche erklügelt, ihre Handlungen verdreht, das Ganze unecht und bis zur Sinnlosigkeit mißglückt. Was sollte ich tun? Es war ein sehr umfangreiches Werk, und fünfhundert Seiten etwa hatte ich mir schon abgerungen. Die moralische Kraft besaß ich nicht, diesen hohen Stapel zu vernichten, noch auch die Geduld, das Fertige aufzutrennen und gänzlich neu und anders zu beginnen. Diese Arbeitsart der Penelope ist für die Kunst die einzig richtige. Die Welt aber verwandelte alle vier Wochen


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